Leicester City ist englischer Meister: Das Märchen der Füchse
Der Papst tritt einem Protestantenklub bei? Das Ungeheuer von Loch Ness wird entdeckt? Beides schien denkbarer als Leicesters Titelgewinn.
![Leicesters Spieler Christian Fuchs jubelt über ein Tor. Er ballt dazu beode Fäuste. Leicesters Spieler Christian Fuchs jubelt über ein Tor. Er ballt dazu beode Fäuste.](https://taz.de/picture/1174114/14/15688569.jpeg)
Claudio Ranieri war der letzte Mensch in England, der erfuhr, dass seine Mannschaft Leicester City die Premier League gewonnen hat. Der Trainer hatte seine 96-jährige Mutter in Italien besucht und war auf dem Rückflug, während der entthronte Vorjahresmeister FC Chelsea seinem Team die Meisterschaft sicherte.
Leicesters letzter verbliebener Konkurrent, Tottenham Hotspur, hatte bereits 2:0 im Londoner Stadion an der Stamford Bridge geführt, doch Chelsea schaffte kurz vor Schluss den Ausgleich und beerdigte damit die theoretische Chance der Spurs auf die Meisterschaft.
Ausgerechnet Chelsea. Ranieri hatte die Mannschaft ab 2000 trainiert, doch als der russische Milliardär Roman Abramowitsch den Verein vier Jahre später kaufte, warf er Ranieri hinaus. Er sei nicht kämpferisch genug, um einen Titel zu erringen, meinte der Russe. Bisher stimmte das auch, Ranieri hatte mit Neapel, Florenz, AS Rom, Atlético Madrid, Valencia, Juventus und Inter keine Meisterschaft gewonnen und war meist vorzeitig entlassen worden.
Der 64-jährige bekam den Job in Leicester im vergangenen Juli nur deshalb, weil der Verein seinen Vorgänger Nigel Pearson hinausgeworfen hatte. Dessen Sohn James Pearson war einer von drei Nachwuchsspielern, die sich während der Thailand-Tour nach der Saison mit einheimischen Frauen im Hotelzimmer vergnügten und sie dabei rassistisch beleidigten. Da die Fußballer ihre kleine Orgie mit einer Handykamera aufgenommen und das Filmchen an Freunde nach England gemailt hatten, kam die Geschichte heraus, und Nigel Pearson musste für seinen Sohn büßen.
Legende Gary Lineker lästerte: „Ranieri? Wirklich?“
Ranieris Ernennung löste Erstaunen aus. Leicesters legendärer Stürmer Gary Lineker twitterte: „Ranieri? Wirklich?“ Bei den Buchmachern war Ranieri Favorit, als erster Trainer der Saison entlassen zu werden. Nach dem Sieg im Eröffnungsspiel gegen Sunderland behauptete Ranieri, er habe seine Spieler mit der Musik der lokalen Rockband Kasabian motiviert.
Nach dem ersten Sieg ohne Gegentor am zehnten Spieltag lud er das Team zu Pizza und Champagner ein. Als die Füchse, wie das Team aus den East Midlands genannt wird, zu Weihnachten immer noch die Tabelle anführten, begannen manche, an die Sensation zu glauben – darunter die Buchmacher.
Sie hatten vor der Saison Quoten von 5.000:1 angeboten. Zehnmal wahrscheinlicher erschien es ihnen, dass das Ungeheuer von Loch Ness gefunden würde. Ein Einsatz des Papstes beim Protestantenverein Glasgow Rangers erwarteten die Buchmacher ebenfalls eher als den Triumph von Leicester City.
Wer zu Saisonbeginn zehn Pfund gesetzt hat, ist jetzt ein reicher Mann. Und einige haben tatsächlich an Leicester City geglaubt. Die aufgeschreckten Buchmacher boten ihnen zu Weihnachten an, die Wette für 8.000 Pfund zurückzukaufen.
Bald werden wieder die Marktmechanismen greifen
22 Mal in der Vereinsgeschichte war der Klub auf- oder abgesteigen, und im Januar vorigen Jahres deutete sich der nächste Abstieg an. City lag abgeschlagen am Tabellenende. Dann gewann man sieben der nächsten neun Spiele und rettete sich um Haaresbreite.
Ein Jahr später ist Ranieris Team dank des Punktverlustes von Tottenham bei Chelsea vorzeitig Meister. Die Leicester-Spieler hatten die Begegnung bei Jamie Vardy zu Hause in Melton Mowbray im Fernsehen verfolgt. Wes Morgan, der Mannschaftskapitän, sagte danach: „Es ist das tollste Gefühl meiner Karriere. Ich könnte nicht stolzer sein, Teil dieses Teams zu sein. Wir alle haben schwer dafür gearbeitet, und niemand glaubte, dass wir es schaffen könnten, doch nun sind wir Champions, und zwar verdientermaßen.“
Einen großen Anteil an der Meisterschaft haben die Talent-Scouts des Vereins. Sie holten die bis dahin unbekannten Stürmer Vardy und Riyad Mahrez für insgesamt knapp 1,5 Millionen Pfund nach Leicester. Vardy stellte einen neuen Rekord auf, als er in elf aufeinanderfolgenden Spielen ein Tor erzielte und daraufhin mit 28 Jahren in die englische Nationalmannschaft berufen wurde. Der vier Jahre jüngere Mahrez ist nicht nur Vorlagengeben für Vardy, sondern schießt selbst auch Tore.
Beide Spieler werden kaum in Leicester zu halten sein, die großen Klubs werden sie weglocken, darunter wohl auch Chelsea, welches das Fußballmärchen mit dem Unentschieden gegen Tottenham am Montagabend perfekt machte. Am 15. Mai können sich die Leicester-Spieler persönlich beim FC Chelsea bedanken. Dann treten sie zum letzten Saisonspiel an der Stamford Bridge an und können beim noch amtierenden englischen Meister die Siegerschale gleich mitnehmen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören