Legendärer Greenpeace-Seemann: Der Kapitän und der Knast
Peter Willcox steuerte das Greenpeace-Schiff in Russland, ehe er und seine Crew festgenommen wurden. Selten wurde er so hart bekämpft wie heute.
BERLIN taz | Peter Willcox steht aufrecht in der Zelle hinter den Gitterstäben. Sein Gesicht ist unrasiert, seine Handgelenke sind von Handschellen gefesselt. Willcox’ Blick hat etwas schwer Durchdringbares, eine Spur von Zerknirschung und Trauer, so als wüsste der alte Kapitän diesmal nicht, ob er lachen dürfte und wie ernst es um ihn steht.
Es ist eines der wenigen Fotos aus dem russischen Gefängnis, die Aufschluss darüber geben können, wie es Peter Willcox derzeit geht. Seine Geschichte ist die einer Organisation, die heute wieder so hart attackiert wird wie seit 1985 nicht mehr – als französische Geheimdienstagenten im Hafen von Auckland, Neuseeland, auf Tauchgang gingen. „Operation Satanique“.
Kampfschwimmer des französischen Geheimdiensts tauchten an jenem Abend des 10. Juli 1985 mit zwei Unterwassersprengsätzen von außen an ein Schiff heran, dessen Kapitän in seiner Kajüte schlief. Es war der US-Bürger Peter Willcox, und er hatte das Kommando über die „Rainbow Warrior“, mit dem Greenpeace gegen französische Atomtests auf dem Mururoa-Atoll protestieren wollte. Dann, um 23.38 Uhr, knallte es gewaltig. Das Schiff sank, ein Besatzungsmitglied, der Fotograf Fernando Pereira, kam dabei ums Leben.
Greenpeace war damals noch eine überschaubare Organisation und Peter Willcox 32 Jahre alt. Seitdem hat sich viel verändert. Heute zählt die Umweltschutzorganisation 1.200 Mitarbeiter und 3 Millionen Mitglieder weltweit. Sie führt einen globalen Kampf gegen Umweltzerstörung und gilt als einer der schlagkräftigsten Umweltverbände der Welt. Doch eines ist neu.
Der Piraten-Vorwurf
Peter Willcox, sagen russische Behörden, soll ein Pirat sein, Chef einer „bandenmäßigen Piraterie“ durch Aktivisten, die am 18. September von einem Greenpeace-Schiff aus auf der Ölplattform des russischen Energieriesen Gazprom protestieren wollten. Maskierte Polizeikräfte zückten dabei ihre Waffen, schossen vor den Aktivisten ins Wasser und setzten sie dann fest.
Geht es nach der russischen Justiz, könnten Willcox und seiner Crew – insgesamt 28 Aktivisten sowie zwei angeheuerte Journalisten – dafür 15 Jahre Haft drohen, oder mehr. Die Behörden behaupten, sie hätten illegale Substanzen an Bord des Schiffes gefunden, und drohen mit weiteren Verfahren wegen „schwerer Verbrechen“.
Es ist nicht neu für Peter Willcox, dass er bei Protestaktionen auch mal festgesetzt wird, kurzzeitig inhaftiert, Personalienfeststellung, juristisches Klein-Klein. Aber dass der Mann mit dem breiten Rücken und den prallen Oberarmen ein Pirat sein soll, hatte ihm bislang noch niemand vorgehalten.
Tausende Menschen gingen nach den Festnahmen weltweit für Greenpeace auf die Straßen, 30 Rechtsanwälte kümmern sich inzwischen um ihn und seine inhaftierte Crew. Auf diplomatischer Ebene gibt es ernste Verstimmungen. Es scheint fast so, als seien aus den Davids von damals inzwischen tapfere Goliaths geworden. Aber was sind das für Goliaths, die da in Handschellen hinter den Gitterstäben stehen?
Seit 1981 bei Greenpeace
Peter Willcox ist ein ruhiger, sanfter Mann, dessen Adoptivvater schon Hafenmeister war. Ehe Willcox 1981 zu Greenpeace ging, schipperte er für eine Umweltschutzorganisation über den Hudson River. Auf Deck trägt er einfache T-Shirts, dreckig vom Öl der Maschinenräume. Aktivisten, die mit ihm an Bord waren, erzählen, dass in den Abendstunden, wenn sein Schiff vor Anker liegt, aus ihm so etwas wie das sprechende Archiv eines jahrzehntelangen Kampfs auf hoher See wird.
„Peter“, sagt Kirean Mulvaney, der gemeinsam mit Willcox drei Expeditionen organisiert hat, „verkörpert die Geschichte dieser Organisation.“ Der Kapitän, erzählt Mulvaney, sitze dann oft auf der einen Seite der Brücke, auf der anderen Seite lauschen jüngere Besatzungsmitglieder seinen Geschichten. Willcox erzählt dann, wie nach der Explosion von Auckland die Geräte ausfielen, wie er in der dunklen Kajüte seine Brille nicht fand. Er kann von seinen Expeditionen gegen US-Atombombentests auf den Marshall-Inseln berichten und von seiner Jagd auf sowjetische Walfänger.
„Peter Willcox ist ein Profi. Er hat einen Mut und eine Ruhe, die unbeschreiblich sind. Nichts kann ihn aus der Fassung bringen“, sagt Kirean Mulvaney. Er glaubt, dass sein alter Kapitän auf alles vorbereitet ist, was da in Murmansk nun kommen mag.
Steve Sawyer, 57, war neben Willcox der Chef der Mission, als in Auckland die Bombe hochging. Beide bauten in den 80er Jahren Greenpeace mit auf, restaurierten die Schiffe, installierten die ersten Segel auf der „Rainbow Warrior“, einem einst schweren Maschinenschiff, um auf hoher See ökologischer voranzukommen. Gemeinsam dokumentierten sie das Treiben illegaler sowjetischer Walflangflotten.
Ruhiger, nimmermüder Mann
„Peter war immer ein Schlitzohr“, sagt Sawyer. „Die großen Boote der russischen Küstenwache waren damals viel schneller als wir, konnten aber nicht so schnell bremsen und beschleunigen.“ Sawyer erzählt. „Willcox beschleunigte, bremste, beschleunigte, bremste, beschleunigte, bremste, immerfort, über Stunden hinweg. Sie konnten uns nicht kriegen, weil Peter zu trickreich war.“
Wenn Sawyer heute von seinem alten Gefährten erzählt, dann wie von einem ruhigen, nimmermüden Mann, der immer ein David blieb in seinem Kampf gegen Goliath. Willcox konnte das nie: aufhören.
Kirean Mulwaney und Steve Sawyer hatten irgendwann genug von Greenpeace. Mulwaney arbeitet heute als Journalist in den USA. Sawyer trägt einen gepflegten, spitz zulaufenden Vollbart und arbeitet als Lobbyist für Windenergieunternehmen in Amsterdam. Sie beide denken in diesen Tagen immer wieder an ihren alten Freund Peter Willcox und fragen sich, wie es ihm nun wohl ergeht. Sie glauben, dass er eine große Hilfe ist für die Jüngeren, die mit ihm in der Haft sitzen, aber sie können auch nur auf ein Foto blicken, das schwer zu deuten ist. Es zeigt seinen offenen Blick, kein Ende in Sicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker