Lehrer über derzeitige Beschulung: „Manche kommen zu Hause nicht klar“
Der Präsenzunterricht in Hamburg ist ausgesetzt, doch immer mehr SchülerInnen kommen trotzdem in die Schule. Daniel Schütte über das Lernen im Januar.
taz: Daniel Schütte, wie oft sind Sie derzeit in Ihrer Schule?
Daniel Schütte: Da der Präsenzunterricht in Hamburg ausgesetzt ist, unterrichte ich im Moment drei Tage die Woche von zu Hause aus. Die restlichen Tage bin ich in der pädagogischen Betreuung vor Ort in der Schule.
Wie läuft diese pädagogische Betreuung ab?
Die Schüler, die in die Schule kommen, bearbeiten die selben Aufgaben wie ihre Mitschüler zu Hause. Wir Lehrkräfte unterstützen die Kinder, beantworten ihre Fragen und stellen ihnen Laptops zur Verfügung. Viele Schüler müssen den Umgang mit technischen Geräten noch lernen. Da stellen sich Fragen wie: Wie kann ich eigentlich eine PDF-Datei auf dem Handy öffnen? Welche App gibt es dafür?
Daniel Schütte,
39, unterrichtet an der Stadtteilschule Poppenbüttel. Er ist dort Klassenlehrer in einer 7. Klasse.
Welche Schülerinnen und Schüler kommen derzeit denn überhaupt in die Schule?
Die Schüler, die hier sind, sind zu Recht hier. Sie brauchen dieses Angebot. Zuhause haben sie keinen Computer oder kein Tablet. Wenn sie bei ihren Aufgaben nicht weiterkommen, können sie bei sich zu Hause niemanden fragen. Manche haben nicht mal einen eigenen Schreibtisch. Und viele haben Probleme, sich alleine und ohne Hilfe zu strukturieren. Manche brauchen es auch einfach, ein ausgedrucktes Arbeitsblatt vor sich liegen zu haben, weil sie so besser arbeiten können.
Vor zwei Wochen verkündete die Schulbehörde, dass über 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Schulen zuhause bleiben werden. Wie sieht das in Ihrer Klasse aus?
Bei uns sind aktuell sechs Schüler anwesend, das sind 25 Prozent.
Die Ansage der Schulbehörde war ja eigentlich eine andere...
Das ist richtig, und wir stoßen da langsam an unsere Kapazitätsgrenze. Aber ich will mich nicht mit Prozenten beschäftigen, sondern mit dem Bedarf der Schüler. Wenn ich sehe, dass ein Schüler zu Hause nicht klarkommt, dann ist es meine Aufgabe, dafür zu plädieren, dass er oder sie in die Schule kommt. Ansonsten wird dieser Schüler im Januar nichts lernen.
Ist das besonders an den Stadtteilschulen so?
Das Ganze ist durchaus auch eine Frage der Schulform. Ich kann mir vorstellen, dass es an den Gymnasien anders aussieht. Aber für uns als Stadtteilschule wundert es mich nicht, dass viele Schüler in die Betreuung kommen. Manche melden sich auch selbst bei mir und fragen: Herr Schütte, ich schaffe es hier zuhause nicht, kann ich in die Schule kommen?
Wie reagieren die Schüler:innen, die nicht in die Schule kommen?
Ich glaube, für die Kinder ist das gar nicht so ein großes Thema. Klar, für manche ist es schwer, wenn der beste Kumpel nicht am Nebentisch sitzt. Ich glaube aber, dass diejenigen, die in der Betreuung sind, es zu schätzen wissen, dass sie hier die Möglichkeit bekommen und es nicht heißt: Du musst jetzt zu Hause bleiben.
Was sagen die Eltern?
Das ist ein emotionales Thema. Viele Eltern sind verunsichert: Kann ich mein Kind mit einem guten Gewissen zur Schule schicken? Oder ist es anderen gegenüber unfair, die den Platz dringender bräuchten? Da sind viele in einem inneren Konflikt. Manche Eltern haben Angst, dass ihre Kinder zurückbleiben, wenn sie nicht in die Schule kommen können. Es ist ein Dilemma für die Eltern. Sie müssen zu Hause funktionieren, ihren Job im Homeoffice erledigen und gleichzeitig die Kinder versorgen.
Und wie soll es nun weitergehen?
Eine Kollegin hat mich gestern gefragt: Warum machen sie die Schulen nicht einfach dicht? Sie fühle sich unsicher und möchte Kontakte meiden.
Wie sehen Sie das?
Ich fände eine Rückkehr zum Wechselunterricht gut, sobald es die Situation zulässt. Als Klassenlehrer hätte ich die Schüler so besser im Blick. Wenn ich die Schüler wochenweise vor Ort sehe, bleibt niemand auf der Strecke liegen.
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