Lebensmittel aus dem Internet: Hack von Amazon
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Amazon Fresh in Deutschland startet. Die E-Food-Wende könnte den Lebensmittelmarkt aufmischen.
Seit knapp einem Jahr können deutsche Kunden bei Amazon haltbare Lebensmittel bestellen. In mehreren großstädtischen Regionen hat der Versandriese in den letzten Monaten auch einen Schnelllieferservice für Amazon-Produkte gestartet. In Berlin soll die Ware innerhalb einer Stunde ankommen. Handelsexperten vermuten, dass Amazon seinen deutschen Kunden bald auch frische Lebensmittel im Netz anbieten wird. Im großen Stil gibt es dieses Service namens Amazon Fresh bereits in den USA und in Großbritannien. Und klar ist: Wenn Amazon Fresh in Deutschland startet, wird es den gesamten E-Food-Markt umkrempeln, sagt Robert Müller vom E-Commerce-Beratungsunternehmen Intershop.
„Die größte Herausforderung beim Versand frischer Lebensmittel ist die Logistik“, sagt Müller. Sensible Lebensmittel wie Tiefkühlpizza, Hackfleisch, Obst und Gemüse müssen über die ganze Lieferkette hinweg konstant gekühlt werden. Außerdem braucht es, je nach Saison, unterschiedliche Kühlketten. Wenn im Winter Grünkohl geliefert wird und im Sommer Kirschen und Erdbeeren, dann verändert das die ganze Prozesskette. Außerdem können meist nicht alle Lebensmittel im selben Truck geliefert werden.
Bestellt also ein Kunde Bananen, Steaks und Fisch, dann bedürfen alle drei einer anderen Kühllogistik. Und das stellt Händler tatsächlich vor ein Problem, wie eine Untersuchung des Fraunhofer-Instituts zeigt. Das Institut hat dieses Jahr Verpackungen im E-Food-Handel getestet. Das Fazit: Nur ein Drittel der Händler haben mit ihrem Verpackungskonzept die Temperaturvorgaben für alle bestellten Lebensmittel eingehalten – und das gefährde die Gesundheit der Verbraucher.
Hier sticht Amazon aber heraus. Dadurch, dass der Versandriese die komplette Logistik selbst durchführt, entstehen keine Unterbrechungen in der Kühlkette. In wiederverwendbare Liefertaschen werden bei Kühllieferungen Styropor-Einlagen gepackt. Gefrorene Wasserflaschen dienen häufig als „Kühlaggregate“. Die Qualitätssicherung geht aber auf Kosten der Umwelt, denn: „Viele Amazon-Fresh-Kunden in den USA beschweren sich über zu viele einzeln verpackte Produkte“, sagt E-Commerce-Autorin Katja Flinzner. Aus ökologischer Sicht sei das natürlich ein Problem. Grundsätzlich sei das Verpackungsthema eines, das Logistiker noch eine Weile beschäftigen werde, sagt die Autorin. Ein Einkauf von 70 Euro kann schon 120 Liter Verpackungsmaterial produzieren. Und das ist alles andere als nachhaltig.
Trotzdem lasse sich ein Trend am US-Markt feststellen, sagt Flinzner: Im E-Food-Markt könne man beobachten, dass der Verkauf von Großverpackungen online zunimmt, während er im stationären Handel zurückgeht. Auch für die nachwachsende Seniorengeneration könnte der Lieferdienst in 20 Jahren vielleicht dazu führen, dass die alternden „Digital Natives“ keine Einkaufstüten mehr schleppen müssen.
Im großen Stil
Wenn Amazon Fresh in Deutschland startet, dann wie immer im großen Stil, sagt Müller. Amazon werde, wie schon bei Kindle, den Wettbewerb mit Preisen drücken und sich dann komplett in den Markt einkaufen. Denn: Bisher ist die Lieferung von frischen Lebensmitteln in Deutschland eher teuer. Und hier könnte Amazon Abhilfe schaffen. Der Grund für das Zögern des Versandriesen liegt auf der Hand: In Deutschland gibt es ein auffallend gutes Netz von Supermärkten, nämlich über 40.000. Und viele Händler verfügen zwar über einen Onlineshop, der Absatz beträgt jedoch nur ein Prozent vom gesamten Lebensmittelverkauf.
