: „Lebedik und freylekh“
Jiddisch lebt: Dorothea Greve unterrichtet eine Sprache, die überall anders klingt und überall und nirgendwo zu Hause ist. „Ein Exotenfach, doch die, die kommen, sind extrem motiviert“
von SANDRA WILSDORF
Einst war hier die israelitische Töchterschule. 1942 schlossen die Nazis die letzte jüdische Schule Hamburgs und deportierten und ermordeten fast alle SchülerInnen und LehrerInnen. Die Gestapo ließ sich in dem Gebäude an der Karolinenstraße nieder und lagerte in der Turnhalle, was sie den Juden gestohlen hatte. „Diese Mauern atmen Geschichte“, sagt Dorothea Greve und findet es deshalb genau den richtigen Ort für ihre Jiddisch-Kurse.
Heute gehört die „Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule“ der Stadt, unter anderem die Volkshochschule nutzt das Gebäude. Und für die bietet Dorothea Greve die Kurse an. „Es ist ein Exotenfach“, der Andrang nie sehr groß, sagt sie, „aber die, die kommen, sind extrem motiviert.“
Sie haben fast immer ganz persönliche Motive: Judaistik-Studierende, die das Fach vertiefen, Juden, die ihre Wurzeln freilegen wollen, Menschen, die jüdische Freunde, Bekannte haben oder jiddische Literatur verstehen wollen, Sänger, die Klezmer-Musik machen, aber auch Osteuropäer, die als Juden verfolgt waren und deshalb auch ihre Sprache tunlichst nicht gepflegt haben. Und es waren auch schon Richter dabei, die einst über Nazis urteilen mussten und dafür Jiddisch gelernt haben. Einer von ihnen übersetzt gerade sein drittes Buch.
Dorothea Greve ist während ihres Germanistik- und Anglistik-Studiums auf diese Sprache gestoßen, „die mich seitdem nicht mehr loslässt“. Damals gab es in Deutschland kaum Lehrer, deshalb hat sie in Instituten in Oxford und später in New York Kurse belegt. Sie war noch gar nicht fertig mit ihren Studien, da wurde sie schon als Dozentin nachgefragt, erst von der Volkshochschule in Wedel, dann von der Universität Hamburg.
Beides macht sie bis heute, und das Jiddische ist ihre Passion und ihr Beruf. „Es ist eine wunderbare reiche, schillernde, sich ständig weiterentwickelnde Sprache“, sagt sie, „so reich, wie die Kultur, die dahinter steht.“ Dorothea Greve ist keine Jüdin, „das muss man auch nicht sein, Jiddisch lässt sich lernen wie jede andere Kultursprache auch“. Aber sie ist nicht wie jede andere Sprache: Jiddisch hat nie ein Zuhause gehabt, war nie irgendwo Landessprache. Im Unterschied zu Hebräisch, der „heiligen Sprache“, war sie immer Idiom des Alltags. Und Zweitsprache. Denn Juden sprachen immer auch die Sprache des Landes, in dem sie gerade lebten und mit der sie das Jiddische anreicherten. Die Lehrerin nennt sie eine „Fusionssprache“, die alles aufnehmen kann.
Alltagsidiom ist Jiddisch heute fast nur noch bei den orthodoxen Juden, die beispielsweise im Pariser Marais leben, im Londoner Eastend, Buenos Aires, in Großstädten der USA. Und natürlich in Israel, wo es allerdings lange verpönt und zeitweise sogar verfolgt war. „Dort hat man Jiddisch erst Anfang der 90er Jahre zum kulturellen Erbe des Staates und als förderungswürdig erklärt“, sagt Greve. Heute lehren es immerhin etwa 40 Schulen im Nebenfach. Israel hätte sich seinerzeit gegen Jiddisch als Landessprache entschieden, zu eng war sie verbunden mit den Erinnerungen an den Holocaust, Armut und Verfolgung in Osteuropa.
Heute gibt es weltweit noch etwa drei bis vier Millionen „Jiddisch-Sprecher“. Die meisten leben in Großstädten. Die jüdische Gemeinde für Hamburg und Schleswig-Holstein hat heute etwa 5000 Mitglieder, vielleicht 100 von ihnen können Jiddisch. Das war einmal anders: „Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier sehr viel hier jiddisch gesprochen“, sagt Greve. Hier hatte 1922 Salomo Birnbaum den ersten jüdischen Lehrauftrag an einer westeuropäischen Universität.
Nach ihm haben Dorothea Greve und einige andere die Gesellschaft genannt, die sie 1995 gegründet haben, um das Jiddische als gesprochene Sprache in Hamburg lebendig zu halten. Sie übersetzen Jiddische Literatur ins Deutsche, arbeiten wissenschaftlich, aber nicht nur akademisch. Künstler aus aller Welt halten Lesungen oder Vorträge, es gibt Konzerte, Diskussionen und Theaterstücke – alles auf Jiddisch. Denn, so sagt Dorothea Greve: „Yidish iz lebedik und freylekh!“
Mehr Infos zur Salomo-Birnbaum-Gesellschaft unter 040/20 80 60. Jiddisch-Sprachkurse beginnen wieder im neuen VHS-Jahr: Ein Anfängerkurs an zwei Wochenenden im November, für Fortgeschrittene immer mittwochs abends und ein Lektürekurs für Leute, die fließend Jiddisch lesen können. Näheres bei der VHS unter 42841-2752, 0800-3-345678 oder im Internet unter www.vhs-hamburg.de
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