piwik no script img

Leben wie ein Zelluloidball

Wiederentdeckte Langsamkeit: Der Dokumentarfilmer Jörg Adolph zeigt seinen mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichneten „Klein, schnell und außer Kontrolle“

Fühlen Sie sich klein? Ist Ihnen alles zu hektisch? Bringt Sie die Schnelligkeit ihres Handelns häufiger außer Kontrolle? Keine Sorge, Sie sind kein Tischtennisball. Noch nicht. Denn die lupenhafte Vergrößerung des Tischtennissports durch den Dokumentarfilmer Jörg Adolph macht aus der 1000stel-Sekunde der Berührung von Ball und Schläger beinahe Minuten. Und weckt derartig Sehnsüchte nach der Wiederentdeckung der Langsamkeit: Plötzlich mutet die Option, das eigene Leben dem eines Zelluloidballes im Wandel der Geschichte unterzuordnen, kaum verrückt an. Denn Tischtennis verstehen lernen, heißt Leben lernen.

Dementsprechend beginnt die Dokumentation mit einer absurden Einstellung, in der ein Vollmond langsam zu einem Tischtennisball mutiert. Es gibt sie also, die Lebensform Tischtennis, die sich der gesellschaftlichen Leitgedanken Schnelligkeit und Effektivität entledigt, um überhaupt wahrgenommen zu werden.

Denn als Leistungssport ist Tischtennis wenig attraktiv. Das Spielfeld, die Bälle und Schläger sind klein und die ästhetischen wie die taktischen Momente aufgrund der hohen Geschwindigkeit viel zu kurz. Artistische Verrenkungen versinken in einem Augenaufschlag. Ein gefundenes Opfer übermäßiger Flinkheit für den Filmer Jörg Adolph, dem die Zeit zu Recht antextet, Urlauber im Leben anderer Leute zu sein. So widmet sich Adolph nicht nur der tatsächlichen Verlangsamung des Sports durch Regeländerungen wie die Vergrößerung des Balles, sondern stellt die Verbindung vom Sport zum Ausdruck der Persönlichkeit dar, indem er zwei Jungnationalspieler in der Vorbereitungsphase für ein wichtiges Turnier begleitet.

Dabei verdichtet Adolph mit sensibel ausgewählten Sounds, detailverliebten Slow-Motions und den gegeneinander laufenden Biographien der beiden Sportler zu etwas Besonderem, das aus nur vordergründig herkömmlichen Szenen entsteht. Die Erklärungen spezifischer Fachprobleme werden von Sportlern, Trainern oder Wissenschaftlern ohne besserwisserischen Off-Kommentar vorgenommen und dienen häufig als Break zwischen den beiden Biographien. Diese leben von den medienfremden Charakteren, die in manchen Situationen die Kamera als kühles Haustier angenommen haben könnten, so intim wirken einzelne Takes.

Während die Spieler den 3000sten Ball über das Netz klopfen und der Sound des Spielgerätes angibt, ob es sich pfleglich behandelt fühlt oder nicht, bleibt einem ein frühes Zitat im Kopf hängen: „Tischtennis ist speziell und total spleenig.“ Wenn so die Welt verlangsamt werden kann, ist es durchaus eine Überlegung wert, demnächst als vergrößerter Zelluloidball zu leben. OKE GÖTTLICH

heute, 20 Uhr, Lichtmeß

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen