Leistungsexplosion der DFB-Elf: Befreiender Knall
Nach dem eindrücklichen 4:0-Sieg des DFB-Teams gegen Dänemark scheint das eben noch beargwöhnte Team zum EM-Titelfavoriten aufzusteigen.
Es ist lange her, dass es Spaß gemacht hat, einem deutschen Nationalteam bei einem Großturnier zuzuschauen. Und vielleicht war es das, was die deutschen Fans an diesem Abend in Brentford am meisten schockierte. Nicht das überragende Spiel der Deutschen gegen Dänemark, nicht das in der Höhe gerechtfertigte 4:0 gegen die Vize-Europameisterinnen, das auch ein 7:0 hätte sein können. Sondern die Tatsache, dass es wahrhaftig viel Spaß machte zuzuschauen.
Und dass die da unten offensichtlich ebenso viel Freude hatten. Rasante Passstafetten und Bälle in die Tiefe, aggressives Pressing mit enorm vielen Balleroberungen, selbstbewusstes eins gegen eins in der Offensive, Chancen im Minutentakt und ein Team, bei dem jede nahezu gleichwertig ersetzt werden konnte. Nicht nur Fans rieben sich die Augen: Was ist das für ein Team? Und was ist mit dem bräsigen, mittelmäßigen, ideenlosen Deutschland der letzten Jahre passiert?
Der Kontrast könnte kaum größer sein zu den zwei auch spielerisch schlechten Turnieren der Vorjahre. Noch in diesem Jahr prägten Verletzungen wie die von Popp, Marozsán und Hegering, Corona-Ausfälle sowie ein offenbar auch interner Krach nach der 2:3-Niederlage gegen Serbien die Vorbereitung. „Es war viel Frust hinter dem Schuss“, sagte Torschützin Lina Magull später über ihr 1:0.
„Ich war froh, dass er auch so reingeknallt ist.“ Es war der einzige Moment, in dem die Probleme der letzten Jahre durchschimmerten. Denn fast erstaunlicher als die Leichtigkeit auf dem Platz war die ruhige Selbstverständlichkeit, mit der Magull den Sieg verbuchte. „Ganz ehrlich, ich hatte keine Zweifel vorm Spiel, weil die letzten Wochen uns unglaublich gutgetan haben. Ich bin nicht überrascht. Man hat über 90 Minuten gespürt, wie emotional ergriffen wir sind, uns gegenseitig etwas zu gönnen.“
„Viel Wärme füreinander“
Ähnliches wurde in den Aussagen der Kolleginnen spürbar. Hier steht ein Team, das weiß, was es kann, und dem ziemlich egal ist, wie es vorher taxiert wurde, das viel Wärme füreinander und eine stimmige interne Balance zu haben scheint – und „diese Energie, die ihr alle gespürt habt“ (Voss-Tecklenburg). Es war ein Auftritt von Titelfavoritinnen. Spielerisch haben die Deutschen mehr überzeugt als die hoch gehandelten Engländerinnen, Niederländerinnen und Schwedinnen.
Was ist da passiert? „Wir haben einfach Vorbereitungszeit gehabt“, wies Voss-Tecklenburg auf das Camp in Herzogenaurach als Schlüsselfaktor hin. Bemerkenswert ist aber auch, dass es sich um fast denselben Stamm handelt wie bei der WM 2019. Die größte Veränderung dürfte die Umstellung der fehleranfälligen Abwehr mit Sara Doorsoun zugunsten des stabileren Duos Hegering/Hendrich sein; die Abwesenheit von Almuth Schult zwischen den Pfosten ist dagegen ein Verlust, der sich erst in Drucksituationen zeigen könnte. Ansonsten aber steht hier dasselbe Rückgrat, das 2019 als mittelmäßig kritisiert wurde.
Ein Team ohne Weltstars hat Vor- und Nachteile: In Umbruchzeiten wie 2019 kann nichts durch die Einzelaktionen einer Alpha-Spielerin gerettet oder kaschiert werden. In guten Zeiten aber zeigen sich die Vorzüge eines eher egalitären Ensembles; einmal eingespielt und mit einer Trainerin ausgestattet, die die einzelnen Stärken zu beleuchten weiß, ist die Qualität umso breiter. Zweitens waren auch die individuellen Entwicklungsschritte enorm. Giulia Gwinn war bei der letzten WM 19 Jahre alt und kickte mit der damals 18-jährigen Klara Bühl noch beim SC Freiburg, Lena Oberdorf war erst 17 und spielte gemeinsam mit der 21-jährigen Lea Schüller bei der SGS Essen.
Befreit vom Trubel um Dzenifer Marozsán
Drei Jahre später sind alle Schlüsselspielerinnen bei den Spitzenklubs Bayern und Wolfsburg, eine bei Weitem nicht selbstverständliche Entwicklung für hochgehandelte Talente. Auch erfahrene Spielerinnen wie Svenja Huth, da noch in Potsdam, sind erst spät zu internationaler Klasse gereift. Und mit der jungen Jule Brand oder den noch nicht eingesetzten Sophia Kleinherne und Spätstarterin Tabea Waßmuth kommt Vielversprechendes nach.
Zuletzt ist dieses Team noch eines: befreit vom Trubel um Dzenifer Marozsán. Der einzige echte deutsche Star agiert im Nationalteam oft glücklos; während der letzten Weltmeisterschaft war sie zudem teilweise verletzt ausgefallen. Der permanente mediale Fokus auf Marozsán als Retterin, die ewige Frage – „Spielt sie oder spielt sie nicht und wie fit ist sie?“ – brachten ziemlich viel Unruhe. Und entband vielleicht auch die eine oder andere Spielerin davon, selbst Verantwortung zu übernehmen. Nun scheinen das Team und Voss-Tecklenburg sich und einander gefunden zu haben, zum rechten Zeitpunkt vorm Spitzenspiel gegen Spanien am Dienstag.
„Wir haben die Messlatte hochgelegt und wollen sie bestätigen“, sagte Magull, „weil es verdammt viel Spaß macht, mit dem Team zu performen.“ Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, wird man das auch gegen Spanien sehen.
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