Lehrer über Antisemitismus bei Muslimen: „Konfrontativ und schnell reagieren'“

Viele Muslime haben antisemitische Einstellungen – genauso wie andere Deutsche, sagt der Vorsitzende der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus.

Ein Mann mit Kippa vor dem Brandenburger Tor

Kundgebung „Steh auf! Nie wieder Judenhass!“ des Zentralrats der Juden in Deutschland vor dem Brandenburger Tor in Berlin, 2014 Foto: dpa

taz: Herr Hızarcı, an einer Friedenauer Schule wurde ein jüdischer Schüler über Monate antisemitisch drangsaliert, sodass er die Schule verlassen hat. Der Fall hat in den Medien ziemlich hohe Wellen geschlagen. Zu Recht?

Derviș Hızarcı: Ich denke, ja. Vor allem jüdische Communitys haben deutlich gemacht, dass so ein Vorfall in keinster Weise toleriert werden darf. Es ist wichtig, ihre Sorgen und Ängste ernst zu nehmen. Umso bedauerlicher ist es, dass in dieser Deutlichkeit hauptsächlich Reaktionen von den jüdischen Communitys kamen. Wünschenswert wären klare Stellungnahmen anderer Akteure, auch muslimischer.

Gibt es solche Fälle oft?

Nicht in dieser extremen Form der Schikane, des Drangsalierens. Dass ein Kind aufgrund seiner jüdischen Identität über Monate so fertiggemacht wurde, ist erschreckend – und in dieser Form glücklicherweise selten.

Dennoch hieß es ja gleich, „die Muslime“ haben eben ein Antisemitismusproblem.

Ja. Es gibt die Tendenz innerhalb der jüdischen Gemeinden, zu sagen, dass Antisemitismus insbesondere ein Problem von Muslimen sei. Und hier hat man – wenn man so eine Einstellung hat – eine Bestätigung, einen „Beweis“ dafür.

Sie stimmen dem nicht zu?

Der Expertenbericht 2012 des Bundestages zu Antisemitismus hat gezeigt: Es gibt eine stabile Zahl von rund 20 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung, die latent antisemitisch sind. Es gibt aber bis dato keine repräsentativen Forschungsergebnisse zu antisemitischen Einstellungen speziell bei Muslimen. Der Friedenauer Fall verdeutlicht die Notwendigkeit einer verstärkten Auseinandersetzung damit. Nichtsdestotrotz darf hier der Blick auf die gesamte Gesellschaft nicht verloren gehen. Dazu gehören der Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft und auch der in der rechten Szene, die immer sichtbarer wird und sich einbildet, eine im Zentrum stehende Volksstimme zu sein. All dies wird mit diesem Fokussieren auf muslimischen Antisemitismus relativiert. Zudem schürt man den antimuslimischen Rassismus, indem man sagt: Schaut, zu all den Problemen, die Muslime haben, kommt noch der Antisemitismus hinzu. Also noch ein „Beweis“, dass Muslime eine Problemgruppe sind. All das führt in keiner Weise dazu, dass Probleme erkannt und angegangen und gelöst werden. Eher verstärken sie problematische Tendenzen.

Aber stimmt es nicht, dass gerade krasse antisemitische Fälle etwa mit Gewaltanwendung oft von Muslimen begangen werden? Auch der Rabbiner Daniel Alter wurde von „arabisch-muslimischen“ Jugendlichen überfallen.

Anders ausgedrückt hieße das: Sind Muslime hier also gewalttätiger? Ja, da ist etwas Wahres dran. Das muss man im Blick haben und auch dagegen vorgehen. Aber es geht nicht darum, einzelnen den schwarzen Peter zuzuschieben, sondern nach Partnern und Zugängen zu suchen, um Probleme anzugehen. Denn man braucht muslimische Partner, um gegen Antisemitismus vorzugehen.

33, Lehrer an einer Kreuzberger Oberschule und Vorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (Kiga).

Welche Rolle spielen eigene Ausgrenzungserfahrungen von muslimischen Jugendlichen, spielt antimuslimischer Rassismus?

Das spielt eine Rolle. Aber es wäre falsch und griffe zu kurz, wenn man antisemitische Vorurteile allein mit den Ausgrenzungserfahrungen erklären würde. Das eine führt nicht zwingend zum anderen.

Der Gründer der interreligiösen Initiative Salaam-Shalom, Armin Langer, hat gesagt: „Muslime sind die neuen Juden Europas“. Stimmen Sie dem zu?

Nein, ich stimme dem nicht zu. Ich finde es falsch, einen solchen Einheitsbrei zu machen und alles zu vermischen. Wenn er diese Aussage als provokantes Statement gemacht hat, um den Blick auf den zunehmenden antimuslimischen Rassismus in diesem Land zu lenken, kann ich es verstehen. Aber ich bin anderer Meinung.

Und zwar?

Die Muslime sind die Muslime von heute. Wir haben andere Her­ausforderungen und Schwierigkeiten, auch andere Chancen und Möglichkeiten. Ein solcher Vergleich erklärt nichts, man verärgert damit nur viele Leute oder irritiert sie. Schon deshalb ist der Satz problematisch.

Sie haben in einem Kommentar zum Friedenauer Fall in der Jüdischen Allgemeinen geschrieben: „Ja, es gibt antisemitische Muslime, doch es gab zugleich noch nie mehr muslimisches Engagement gegen Antisemitismus.“ Davon hört und liest man tatsächlich selten. Was meinen Sie?

Wir als „Kiga“ haben zum Beispiel einen Peer-to-Peer-Ansatz und ein Programm, das wir Akran nennen. Das kommt aus dem Arabischen und Türkischen und heißt Gleichaltriger oder Peer. Dort bilden wir muslimisch sozialisierte Jugendliche aus zu unterschiedlichen Themen wie Identität, Zugehörigkeit, religiöse Vielfalt, Judentum, Antisemitismus, Islam, antimuslimischer Rassismus, Demokratie. Die neuen Erkenntnisse und Erfahrungen machen sie dann als Peer Educators in ihren eigenen Communitys sichtbar.

Wer meldet sich da so? Doch wohl eher Jugendliche, die keine Antisemiten sind?

Die Kategorie Antisemit ist eher hinderlich. Hilfreich wäre, von antisemitischen Vorurteilen und Stereotypen zu sprechen, und die haben sehr viele Menschen. Auch unsere Peers. Sie bringen alle möglichen Einstellungen und Vorurteile mit, das sind ganz gewöhnliche BerlinerInnen, die hier geboren und aufgewachsen sind, aber zusätzlich eben auch Arabisch oder Türkisch können und einen Bezug zum Islam haben.

Ein 14-jähriger jüdischer Junge verließ kürzlich seine Oberschule in Berlin-Friedenau, nachdem er mehrfach Opfer antisemitischer Beleidigungen und körperlicher Attacken seitens türkisch- und arabischstämmiger Mitschüler geworden war. Die Eltern warfen der Schulleitung vor, zu spät reagiert zu haben. Die Schule kündigte einen möglichen Schulverweis der Täter an. Der Direktor des Jüdischen Gymnasiums sagte, im Schulausschuss der Jüdischen Gemeinde sei es Thema gewesen, „dass wir es mit einem sich manifest äußernden Antisemitismus von Schülern arabischer Herkunft zu tun haben“. (dpa)

Bekommen Sie mit, wie deren Arbeit wirkt, welchen Erfolg sie in ihrem Umfeld haben?

