Lebensgefahr fürs Baby: „Die Täter wissen oft nicht, was sie tun“

Der Kinderarzt Karl-Heinz Deeg über die Folgen des Schütteltraumas bei Babys. Das Schütteln sei eher Hilflosigkeit als bewusste Misshandlung.

Eltern müssen vorsichtig sein, denn bei kleinen Kindern sind die Halsmuskeln noch schwach Foto: Patrick Pleul (dpa)

taz: Herr Deeg, warum ist ein Schütteltrauma für Babys so gefährlich?

Karl-Heinz Deeg: Der Kopf eines Säuglings ist im Unterschied zum Körper sehr groß. Ein Neugeborenes kann seinen Kopf nur schlecht kontrollieren, erst mit einem halben Jahr, wenn es zu sitzen beginnt, sind die Halsmuskeln so gut entwickelt, dass eine bessere Kopfkontrolle möglich ist. Wenn man ein sehr kleines Kind mit den Händen unter die Achseln hält, hin und her schüttelt und auffordert: „Hör endlich auf zu schreien!“, dann schleudert sein Kopf genau in diesem Takt hin und her.

Das klingt nach einer Alltagssituation.

Den Leuten ist nicht bewusst, wie extrem gefährlich das ist. Der schwere Kopf schleudert unkontrolliert vor und zurück. Wie bei einem Aufprallunfall mit dem Auto, nur dass es für das Kind viel schlimmer ist. Wird der Körper nach vorne bewegt, schleudert der Kopf phasenverschoben nach hinten. Bewegt sich der Körper nach hinten, schleudert der Kopf nach vorn.

63, ist Chefarzt der Kinderklinik Bamberg, ist unter anderem Kinderkardiologe, Neonatologe und Spezialist für pädiatrische Intensivmedizin und Ultraschall in der Kinderheilkunde. Er war lange Jahre Vorsitzender pädiatrischen Sektion der DEGUM (Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin) und der Süddeutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin.

Und das schädigt das Hirn?

Das Hirn schwimmt in Flüssigkeit, dem Nervenwasser. Die außen lokalisierte graue Substanz des Gehirns ist über kleinste Gefäße mit den sie umgebenden Hirnhäuten verbunden. Die innere weiße Substanz ist demgegenüber nicht fixiert. Durch das Schleudern verschieben sich graue und weiße Substanz gegenläufig zueinander. An der Grenze zwischen grauer und weißer Substanz kann es zu Zerreißungen kommen. Die Nervenzellen können dann keine Impulse mehr weiterleiten. Schwerste neurologische Schäden mit geistiger Behinderung sind die Folge.

Wie reagiert das Kind?

Wenn es zu Verletzungen im Gehirn gekommen ist, hört das Kind eventuell auf zu schreien. Es kann zu Bewusstseinstrübungen, zur Hirnschwellung und zu Hirnblutungen kommen. Ein Kind muss daran nicht unbedingt sterben. Es kann jedoch zu schweren geistigen Behinderungen führen.

Wie stellen Sie als Arzt ein Schütteltrauma fest?

Es ist schwer zu diagnostizieren. Da man dem Kind die Hirnverletzungen nicht ansieht, muss man zunächst daran denken, dass eventuell ein Schütteltrauma vorliegt. Beim jüngsten Fall, den ich hatte, wurde ein Baby gebracht, das schlecht trank, bewusstseinsgetrübt war und nur noch wimmerte. Mit hoch auflösenden Ultraschalluntersuchungen oder einer Kernspintomografie des Gehirns kann man die Verletzungen sichtbar machen. Typisch für das Schütteltrauma sind zudem Netzhautblutungen, sodass der Augenhintergrund untersucht werden sollte.

Gibt es Risiko-Konstellationen?

In der Regel sind es junge Eltern, oft aus schwächeren sozialen Schichten, sowie Menschen ohne berufliche Perspektive. Häufig sind die Täter Männer. Bei alleinerziehenden Müttern ist es dann vielleicht nicht der Vater des Kindes, sondern ein Freund. Der fühlt sich in dem, was er tut, gestört, und will seine Ruhe.

Geschieht dies aus böser Absicht?

Nein. Wenn man ein Kind schlägt und ihm die Knochen bricht, dann ist das eine bewusste Kindesmisshandlung. Das Schütteln ist eher eine Hilflosigkeit und keine bewusste Misshandlung. Aber auch gerade deshalb gefährlich.

Ein jungen Vater in Hamburg wurde gerade zu sieben Jahren verurteilt, weil sein Kind durch Schütteln sehr schwer verletzt wurde.

Das finde ich lange. Nicht dass ich das gut finde, ich bin Anwalt des Kindes. Aber die Täter wissen oft gar nicht, wie gefährlich das ist was sie tun.

Passiert es häufiger als früher?

Nein. Aber, die inneren Verletzungen sind heute durch die modernen bildgebenden Verfahren früher und besser zu erkennen.

Was sollte man tun als Prävention?

Zum einen die Gefahr bekannter machen in der Öffentlichkeit. Zum anderen ist das Schütteltrauma oft ein mehr-zeitiges Ereignis. Das heißt, die meisten betroffenen Kinder wurden nicht nur einmal geschüttelt und sterben nicht beim ersten Mal daran. Wenn man es rechtzeitig diagnostiziert, kann man eingreifen und das Kind aus der Familie nehmen.

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