Lechts? Rinks? Oder was?

Andrea Fischer repräsentiert die modernen Grünen: mit alternativen Konzepten zur Sozialpolitik, überhaupt mit Vorschlägen, auf daß sich etwas ändert im Sinne einer ökologischen Politik. Thomas Ebermann war bei den Grünen einst tonangebend: als rhetorisch glänzender Politiker, der sich jeder Avance der Etablierten wie der SPD strikt verweigerte. Fischer beharrt darauf, selbst kleinste Reformen auf den Weg bringen zu wollen. Ihr Kontrahent erkennt darin eine Anpassung an die herrschenden Verhältnisse.Beide trafen sich zum Streitgespräch. Moderiert haben es  ■ Petra Groll und Jürgen Gottschlich

taz: Herr Ebermann, Frau Fischer, die Grünen stehen, fast zwanzig Jahre nach ihrer Gründung, vor der Tür zur Macht. Wie anders im Verhältnis zu den etablierten Parteien sind die Grünen noch, wieviel aufmüpfiges Potential haben sie noch?

Ebermann: Man kann die Grünen nicht mehr unabhängig von den Plänen und Ambitionen dieses Staates beschreiben. Ein Land in der Weltmarktkonkurrenz zu organisieren ist ja nicht gerade eine Selbsterfahrungsgruppe. Dafür braucht man Leute, die programmatisch und persönlich skrupellos genug sind, diese Erfordernisse zu realisieren. Sie müssen behaupten, die Arbeit sei in Deutschland zu teuer und deshalb müßten Lohnsenkungen her, sie müssen Abschiebungen und Abschottung organisieren, sie müssen eine Diplomatie unterstützen, die die gewachsene Bedeutung Deutschlands politisch realisieren will – und deshalb müssen sie äußerstenfalls auch kriegsfähig sein. Das alles sind die Grünen, und deshalb sind sie auch eine denkbare Regierungspartei. Das bedeutet nicht, daß sie das jetzt werden, aber sie haben keinen Makel mehr, der ihnen den Dienst an diesen deutschen Ambitionen verwehren würde.

Also eine Partei wie jede andere auch?

Ebermann: Jede andere in diesem Sinne. Ansonsten streiten Parteien natürlich. Zum Beispiel darüber, ob eine Berufsarmee oder eine Wehrpflichtigenarmee sinnvoller ist. Das ist aber kein Streit zwischen rechts und links, sondern nur darum, wie man Ziele, die aus meiner Sicht brutal sind, am besten erreichen kann. Dasselbe gilt für den Streit um die Erhöhung von Verbrauchssteuern, die jetzt Ökosteuern heißen. Es ist normal, daß für eine große Schweinerei wohlklingende Wörter gebraucht werden. Es ist normal, daß Eliten streiten, ob man eine Ökosteuer lieber nach diesem oder nach jenem Modell erheben soll. Das hat aber doch mit links oder rechts nichts zu tun. Die Grünen sind Teil dieser Debatte innerhalb der Elite dieses Landes.

War das denn einmal anders? Waren die Grünen, als Sie 1987 Sprecher der Bundestagsfraktion waren, eine Alternative zum herrschenden System?

Ebermann: Die Grünen waren damals mit den Plänen der „Deutschland AG“ nicht kompatibel. Es war ja nie eine Partei nach meinem Gefallen. Aber zum Beispiel das Umbauprogramm der achtziger Jahre sah eine Grundsicherung von 1.500 Mark vor. Jetzt sind sie zu 800 Mark gereift. Das eine ist der Strategie der Verarmung angemessen, das andere war unangemessen, da wäre es den Leuten zu gut gegangen.

Andrea Fischer: Ich denke, der Hauptunterschied zwischen uns ist, daß ich mich als Teil dieser Gesellschaft sehe und sie mir nicht quasi von außen anschaue. Ich muß mich mit den Widersprüchen auseinandersetzen und mich darauf einlassen, daß sich auch die Bedingungen für linke Politik verändern. An diesen Veränderungen hat die linke und alternative Bewegung doch auch ihren Anteil: Wir haben die Idee vom sozialen Ausgleich immer auf der Tagesordnung gehalten und damit dazu beigetragen, daß der Neoliberalismus trotz seiner parlamentarischen Mehrheit bei uns nicht so wüten konnte wie in den USA oder Großbritannien. Heute wird nicht mehr darüber diskutiert, ob Rot-Grün die AKWs abschaltet, sondern in welchem Zeitraum. Das ist auf unsere Politik zurückzuführen und darauf, daß wir Menschen überzeugen konnten. Vor diesem Hintergrund ist mir die Weltsicht von Thomas Ebermann doch sehr fremd. Eine Weltzentrale des Kapitalismus, auf die alles ausgerichtet ist, diese hermetische Weltsicht teile ich nicht. Die Idee, es gäbe ein Zentrum der Verschwörung und linke Politik bestehe darin, dagegen vorzugehen, das teile ich nicht.

Wie sieht denn dann linke Politik heute aus? Vertreten die Grünen noch linke Politikvorstellungen?

Fischer: Linke Politik unterscheidet sich von rechter Politik immer noch dadurch, daß sie einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung, zu gesellschaftlichen Ressourcen insgesamt anstrebt – linke Politik versucht, Unterschiede auszugleichen. Die Grünen stehen ganz überwiegend im linken Spektrum, aber ich behaupte, auch linke Politik hat sich verändert und mußte sich ändern. Als ich 1985 zu den Grünen gegangen bin, wollte ich, ähnlich wie Ebermann, aus den Grünen eine ordentliche Linkspartei machen. Das ist bekanntermaßen gescheitert. Die Grünen sind in der Rechtspolitik eine liberale Partei, und sie sind eine Partei, die sich für Gleichberechtigung in der Gesellschaft einsetzt. Auf der anderen Seite haben wir gelernt, daß sich die Ökologiefrage schwer in die Kategorien von links und rechts einordnen läßt. Moderne linke Politik zeichnet sich nicht dadurch aus, daß sie einen Bauplan der Revolution nachzeichnet, sondern daß sie verschiedene Zielgrößen miteinander in Einklang bringt: politische Freiheit, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit.

Ebermann: Wir brauchen doch hier kein Kostümfest zu machen. Jedesmal wenn ich den Fernseher einschalte und einen Grünen höre, erklärt mir dieser, warum er nicht links ist. Bei aller vermeintlichen Kompliziertheit gibt es für mich immer noch ein paar Säulen linker Politik. Dazu gehört als erstes: diesem System kein Mann und kein Groschen. Ganz im Sinne der Sozialdemokratie vor der Jahrhundertwende. Das schließt aus, daß man sich hinter die Bundeswehr stellt oder über ihre Verwendung mitdiskutiert. Egal ob unter blauen, grünen oder grauen Helmen. Links sein heißt prinzipielle Gegnerschaft gegen imperiale Pläne. Links sein heißt kein Vaterland haben, nicht um einen nationalen Standort in der Welt rangeln, sondern denen, die in diesem System das Sagen haben, die Pest an den Hals wünschen. Links sein heißt, Menschen nicht nach Hautfarbe oder Paß zu sortieren. Und links sein heißt Umverteilung fordern und Armut bekämpfen. 800 Mark Grundsicherung ist aber ein Armutsprogramm. Damit ist die Frage nach links oder nicht links doch eindeutig beantwortet. Die Grünen sind eine Partei. Punkt.

Fischer: Ja, die Grünen sind eine Partei, natürlich. Eine Partei, die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen deutlich besser stellen wird und die mit der Grundsicherung das heutige Niveau der Sozialhilfe spürbar anheben wird.

Herr Ebermann, haben Sie sich, als Sie bei den Grünen Mitglied wurden, diese Entwicklung nicht vorstellen können?

Ebermann: Es gab in der Geschichte der Partei eine Phase, in der es Linken sinnvoll schien, die Momente von Gegnerschaft zum System, die rebellischen Momente aus sozialen Bewegungen, die es in der Anfangsphase bei den Grünen gegeben hat, dort zu verstärken. Zu diesen Linken habe ich gehört. Es gab zwei antagonistische Optionen bei den Grünen, die miteinander gerungen haben. Das kann man eine Anzahl von Jahren durchhalten, dann setzt sich eine Option durch. Die staatstragende hat sich durchgesetzt, und wir sind gegangen. Ich hatte gehofft, daß ein paar mehr mitgehen, aber na ja.

Warum haben Sie, bei dieser Beschreibung ihrer Rolle innerhalb der Grünen, dann mit zu den ersten gehört, die mit der SPD 1982 über eine grüne Beteiligung an der Macht verhandelt haben?

Ebermann: Ich glaube, es ist keine besondere Enthüllung, wenn ich sage, ich gehörte zu denen, die diese Verhandlungen mit dem Ziel geführt haben, sie platzen zu lassen. Da gibt es keine Geheimprotokolle. Die Verhandlungen waren öffentlich, und jeder kann das nachvollziehen. Aber Sie haben recht, aus meiner heutigen Sicht würde ich sagen, es war ein Fehler, diese Sondierungsgespräche zu führen.