Ja. Die meisten unserer Jugendlichen „teamen“ an Schulen, leiten Workshops oder initiieren eigene Projekte bei anderen Trägern. Viele haben ihre Präsentationsprüfung im Abitur zu dem Thema gehalten, einer hat seine MSA-Prüfung dazu gemacht, eine andere ist jetzt Guide am Jüdischen Museum. Als der Rabbiner Alter überfallen wurde, sind zwei der Jugendlichen nach Friedenau gefahren zu einer Kundgebung, haben dem Rabbi ihre Trauer, ihr Mitgefühl ausgedrückt. Auch wenn die Jugendlichen damit ein gewisses Risiko auf sich nehmen: Sie beziehen Position, privat wie öffentlich, auf der Straße wie online. Sie riskieren damit Konflikte in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld. Aber „unsere“ Jugendlichen sind selbstbewusst genug, um eine klare Haltung zu verteidigen.

Kommt es vor, dass Schulen auf die Kiga zukommen und nach Hilfe fragen, weil sie ein Problem mit Antisemitismus bei SchülerInnen haben?

Ja, das passiert. LehrerInnen sagen uns, dass sie das Thema Religion behandeln wollen, und beim Brainstormen, welche Religionen es gibt, hat ein Schüler bei der Nennung des Judentums „Iiihh“ gerufen. Oder „Jude“ ist als Schimpfwort gefallen, und der Lehrer sagt, er könne es nicht einordnen, wolle das aber auch nicht so stehen lassen. Solche Anfragen bekommen wir, nicht aber zu solchen Fällen wie in Friedenau mit krassem Mobbing.

Welche Rolle spielen Lehrer bei dem Thema? Ist das ein Versagen der Schule als Institution, wenn solche Meinungen bei Schülern so grassieren?

Ich kann mit solchen Verallgemeinerungen nichts anfangen. Es gibt natürlich auch bei LehrerInnen – wie überall – eine große Unsicherheit. Aber so eine pauschale Aussage zu einer Gruppe macht wenig Sinn, egal ob es eine Berufsgruppe ist oder eine Religionsgemeinschaft. Wenn ich Interesse an LehrerInnen oder MuslimInnen habe und etwas verbessern will, dann muss ich Wege der Kommunikation finden, um meine Kritik ordentlich an den Mann zu bringen, ohne diejenigen ausschließlich vor den Kopf zu stoßen.

Sie sind ja auch Lehrer. Was macht man denn, wenn etwa bei einer Diskussion über den Nahostkonflikt ein Schüler sagt: „Alle Juden sind Mörder“?

Wir bei Kiga halten zwei Dinge für wichtig. Erstens soll man solche Aussagen keineswegs ignorieren. Man sollte den Schüler gleich damit konfrontieren. Zweitens sind aber auch konzeptionelle Überlegungen wichtig für den nachhaltigen Umgang mit solchen Herausforderungen sowohl für Lehrende als auch für SchülerInnen.

Wie geht das mit dem schnellen Konfrontieren?

Ich würde sagen: „Wie kommst du darauf?“ – „Na ja, sie töten Palästinenser.“ – „Wer?“ – „Juden.“ – „Woher weißt du das?“ – „Hab ich gesehen.“ – „Wo? Wer genau?“ Man versucht also, konfrontativ im schnellen Dialog zu reagieren. Schnell stellt die Klasse dann fest, aha, das sind nicht „die Juden“, sondern ein israelischer Soldat. Hier kann man auch sagen, es gibt Soldaten, die in besetzten Gebieten den Dienst verweigern, es gibt viele Koexistenzprojekte und Friedensinitiativen. Man kann die Vielfalt jüdischer Identitäten herausarbeiten. Genauso ergiebig ist es, wenn man die Folgen solcher Verallgemeinerungen umgekehrt vor Augen führt: „Guck mal, hier sagen viele, ‚Muslime sind alle Terroristen‘. Du bist doch Muslim. Bist du ein Mörder?“ Solche Ansätze irritieren und bringen zum Nachdenken. Letztlich geht es darum, zu zeigen, es gibt nicht „die Juden“ – genauso wenig, wie es „die Muslime“ gibt.

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