Leiche von Roschtschyna noch in Russland: Selbst nach dem Tod kein Frieden
Die ukrainische Journalistin Wiktorija Roschtschyna starb in russischer Gefangenschaft. Warum Russland die Rückgabe ihrer Leiche verweigert.
Am 8. November 2024 übergab Russland die Leichname von 563 ukrainischen Soldaten zurück an die Ukraine. Und schon zum zweiten Mal fehlte bei einem solchen Austausch der Leichnam der ukrainischen Journalistin Wiktorija Roschtschyna. Die Charkiwer Gruppe zum Schutz der Menschenrechte (KHPG) wirft Russland vor, ihren Leichnam zu „verstecken“.
Vor fast einem Monat, am 10. Oktober, bestätigte Russland, dass Roschtschyna in Gefangenschaft gestorben sei. Die 27-jährige Journalistin wurde im August 2023 entführt im Oblast Saporischschja im Osten der Ukraine, das seit Februar 2022 von Russland besetzt wird. Dort wollte sie über die Wahlen in Russland, die Folgen der Zerstörung des Wasserkraftwerks Kachowka und die Situation im dortigen Kernkraftwerk berichten.
Roschtschyna war freie Reporterin und berichtete für Medien wie Ukrajinska Prawda, International Women’s Media Foundation (IWMF) und Radio Free Europe/Radio Liberty, etwa aus dem belagerten Mariupol und später Saporischschja.
Sie wurde bereits 2022 vom russischen FSB verhaftet und verbrachte zehn Tage in Gefangenschaft, nachdem sie über die Situation in Enerhodar berichtet hatte, einer Stadt in der Nähe des Kernkraftwerks. Russland verhörte sie unter dem Verdacht der Spionage. Sie erhielt nach ihrer Freilassung den IWMF-Preis für Mut im Journalismus.
Erst im Mai dieses Jahres – neun Monate nach ihrer Entführung – gab Russland überhaupt zu, dass sie inhaftiert sei. Das bestätigte das Internationale Komitee des Roten Kreuzes. Über ihren Aufenthaltsort erfuhr ihre Familie und Freund*innen jedoch nichts.
Über ihren Tod wurden die Angehörigen in einem Brief des russischen Verteidigungsministeriums informiert, datiert auf den 2. Oktober. Roschtschyna sei am 19. September verstorben und ihr Leichnam werde „im Rahmen des Austauschs von Leichen von Gefangenen an die ukrainische Seite übergeben“.
Brutale Behandlung von ukrainischen Inhaftierten
Auch ein Sprecher des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR bestätigte in einem Kommentar von Suspline, dass Roschtschynas Rückkehr vereinbart wurde und bald erfolgen würde. Eine genaue Todesursache nannte Russland in dem Brief nicht.
Doch die bisherige Verweigerung, ihren Leichnam zu übergeben, wirft schwerwiegende Fragen über ihre Behandlung in Gefangenschaft auf. Laut Tetyana Katrychenko von der ukrainischen Medieninitiative für Menschenrechte wurde Roschtschyna in Gefangenenlagern im ukrainischen Berdjansk und später im russischen Taganrog festgehalten.
Beide Orte seien sehr berüchtigt für die brutale Behandlung von ukrainischen Inhaftierten, schreibt Katrychenko in einem Beitrag auf Facebook. Die Lager seien die „Hölle auf Erde“ und vor allem für „schreckliche Folter“ bekannt. Von spätestens Mai bis zu ihrem Tod im September sei Roschtschyna in Isolationshaft gewesen.
Es gab Berichte, dass Wiktorija Roschtschyna aus Protest über ihre Haftbedingungen in den Hungerstreik getreten sei. Tetyana Katrychenko bleibt aber skeptisch: Das sehe aus wie ein „Versuch, Russland die Verantwortung zu entziehen“, schreibt sie weiter.
Die NGO Reporter ohne Grenzen zeigt sich alarmiert. „Wir fordern von der russischen Regierung, dass sie die Umstände ihrer Inhaftierung und ihres Todes endlich aufklärt“, sagte Geschäftsführerin Anja Osterhaus kurz nach Bekanntgabe von Roschtschynas Tod im Oktober.
Nach Informationen der Organisation seien mindestens 19 weitere ukrainische Medienschaffende in Russland inhaftiert. „In mehreren Fällen weigern sich die Behörden auch hier, Informationen herauszugeben“, erklärt Osterhaus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis