Lebensplanung der Twentysomethings : No safety first
Immer mehr Menschen in meinem Umfeld gründen Familien, schließen Versicherungen ab, sprechen über Lebensplanungsicherheit. Und ich? „Du bist doch auch schon fast 28“, sagt mein Vater.
Von RUTH FUENTES
taz FUTURZWEI, 02.02.23 | Montagmorgen, Kotti, Berlin. Es ist irgendwas zwischen 9 und 12 Uhr morgens und ich bin mal wieder zu spät. In Gedanken an irgendwelche Emails, die ich unbedingt beantworten muss und daran, dass die Woche gerade erst beginnt, lande ich doch auf Insta.
Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.
Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.
Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.
Kathi hat wieder den besten #sushiplace der Stadt gefunden und will das mit uns allen teilen. Lasse – wer auch immer das ist – macht wieder #metime. Dann Werbung, dass ich mich doch endlich bei McKenzie bewerben soll. (Leute, immer noch nein!) Ah, und Hannes und Kiara sind jetzt verheiratet – Ringemoji – und bekommen ein Kind – Babyflaschenemoji.
„Ein Kind?!“ Die Frau neben mir auf dem U-Bahnsteig schaut mich irritiert an. Das Baby in ihrem Kinderwagen schläft weiter.
„Ich meine, die waren in meiner Stufe, und jetzt ist sie schwanger!“ versuche ich zu erklären, aber sie starrt mich nur mit ihren Augenringen an. Hannes und Kiara sehen so glücklich aus auf den Fotos. Wie er so seine Hand auf ihren Bauch legt. Das muss sich warm und geborgen anfühlen, denke ich. Sie sitzen auf einem weichen Sofa im eigenen (!) Haus.
Im Leben angekommen
Ich erinnere mich, dass das meine Eltern erwähnt hatten: Du, die haben sich ein Haus gebaut. Das Licht ist warm, draußen der verschneite Wald. Auf den Hügeln meines Heimatorts. Er: Lehrer, sie: Angestellte bei der Stadt. Eindeutig angekommen. In der Stadt, aus der sie niemals weg sind.
„Und du?“ hatte mein Vater gefragt. „Wie sieht’s mit deinem WG-Zimmer aus? Die Zwischenmiete läuft doch langsam aus, oder?“
„Ach, ich schaue mich grade um, ich find' schon was.“ Wir sitzen am Esstisch, in ihrem Einfamilienhaus, das jetzt endlich abgezahlt ist. Badische Kleinstadt, Stadtrand, Waldrand. Um hierherzukommen muss man, wenn von der Autobahn abgefahren ist, 35 Kilometer Landstraße fahren, dann einen Hügel hoch.
Die Gehwege sind leer, aber sauber gefegt. Außer vielleicht, wenn Kirch- oder Sportfest ist. Ansonsten: Ruhe. Geborgenheit? Letztens hatte ich eine Studie darüber gelesen, dass das die Umgebung ist, in der die Mehrheit der Deutschen gerne ihre Kinder aufwachsen lassen und ihren Lebensabend verbringen möchten.
„So kann man doch nicht leben, Ruth.“ Mein Vater schüttelt den Kopf. „Während des Studiums vielleicht, aber du bist doch jetzt schon fast 28. Du musst doch langsam mal anfangen, dein Leben zu planen. “
Ich habe doch alles, was ich brauche
Lebensplanung? Aber ich habe doch einen Job. Ich habe sogar Spaß und guten Sex.
Ich versuche ihm zu erklären, dass ich klarkomme. Dass ich was zu essen habe und ein Bett zum Schlafen. Und erinnere mich, dass meine Eltern ihr Bett damals beim Kauf versichert hatten und dass mein Vater dazu noch jede Menge andere Versicherungen und mindestens zwei Lebensversicherungen hat. Und ich das nie verstanden habe, weil tot ist tot.
„Und ein Ziel, hast du das?“ fragt mein Vater, steht auf und macht die Tagesschau an. Mehr Tote in der Ukraine, Lützi geräumt, das Rentenalter soll an die steigende Lebenserwartung angepasst werden, schlägt die CDU vor.
„Schreiben, die Welt verstehen, mitgestalten.“
Er schüttelt schon wieder mit dem Kopf.
„Willst du dir nicht etwas aufbauen? Mit deinem Abschluss … Da könntest du doch zur Unternehmensberatung gehen, jetzt nur zum Beispiel. Da hast du dann 'nen festen Job, genügend Geld. Und da kann man ja auch mitgestalten, mmh?“
„Du musst schuften so wie ich!“
Er wirkt müde, merke ich jetzt. Das Haus, der Garten, die Arztpraxis. Das alles hat er sich erarbeitet. Über Jahre. Immer mehr Sachen, die man möglicherweise wieder verlieren könnte. Gleich nach den Nachrichten geht er bestimmt wieder in sein Arbeitszimmer. Es ist Samstagabend, aber die Gutachten schreiben sich eben nicht von alleine. Den einen Artikel, fällt mir dann ein, muss ich ja auch noch fertig schreiben …
„Weißt du“, sage ich. „Es geht mir doch gut. Das klappt schon alles irgendwie. Ich habe Freunde, auf die ich mich verlassen kann … Ich habe ...“
„Du hast keine Sicherheit.“
Da ist sie wieder, die vermeintliche Sicherheit. Bedeutung des Wortes: „Geschütztsein vor Gefahr oder Schaden; höchstmögliches Freisein von Gefährdungen“.
„Und dann lebst du noch in der gefährlichsten Stadt Deutschlands“, wirft meine Mutter ein, die immer gerne viel zu schnell mit ihrem BMW zur Arbeit fährt.
Ja, weil ich eben leben will, denke ich mir. Und zugleich fühlt sich das Sofa, auf dem wir jetzt sitzen, so gemütlich an. Das Hochzeitsbild meiner Eltern steht auf dem sauberen Fenstersims. Die Jalousien sind unten. Alle Gefahr bleibt draußen.
Nicht mein Leben
„Ich will einfach keine Sicherheit, okay?“ sage ich. „Außerdem gibt es sie gar nicht, eure Sicherheit.“ Ich gehe auf mein Zimmer, wo noch mein „Fear and Loathing in Las Vegas“-Plakat von damals an der Wand hängt, daneben eine Werbepostkarte für Kondome: „safety first“. (Okay, Sicherheit, hier bin ich bei dir.)
Ich blättere noch etwas in „On the road“. Die fehlenden Außengeräusche von der Straße beunruhigen mich etwas, aber ich schlafe dennoch ein. Am nächsten Tag fahre ich zurück nach Berlin und jetzt stehe ich hier am Kotti und kann zum ersten Mal wieder frei atmen.
Die U-Bahn kommt, ich steige ein. Und muss mir noch einmal Hannes’ sanfte Hand auf Kiaras Bauch anschauen. Die sehen wirklich glücklich aus. Plötzlich der Gedanke an Kiaras Stelle zu sein. Gesettled, ein sicherer Job, einen Plan für die nächsten 18 Jahre und keine Rechtfertigungen gegenüber den Eltern. Keine Rastlosigkeit mehr, keine verkaterten, hektischen Montage.
Dann das Kreischen des Babys von der Frau mit den Augenringen. Schwachsinn, denke ich. Ich würde keine zwei Tage in Kiaras Leben klarkommen. Aber ein Herzchen kriegen sie trotzdem. Ich wünsche ihnen, dass sie sich frei für dieses Leben entschieden haben – und nicht aus Angst vor der Welt.
„Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.