Lehren aus Wirecard-Skandal: „Whistleblower belohnen“
Ökonomen fordern, Insider-Informationen zu honorieren. Milliardenschäden, wie bei Wirecard, ließen sich so verhindern.
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hatte jahrelang nicht bemerkt, dass Wirecard seine Bilanzen geschönt hatte. Das Unternehmen wickelte Zahlungen von Händlern ab und musste jetzt zugeben, dass 1,9 Milliarden Euro „wahrscheinlich“ nie existiert haben.
Zudem müssten Whistleblower besser geschützt werden, fordert Heese. „Skandale werden am schnellsten entdeckt, wenn Insider gefahrlos auspacken können.“ Heese plädiert zudem dafür, Whistleblower zu belohnen. „Schließlich verhindern sie oft Milliardenschäden.“ Auch der Wirecard-Skandal kam erst ins Rollen, nachdem die Financial Times Anfang 2019 Insiderinformationen publiziert hatte.
Finanzexpertin Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mahnt eine engere Kooperation der Zentralbanken an. Denn Wirecard hatte behauptet, dass die fehlenden 1,9 Milliarden Euro auf philippinischen Konten lagern würden. „Es muss für die deutsche Bankenaufsicht problemlos möglich sein, Informationen in den Philippinen einzuholen.“
Dorothea Schäfer, DIW
Leerverkäufe immer noch erlaubt
Insider wetten oft auf fallende Aktienkurse, wenn sie wissen, dass ein Unternehmen in Schwierigkeiten ist. Dazu nutzen sie das Instrument der Leerverkäufe. Der Trick: Man leiht sich Aktien, verkauft diese Papiere zum aktuellen Kurs – und vertraut darauf, dass der Kurs deutlich niedriger ist, wenn man die Aktien zurückkaufen muss, um sie dem Leihgeber wieder auszuhändigen. Diese Leerverkäufe werden im Bundesanzeiger publiziert. „Aber bisher fehlen wichtige Informationen“, moniert Schäfer. „Man weiß nicht: Wer sind die Leihgeber und wie hoch sind die Leihgebühren?“
Allerdings setzt jede Kontrolle voraus, dass die Bankenaufsicht Bafin zuständig ist. Wirecard galt jedoch als Technologieunternehmen, nicht als Finanzdienstleister. „Das ist schlicht unverständlich“, findet Schäfer. „Wirecard hat den ganzen Tag nur Geld bewegt“. Auch Heese fordert, gegen diesen „Flickenteppich der Zuständigkeiten“ vorzugehen. „Auch dafür ist die SEC ein Modell: Sie ist für alle Börsenunternehmen zuständig.“
Ex-Manager im Visier
Derweil gibt es erste Fortschritte bei der Aufklärung des Falls: Am Montag hat sich ein weiterer Wirecard-Manager den Ermittlern gestellt, der Leiter der Konzerntochter Cardsystems Middle East in Dubai. Der Tatverdacht lautet unter anderem auf schweren Betrug, was mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Denn die Tochterfirma in Dubai hat einen Großteil der fiktiven Wirecard-Gewinne verbucht. Der Manager bleibt in Untersuchungshaft, da Flucht- und Verdunklungsgefahr besteht.
Wirecard-Chef Markus Braun hatte sich bereits vor einer Woche den Ermittlern gestellt und konnte die Untersuchungshaft gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro verlassen.
Dafür ist ein weiterer Wirecard-Manager noch flüchtig: Jan Marsalek, der vor allem für das Asiengeschäft zuständig war. Der 40jährige hatte so getan, als wäre er in die Philippinen und nach China gereist, um nach den verschwundenen Geldern zu suchen. Inzwischen hat die philippinische Regierung jedoch offiziell bestätigt, dass Marsaleks Reisedaten von Beamten der philippinischen Einwanderungsbehörde fingiert worden sind. Es ist daher unklar, wo sich Marsalek derzeit aufhält.
Wirecard hat Gewinne in Asien vorgetäuscht, da das Kerngeschäft in Europa und Amerika nicht rentabel war. Wie die Financial Times berichtete, fielen allein im Jahr 2018 Verluste von 74 Millionen Euro an. Trotzdem stieg Wirecard genau in diesem Jahr in den DAX auf und verdrängte dort die Commerzbank.
Zudem steht der Verdacht im Raum, dass Wirecard-Manager Firmengelder hinterzogen und auf Privatkonten transferiert haben könnten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“