Was sollte das denn dann überhaupt?

Ebermann: Es gab eine Zeit, da konnte man Sitzungen bei den Grünen betreten und einleitend sagen: Ich glaube, ich hab' eine gute Idee, wie man die Sozialdemokraten vorführen kann. Später kehrte sich das dann dahin um, daß Leute wie ich unter dem Generalverdacht standen, man wolle nur entlarven, man wolle nur vorführen, statt konstruktive Vorschläge zu machen. Dieser Stimmungsumschwung war eigentlich ein Indiz dafür, wie die Auseinandersetzung bei den Grünen ausgehen würde. Die Zeit, in der man das Parlament als Tribüne nutzen wollte, ging zu Ende.

War das nicht von Anfang an klar? Warum soll man eine Partei gründen, wenn man letztlich zur Durchsetzung seiner Inhalte nicht auch an der Ausübung von Macht beteiligt sein will?

Ebermann: Warum eine Partei gründen? Es hat in der Geschichte die unterschiedlichsten Gründe dafür gegeben. Man muß ja nicht zu hoch greifen: Sand im Getriebe sein, den Mächtigen in die Suppe spucken, Aufklärung betreiben, mobilisieren, mehr werden, das reicht doch. Das ist doch in Ordnung, das war das tragende Motiv. Wenn sich ein solches Lager bildet, dann fallen Reformen als Zugeständnis an seine Stärke doch fast automatisch ab. Das alles ist es schon längst nicht mehr, deswegen muß man doch auch diese Links-oder- rechts-Nummer nicht mehr aufführen.

Fischer: Es gehört ja leider zur linken Tradition, daß schon immer Leute für sich das Monopol beansprucht haben, festlegen zu können, was anständig links ist. Thomas Ebermann hat sowenig wie jeder andere dieses Definitionsmonopol. Es gibt keine höhere Instanz, die das festlegt. Wenn ich dich reden höre, habe ich das Gefühl, in den letzten zehn Jahren hat sich nichts verändert, es ist nichts passiert, was dich beeindruckt hat. Weder die Erfolglosigkeit der Linken noch der Verlust einst eherner linker Überzeugungen. Das ist doch eine luxurierende Haltung: Die Wirklichkeit und der eigene Kanon von Überzeugungen entwickeln sich immer weiter auseinander – und du machst einfach nichts mehr. Wenn man sich um die Verhältnisse in dieser Gesellschaft ernsthaft Sorgen macht, kann man doch nicht sagen, über die Einzelheiten brauch' ich nicht zu reden, ich weiß im Prinzip doch sowieso, was los ist. Die meisten Menschen sind mit den alltäglichen Schwierigkeiten konfrontiert und erwarten deshalb, daß man sich darum kümmert.

Ebermann: Ich will dich nicht in die rechte Ecke drängen. Wenn dich das Wort „rechts“ stört, nehme ich das zurück und ersetze es durch das Wort „normal“. Wir leben ja insgesamt in einer Zeit, in der man sich auf keinen Begriff mehr einigen kann. Vor zehn Jahren hätte man allgemein noch angenommen, mit dem Wort „Reform“ verbindet sich eine wie auch immer geartete Verbesserung. Heute verkürzt jede Gesundheitsreform die Lebenserwartung. Oder „Ökologie“. Das A und O von Ökosozialismus war, daß, solange das Diktat von Konkurrenz und Wachstum, solange dieser unbedingte Verwertungszwang herrscht, Schritte zur Harmonisierung des Menschen mit seiner äußeren Natur nicht möglich sind. Heute ist Ökologie ein nationales Projekt: alle gegen Brent Spar, kauft deutsches Benzin.

Was Sie jetzt beklagen, ist nicht neu. Die Entscheidung für eine reformatorische Politik bei den Grünen ist im Prinzip 1985, mit dem Einstieg in die Koalition in Hessen gefallen. Warum sind Sie da nicht gegangen? Warum erst 1990?

Ebermann: Das ist heute schwer zu sagen. Das hatte mit Rücksichtnahmen auf politische Freunde, Festhalten an politischen Konzepten aus einer Minderheitenposition heraus und auch mit falschen Einschätzungen zu tun.

Fischer: Was ich nicht verstehe, was mich immer interessiert hat, ist: Was war, was ist die politische Alternative zu einer Reformpolitik? Was ist dein politisches Projekt?

Ebermann: Wenn man es bescheiden formuliert, ist das politische Projekt, durch Zeiten des Wahns und des Irrsinns ein paar kluge Gedanken zu retten.

Fischer: Für jemanden, der das System aus den Angeln heben will, ist das aber ein sehr bescheidener Anspruch.

Ebermann: Jemand, der sich der Ratio verpflichtet fühlt, der reflektiert eben die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse.

Fischer: Das ist doch eine verantwortungslose Bequemlichkeit! Man kann sowieso nichts tun, also läßt man dann auch den Scheißreformismus der Grünen. Wenn dein Haß auf die politischen Verhältnisse so groß ist, kann es doch nicht reichen, ein paar kluge Gedanken zu retten. Ich kenne viele Leute, die sich weder bei den Grünen noch in anderen Parteien engagieren wollen, aber dennoch eine Menge tun, um Leute zu unterstützen, die an den von dir beklagten Verhältnissen leiden. Nach allem, was in den letzten zehn Jahren passiert ist, staune ich über den Starrsinn, mit dem du weiterhin daran glaubst, es sei ein kompletter Systemwechsel möglich. Wie lange willst du denn darauf warten? Ist denn nicht aus den unzähligen Opfern revolutionärer Avantgardepolitik zu lernen, daß der Glaube an ein anderes, „besseres“ System, um dessentwillen dann auch Menschen auf der Strecke bleiben müssen, sich längst selbst diskreditiert hat? Ich frage mich, ob man so eine Position einnehmen kann, wenn man die Menschen, für die du ja etwas verändern willst, wirklich gerne hat.

Ebermann: Ich muß vielleicht noch etwas verdeutlichen. Ich halte die Grünen nicht mehr für eine reformistische Partei.

Fischer: Was sind die Grünen dann?

Ebermann: In dem Wort „reformistische“ Partei liegt eine Ahnung davon, gegen die Kapitallogik orientiert zu sein. Eine reformistische Partei heute wäre eine linkskeynesianische Partei, die der Kapitallogik widerspricht. Das tut ihr nicht. Eine reformistische Partei müßte wenigstens dazu in der Lage sein, eine Rühe-Position von Anfang der neunziger Jahre durchzuhalten – wo einmal die deutsche Armee gewütet hat, geht die Bundeswehr nicht wieder hin. Eine reformistische Partei, die mitregiert, müßte wenigstens in der Lage sein, dafür zu sorgen, daß es Flüchtlingen, die sich hier durchschlagen wollen, etwas besser geht, als es ihnen vorher ging. Das ist alles bei euch nicht der Fall.

Fischer: Wir können über alle diese Punkte jetzt diskutieren, mir fällt aber auf, daß du mir auf meine Fragen keine Antwort gibst. Ich habe das Gefühl, aus dieser Haltung heraus wirst du alles, egal was wir machen, für zuwenig, zu kapitalorientiert, zu militaristisch finden. Wie wir es machen, ist es falsch, aber du begnügst dich damit, die Weltläufte zu kommentieren. Wenn ich mich hinstelle und sage, ich kann die Ökologiefrage erst lösen, wenn das System geändert ist, häufen wir die ökologischen Probleme doch nur zu immer größeren Katastrophen auf. Müssen wir erst auf Verhältnisse wie in Malaysia warten, wo niemand mehr Luft bekommt, damit die Leute zu einem Systemwechsel bereit sind? Ist das deine spezifische Variante der Verelendungstheorie?

Ebermann: Jetzt fehlt nur noch, daß du von der Bürde der Verantwortung redest. Das, was du sagst, kann doch einfach nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Grünen heute sogar finden, daß die Lohnkosten zu hoch sind und deshalb der Ertrag der Ökosteuer den Arbeitgebern zur Verfügung gestellt werden soll.

Fischer: Es ist doch sicher auch dir nicht entgangen, daß die Lohnnebenkosten zur Hälfte von den Arbeitnehmern getragen werden, die dann ja offenbar auch was davon haben, wenn wir die Ökosteuer zur Senkung der Lohnnebenkosten verwenden wollen. Das ist auch notwendig, denn das größte Problem ist für Ökologen heute doch, wie man Leute, die alle nicht gerade Helden des Verzichts sind, für einen ökologischen Umbau gewinnt. Wenn wir die Bevölkerung nicht gewinnen, machen wir einfach so weiter wie bisher. Und das kann doch nicht die Alternative sein. Ich mache jetzt seit fast zwanzig Jahren Politik, und ich habe lange genug gesagt, was ich falsch finde. Wir müssen auch sagen, wie wir es besser machen können. Das geht nicht komplett gegen die Bevölkerung. Das kann man als Anpassung denunzieren. Man kann aber auch akzeptieren, daß, wenn man politische Verantwortung übernehmen will, man sich an der Praxis messen lassen und seine Forderungen so formulieren muß, daß man sie auch realisieren kann. Das bedeutet nicht, daß ich deshalb Werte aufgeben würde, für die ich bislang gekämpft habe. Ich finde auch nicht, daß wir, wenn man sich unser Programm anschaut, eine ambitionierte Reformpolitik aufgegeben haben.

Ebermann: Wenn ich jetzt hier mit Schäuble säße, wäre eine Sache nicht im Gespräch: daß er ein Linker ist. Trotzdem wäre der Mann auch voller Pläne, was man so ändern kann und muß. Manches davon könnte ich kritisieren, anderes interessiert mich gar nicht. Ohne jede Verschwörungstheorie wäre doch klar, Schäuble verfolgt ein Projekt. Dieses könnte ich kenntlich machen. Er will den Standort Deutschland kapitaladäquater machen, er will deshalb Lohnkosten senken, in den UN-Sicherheitsrat und hat deshalb eine bestimmte Vorstellung, wann Militäreinsätze sinnvoll sind und wann nicht. Säße ich hier mit Schröder und bemühte mich, ihn unvoreingenommen mit Schäuble zu vergleichen, hätte ich keine Idee, wer von denen rechts oder links ist. Ich weiß nicht, ob Schröder seine Parole, Ausländer schneller abzuschieben, nicht in einem Umfang durchziehen wird, den die CDU sich nicht zutraut, nur um zu demonstrieren: Wir können das. In diesen Kategorien mischt ihr mit. In zentralen Fragen unterscheidet ihr euch in Nuancen, aber im Kern nicht.

Sie haben anfangs gesagt, Aufgabe der Grünen wäre es, Sand ins Getriebe zu streuen. Was wäre passiert, wenn statt der „staatstragenden Grünen“ die Linke um Ebermann den Kampf gewonnen hätte?

Ebermann: Wenn wir nur innerparteilich gewonnen hätten, wäre die Grüne Partei wahrscheinlich am Ende. Wenn wir gewonnen hätten in einem Kontext der Radikalisierung außerparlamentarischer Kräfte, dann hätte sich unser Konzept getragen. Unsere Isolierung, unser Verschwinden aus der Partei, war Wählerwille. Es war nicht Ergebnis taktischer Winkelzüge, die gab's auch, aber das war nicht entscheidend – ein politisches Konzept einer nicht angepaßten, rebellischen, Kapitalinteressen widersprechenden Partei kann sich ja nur tragen, wenn in der Gesellschaft eine Unruhe und Umkämpftheit herrscht, die es hier jetzt nicht gibt. Wenn eine riesige, entschlossene, vielleicht sogar militante Anti-AKW-Bewegung den Minister Joschka Fischer ausgelacht hätte, dann hätten die Ökosozialisten eine Chance gehabt. Es gibt keine Politik jenseits dessen, was in der Gesellschaft los ist.

Muß man seine eigene Politik nicht auch daran orientieren, wo sich die Gesellschaft befindet? Wird sonst der eigene Mißerfolg nicht programmiert?

Ebermann: Letztlich kann man, glaube ich, nur zwischen richtig und falsch entscheiden und nicht zwischen Erfolg und Mißerfolg. Diejenigen, die am Vorabend des Ersten Weltkriegs gehofft hatten, daß am Tag der Kriegserklärung ein Generalstreik ausbricht, haben doch nicht deshalb falsch gelegen, weil die Leute statt dessen singend in den Krieg gezogen sind. Der Vorschlag des Generalstreiks war trotzdem richtig. Hätte es ihn gegegeben, wären jene Sozialisten, die dafür eingetreten waren, später als klug gefeiert worden.

Politiker, selbst Revolutionäre, werden daran gemessen, ob sie Erkenntnisse in praktisches Handeln umsetzen können.

