Zu Besuch in Leicester: Sie sind total blau

Seit Leicester City die englische Meisterschaft gewonnen hat, ist die Stadt wie im Rausch. Ein Besuch in der neuen Metropole des Fußballs.

Zwei Männer in Trikots

Foxes-Fans in Leicester Foto: Daniel Zylbersztajn

LEICESTER taz | Vor der sogenannten Sporterfolgsstatue im Zentrum der mittelenglischen Stadt Leicester, in der die drei populärsten Sportarten Rugby, Kricket und Fußball verewigt worden sind, stehen zwei junge Männer in blauen Trikots. Der Englischlehrer in Ausbildung, Adil Waraich, 29 Jahre alt, filmt, während sein jüngerer Cousin, Abdullah Waraich, 17, Passanten ein Mikrofon vor die Nase hält. Auf YouTube wollen sie ihr Material veröffentlichen, „damit die ganze Welt weiß, was hier in Leicester abgeht!“, erklärt Abdullah.

Es geht eine Menge ab in der Stadt nördlich von London. Der Fußballclub Leicester City ist ja kürzlich englischer Meister geworden, das erste Mal in seiner Geschichte. Die Chance auf einen Gewinn der Premier League lag vor der Saison bei 5000:1. Leicesters Umsatz und sein Gehaltsgefüge sind nicht vergleichbar mit Teams wie Arsenal oder Manchester United.

Seit einer guten Woche wird nun ununterbrochen in Leicester gefeiert. Es begann mit einem Aufruf an alle Geschäfte Leicesters, die Vereinsfarbe Blau zu zeigen. Die Stadt verfiel daraufhin in einen Rausch mit Straßenfeiern überall, mit Freibier und Gratisessen bis in die frühen Morgenstunden. Auch Tage danach torkeln immer noch Betrunkene singend durchs Stadtzentrum.

„Normalerweise feiern die Stadtgemeinschaften ihre Feste voneinander getrennt, doch diesmal waren wir alle in einem Fest vereint“, schwärmt Adil. Sogar die lokale Hare-Krishna-Gruppe lud zur Meisterparty ein, genauso wie Prinya Chotalia, 30, und Kaushika Cholhan, 32, Freunde zu sich nach Hause luden. Gingen ihre Ehemänner diese Saison oft allein zum Fußball, denken jetzt beide daran, sich für die nächste Saison Jahreskarten zu holen und die Kinder dabei auch noch mitzunehmen: „Dann können sie schon früh zu Fans werden.“

Ehepaar Andy, 56, und Linn, 63, sind hingegen seit 48 Jahren dem Verein treu, und haben bisher noch nie so etwas erlebt. „Unsere Mitgliedsbeiträge sind hiermit endlich beglichen“, sagen sie.

„So genial gespielt“

Aber nicht nur waschechte Fans sind vom Erfolg begeistert. Im Real-Madrid-Trikot gesteht John Webster 33, dass er eine Schwäche für Leicester City, die Foxes, habe, „weil sie so genial gespielt haben“, und er sein Leben lang in Leicester lebt. Viele in Leicester hätten, wie er, aufgrund der permanenten Flaute des Vereins andere Mannschaften unterstützt. Doch laut Alex Candela, einem der begehrtesten Tatookünstler der Stadt, hat dies nun ein Ende. „Wir mussten dieses Jahr mehrere Fuchs-Tatoos, und Leicester-Wappen machen“, sagt Webster und zeigt auf die Bilder, die seine schönsten Arbeiten zeigen.

Candela ist nicht der einzige Künstler, der vom Fußballboom betroffen ist. Auf die neuen Kirchenfenster der Kathedrale, die zur neuen Ruhestätte der sterblichen Überreste von Richard III. wurde, sollte Glasmaler Thomas Denny die Geschichte des 1485 verstorbenen Königs verewigen. Als diese Fenster am 24. April enthüllt wurden, konnte man in einem der kleineren Fenster über einen kleinen Fußball staunen. Manche glauben, der gute Geist Richards schwebt nun über der Stadt.

Heirat in blauem Tüll, so etwas gibt es derzeit wohl nur in Leicester, dem Epizentrum des Fußballirrsinns

Der 53-jährige David Chatwani spricht auch von diesem Geist. 29 Jahre lang führte er ein Geschäft mit allerlei Sportartikeln am Rande des Stadtmarkts. Seit einer Woche hat er nur noch die Produkte Leicester Citys im Angebot – und ist offiziell als Fanshop anerkannt. Die Trikots der Saison 2016/2017 sind jedoch bereits alle ausverkauft. Sein Umsatz war in diesem Jahr 20-mal so hoch wie im Vorjahr und das trotz der Tatsache, dass das Leicester-Outfit nicht besonders teuer gewesen ist.

2.000 Fanschals pro Woche

Wie groß die Nachfrage nach Fanartikeln war, beweist auch das Beispiel von Park Lane Strickwaren, welche die Fanschals herstellen. „In der letzten Saison fertigten wir 3.000 Schals pro Jahr an, derzeit sind es 2.000 pro Woche“, erzählt Mitbesitzer Sean Marsh. Der kleine Familienbetrieb kennt seit dem Erfolg des Vereins keinen Ruhetag mehr und arbeitet sieben Tage die Woche durch.

In der Stadtmitte feiern auch ein Chocolatier und der Besitzer einer Gelatobar den Erfolg der Fußballer mit. So gibt es im Cocao Amore, der einzigen Chocolaterie der Stadt, handgemachte Schokoladenfußbälle und Pralinen mit Biergeschmack. Und das Gelatto Village um die Ecke führt „Gelato Dei Campioni“, das Eis der Champions. Auch hier stehen die Leute Schlange, ja gelegentlich schaut auch Leicester-Coach Claudio Ranieri beim italienischen Geschäftsinhaber vorbei. Ein Juwelier ist seit zwei Jahren Sponsor und damit Leicester Citys offizieller Juwelier. Im Schaufenster glitzern blaue Edelsteine und sind wohl das ultimative Geschenk für liquide Fußballfans.

Bürgermeister Peter Soulsby, 67, findet, das Fußballteam repräsentiere den Charakter der Stadt, sei ohne großes Ego und vielfältig. Nur 45 Prozent der Einwohner Leicesters sehen sich als „weiß und britisch“. Etwa 25 Prozent sind indischer oder pakistanischer Abstammung. „Wir konzentrieren uns auf das Gemeinsame. Mit dem Erfolg der Füchse sowie den Leicester Tigers, die bereits zehnmal die Rugbyliga gewonnen haben, ist Leicester endlich wieder auf der Landkarte“, freut sich der Bürgermeister, der sein erstes Foxes-Spiel 1969 gesehen hat.

„Forza Azzurri“

Überall, selbst in den kleinsten Läden, hängen nun Leicester-City-Poster oder blaue Fahnen. Ein italienischer Friseur hat im Zentrum eine gigantische italienische Fahne aufgehängt, auf der die Worte „Forza Azzurri“ stehe – eine Huldigung an den italienischen Trainer. An Straßenlaternen hängen überall Bilder der Fußballprofis, nachts werden Gebäude blau angestrahlt. Ein Geschäft für Brautmode hat seit Neuestem blaue Brautkleider im Sortiment. Heirat in blauem Tüll, so etwas gibt es derzeit wohl nur in Leicester.

Am kommenden Montag gibt’s dann noch mal eine offizielle Meisterfeier, samt Bustour des Teams durch die ganze Stadt und einer großen Bühnenshow. Doch nicht alle sind darüber glücklich. Schon jetzt hat die Stadt Warnmeldungen an die lokale Presse verschickt, in denen um Vernunft beim Feiern gebeten wird. Letzten Samstag gab es nämlich doppelt so viele Patienten in der Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses.

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