Leichtathletik-WM in Katar: Zweierlei Maß

Die Menschenrechtslage in Katar wird mit Blick auf die Fußball-WM 2022 genau geprüft. Doch was ist mit der Leichtathletik-WM in wenigen Tagen?

Fan mit Katar-Schal

Imagegewinn durch den Sport: in Katar setzt man vor allem auf die Fußballbegeisterung Foto: reuters

Wieder einmal hat Katar seine Versprechen gebrochen. Der Fußball-WM-Ausrichter und mächtige Player im globalen Sport lässt Arbeiter weiterhin unter katastrophalen Bedingungen schuften, so Amnesty International. Für einen Bericht hat die Organisation die Lage von Hunderten Mitarbeitern dreier Unternehmen in der Bau- und Reinigungsbranche dokumentiert, die monatelang ohne Bezahlung arbeiteten. Viele Gastarbeiter kehrten ohne jedes Geld zurück. Zwar hat das Emirat ein Gremium zur Streitschlichtung eingeführt, aber in 1.620 Fällen habe kein einziger Beschwerdeführer eine Entschädigung erhalten, schreibt Der Standard.

Außerdem seien die Stellen so dünn besetzt, dass die Bearbeitung der Fälle Monate dauere. Die Fifa wiederum hat daraufhin erst mal bekannt gegeben, dass es sich nicht um WM-Baustellen handelte, und man sich weiterhin um die Arbeiterrechte bei „WM-bezogenen Aktivitäten“ kümmere. Es ist ein vielsagender Hinweis auf das Verständnis des Weltverbands von Menschenrechten: sie zählen höchstens dann, wenn man selbst betroffen ist. Andere Firmen im Gastgeberland? Ach komm, hör auf. Es geht um ein sauberes Image der Fifa, nicht um Rechte in Katar.

Nun kann man die Fifa, andererseits, in dieser Hinsicht wirklich nicht beneiden. Die meisten globalen Konzerne und Verbände dürfen munter Geschäfte machen, mit wem sie wollen, ohne sich von der Öffentlichkeit hinterfragen zu lassen. Das gilt auch für die Sportverbände: in einer Woche zum Beispiel beginnt die Leichtathletik-WM in, genau, Katar, völlig ohne Begleiterscheinungen wie Menschenrechtsdebatten. Man ist ja froh, wenn irgendjemand für Leichtathletik zahlt.

Im Fußball, zumindest, findet die Diskussion statt. Das Emirat musste sich, auch das ein Verdienst der Menschenrechts-Organisationen, auf mikroskopische rechtliche Verbesserungen einlassen. Einem Staat, der Sport so massiv für das eigene Image nutzt, tun Boykott-Diskussionen tatsächlich weh.

Druckmittel auf Zeit

Der Fußball hat es geschafft, sehr ansatzweise, eine Rolle zu übernehmen, die die Zivilgesellschaft dort nicht übernehmen kann. Weil von den 2,7 Millionen Einwohnern rund zwei Millionen Ausländer sind, oft weitgehend rechtlose Gastarbeiter. Im besten Fall gibt der kurze Leuchtkegel der Welt-Aufmerksamkeit ihnen Werkzeuge an die Hand, um sich zur Wehr zu setzen. Fußball wird ein unfreiwilliges Druckmittel auf Zeit – bis die WM weiterzieht. Denn, nein, das Engagement einer lokalen Zivilgesellschaft kann der Fußball dauerhaft nicht ersetzen.

Ein bitterer Beigeschmack bleibt unbeachtet: die politische Kritik rund um Großturniere ist höchst asymmetrisch. Sie richtet sich aus westlichen Industrienationen an den Rest der Welt, und nie umgekehrt. Man könnte ja auch auf die Idee kommen, ein deutsches Turnier an Bedingungen zu knüpfen. Ein Land, das tausende Bürger anderer Staaten mutwillig im Mittelmeer ertrinken lässt, das unbescholtene Menschen „abschiebt“ und rücksichtslos so viel CO2 in die Luft pustet, dass es die Lebensgrundlage gerade der Ärmsten und letztlich aller bedroht: vielleicht sollte so ein Land auch keine EM ausrichten dürfen.

Nein, man sollte auch so ein Turnier an Verbesserungen knüpfen. Aber welches Land aus dem globalen Süden hätte die Macht, das mit Erfolgsaussicht zu fordern? Und die katarischen Machthaber, die den Einfluss hätten, nun ja: denen sind Menschenrechte eben scheißegal.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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