Ebermann: Wenn sie scheitern, sind sie Putschisten, wenn sie siegen, sind sie kluge Revolutionstheoretiker. Am Anfang einer Rebellion steht immer der Gedanke: Vielleicht geht es doch. Was Dutschke und alle anderen 1968 in die Waagschale geworfen haben, war diese Haltung: Vielleicht geht es doch. In Situationen des Scheiterns erscheint das Bestehende als Naturgesetz. Nach einem Sklavenaufstand, der niedergeschlagen wurde, sagen die Sprecher der Sklaven in aller Regel, durch unsere Niederlage ist bewiesen, wir haben gegen eine natürliche Ordnung rebelliert. Deswegen ist das, worüber wir sprechen, auch nichts Neues und völlig unspektakulär.

Fischer: Es stimmt, daß Erfolg nicht darüber entscheidet, ob eine Idee richtig oder falsch ist. Das enthebt aber auch die Linke nicht der Notwendigkeit, sich zu fragen: Warum folgen die Leute meinen Vorschlägen nicht? Sind die Leute dumm, oder was sonst? Was uns unterscheidet, ist, daß ich mich dazu entschlossen habe, auch um Leute zu werben, die meiner Sicht erst einmal nicht folgen. Die Linke muß sich mehr bemühen, die Leute zu gewinnen. Ich habe seit zwei Jahren nun kreuz und quer durch die Republik über Grundsicherung diskutiert. Entgegen deiner abschätzigen Bewertung bin ich auf viele Leute getroffen, die auf einen Blick erkennen, welche Verbesserung das gegenüber der heutigen materiellen Lage bedeutet, und die es zu würdigen wissen, daß wir dem herrschenden Ausgrenzungsdiskurs eine Bürgerrechtspolitik entgegensetzen. Ja, daß wir überhaupt den Skandal der Armut in einem reichen Land wieder auf die Agenda setzen. Und dann sitzen da nicht die Reichen, sondern Leute, die selbst nicht viel verdienen und wissen wollen, warum andere aus ihren Steuergeldern eine Grundsicherung bekommen sollen, ohne dafür zu arbeiten. Mit denen streite ich darum, daß es in einer Situation der Massenerwerbslosigkeit nicht darum gehen kann, den Armen ihre Unterstützung zu neiden. Kluge linke Politik muß nicht nur den Unterschied zur „herrschenden Meinung“ ausdrücken, sondern zugleich danach suchen, wie ihre Politik Anschluß an das Denken der Menschen findet. Sonst bleibt das doch nur Besserwisserei.

Ebermann: Ich bestreite gar nicht, daß da ein Problem ist. Ich kenne genug Umfragen unter Gewerkschaftern, bei denen gefragt wurde, ob Sozialhilfebetrug stärker bestraft werden soll. Regelmäßig sagen 80 bis 85 Prozent, ja, soll härter bestraft werden, und wir sind für den Einsatz von Sozialdetektiven. Wir wollen Schmarotzer bestraft sehen. Das erklärt sich aus dem schlichten Satz: Das herrschende Bewußtsein ist das Bewußtsein der Herrschenden. Daß die Leute so sind, hat etwas mit der Verfaßtheit der Gesellschaft und der kapitalistischen Produktionsweise zu tun. Und wenn man da Menschen aus diesem Hamsterlaufrad herausholt, dann ist das doch mehr wert als alles andere.

Fischer: Ja und, sollen wir deshalb aufhören, Politik zu machen? Stell dir vor, das grüne Programm würde umgesetzt. Dann hättest du eine Umverteilung von oben nach unten, endlich wieder eine humane Flüchtlingspolitik, endlich gleiche Rechte für MigrantInnen, den Ausstieg aus der Atomenergie und den Einstieg in eine ökologische Lebens- und Arbeitsweise. Das wird für viele Menschen einen großen Unterschied machen. Aber selbst wenn wir eine Grundsicherung von 2.000 Mark fordern, es würde aus deiner Sicht dennoch vergebliche Mühe sein.

Ebermann: Nein, gar nicht. Wenn ihr sagen würdet, angesichts der wirtschaftlichen Lage – der Export boomt, die Konzerne kaufen ein wie wild, also Geld ist genug da – wir wollen kein Armutsprogramm, die Löhne müssen rauf: Das wäre reformistisch. Wenn ihr sagen würdet, beim Asylrecht wollen wir die De-facto- Abschaffung wieder rückgängig machen, wenn ihr für den Status quo ante streiten würdet, das wäre reformistisch, weil gegen die herrschenden Ambitionen gerichtet. Aber auf keinem Feld ist dieser Begriff des Reformismus auf euch anzuwenden.

Leicht gekürzte Fassung des Streitgesprächs; vollständig steht es zu lesen im taz-Journal „Die grüne Gefahr“.