Katja Flinzner, Autorin
Ein Beispiel ist die Einzelhandelskette Edeka. Die Supermarktkette betreibt einen Onlineshop, „unser Kerngeschäft ist und bleibt aber der stationäre Einzelhandel“, sagt Kerstin Hastedt, Edeka-Sprecherin. Die Marktzahlen geben Edeka recht. Mit einem Volumen von 736 Millionen Euro im Jahr 2015 ist der Onlinehandel mit Lebensmitteln eine der kleinsten Größen. Im Vergleich: Kleidung hat über 10 Milliarden Euro im Onlinehandel eingebracht und Elektroartikel etwa 7,5 Milliarden. Außerdem gibt es in Deutschland im Vergleich zu anderen Märkten extrem geringe Margen und einen ohnehin schon starken Preiskampf.
Der Vorteil, den Amazon hat, sei aber der enorme Bündelungseffekt, sagt Sebastian Biedermann vom Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik: „Amazon hat bereits eine große Community, die sie erreichen kann, und sie sind längst Logistikexperten.“ Auch die Lebensmitteltechnik hat schon ein Auge auf den Onlineversand von Lebensmitteln geworfen und sieht darin einen großen Zukunftsmarkt.
„Die spannendste Frage dabei ist, wie wir Lebensmittel nur durch Technik und ohne Zusatzstoffe haltbarer und transportfähiger machen können“, sagt Biedermann. Und hier gibt es bereits einige Entwicklungen. Mit der Hochdrucktechnologie werden Nahrungsmittel in einem Wasserbad mit einem Druck von bis zu 6.000 Bar komprimiert. Dabei werden die Mikroorganismen unschädlich gemacht, die wertgebenden Stoffe wie Vitamine, Aromen oder Mineralien bleiben aber, im Gegensatz zur Behandlung mit Hitze, weitestgehend erhalten. Verbraucher wollen weg von chemischen und künstlichen Stoffen, „hier sehe ich die Zukunft für die Lebensmitteltechnik“, sagt Biedermann
„Extruder auf drei Achsen“
Auch mit Blick auf die Versorgung in Entwicklungs- und Schwellenländer birgt vor allem der 3-D-Druck ein hohes Potenzial. „Ein 3-D-Drucker ist im Prinzip nichts anderes als ein Extruder auf drei Achsen“, sagt Biedermann. Die Technik steht zwar noch am Anfang. Trotzdem lassen sich mit 3-D-Druckern in Zukunft komplexere Lebensmittel herstellen und das gerade für Länder, in denen es keine gute Logistik und keine ausgereiften Kühlketten gibt. Denn: Getrocknete Lebensmittel haben weniger Gewicht, sind haltbar und weniger temperaturempfindlich.
„Da steckt das große Potenzial von 3-D-Druckern“, sagt der Lebensmitteltechnologe. Beim 3-D-Druck wird getrocknetes Pulver unter Druck und Temperatur mit Wasser vermengt und durch eine formgebende Düse gepresst beziehungsweise extrudiert. Mit diesem Verfahren werden heute bereits Produkte wie das „vegane Schnitzel“ auf Basis von pflanzlichem Eiweiß hergestellt.
Und auch in der Logistik gibt es verschiedene Bestrebungen. Amazon oder auch der US-Supermarktriese Walmart testen den Einsatz von Drohnen für den Nahrungsmittelversand. „Zwar könnte der Einsatz von Drohnen langfristig die Lieferkosten für die problematische letzte Meile durchaus senken“, sagt Flinzner. Da Drohnen nur ein begrenztes Gewicht tragen können, sind sie für eine umfangreichere Vorratsbestellung aber eher uninteressant.
„Einen von Lebensmittel-Lieferdrohnen übersäten Himmel kann ich mir in näherer Zukunft nicht wirklich vorstellen“, sagt Flinzner. „Aber vielleicht ist da auch der Wunsch Vater des Gedanken.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance