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Leak von Plänen der EU-KommissionWeniger Vorsorge für die Lieferkette

Um die Kosten für Unternehmen zu senken, will die EU-Kommission Regelungen für Haftung und Klimaschutz entschärfen.

Es bleibt schwierig, Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen, wenn Zulieferer etwa beim Lithiumabbau die Umwelt verschmutzen Foto: Ivan Alvarado/reuters

BERLIN taz | Europäische Unternehmen werden wohl weniger als bisher geplant auf Menschenrechte und Umwelt in ihren Lieferketten achten müssen. Das geht aus einem Dokument der EU-Kommission hervor, das am Samstag in die Öffentlichkeit sickerte. Dem Vorschlag zufolge sollen unter anderem die Regeln für Haftung und Schadenersatz bei Verstößen gegen die Rechte von Beschäftigten abgeschwächt werden.

Laut der im vergangenen Jahr beschlossenen Europäischen Lieferkettenrichtlinie sind große europäische Unternehmen mitverantwortlich dafür, soziale und ökologische Rechte von Beschäftigten ausländischer Zulieferfabriken zu schützen. Sie müssen sich darum kümmern, dass etwa die Tex­til­ar­bei­te­r:in­nen ihrer Lieferanten in Vietnam Mindestlohn und Mindesturlaub erhalten.

Deutschen Stahl-, Aluminium- und Kupferproduzenten darf es nicht egal sein, ob Flüsse rund um Minen in Südamerika vergiftet werden. Wirtschaftsverbände argumentieren neuerdings, angesichts der ökonomischen Stagnation müssten die Unternehmen von Verwaltungsaufwand und Kosten entlastet werden.

Die Richtlinie soll wohl grundsätzlich so bleiben, wie sie ist, aber in einigen Punkten sind deutliche Abschwächungen zu erkennen. Das Dokument bildet offenbar den Vorschlag des federführenden EU-Kommissars Valdis ­Dombrovskis ab. Die Verhandlungen scheinen weit fortgeschritten. Andere EU-Generaldirektionen sollten sich bis Sonntag äußern. Änderungen sind wohl noch möglich, bevor EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Plan am Mittwoch dieser Woche vorstellt.

Zivilrechtliche Haftung für europäische Firmen soll „gelöscht“ werden

Die bisher festgelegte zusätzliche zivilrechtliche Haftung für europäische Firmen soll „gelöscht“ werden, ist in dem Dokument zu lesen. Werden beispielsweise Zu­lie­fer­ar­bei­te­r:in­nen um ihren Lohn betrogen, wären die europäischen Auftraggeber zwar weiterhin mit haftbar für diesen Verstoß, aber den Geschädigten fiele es schwerer, ihre Rechte vor hiesigen Gerichten durchzusetzen. Denn durch die Änderung müsste Deutschland seine Haftungsregeln nicht so verschärfen, wie es die EU-Richtlinie bisher vorsieht.

Dazu passt, dass nur noch die Interessen „relevanter“ Betroffener eine Rolle spielen sollen. Eine mögliche Folge: Die Mithaftung europäischer Firmen für Umweltverschmutzung könnte auf die unmittelbare Umgebung eines Bergwerks beschränkt werden, während die Rechte weiter entfernt wohnender Geschädigter unter den Tisch fallen.

Außerdem ist geplant, dass die hiesigen Auftraggeber sich im Wesentlichen um ihre eigenen Aktivitäten, die ihrer Tochterfirmen und der „direkten“ Lieferanten kümmern sollen. Die Zulieferer der Lieferanten blieben außen vor. Eine wesentliche Forderung deutscher Wirtschaftsverbände würde damit erfüllt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie und zahlreiche Firmen beklagen seit Langem, dass es für sie kaum möglich sei, etwa den letzten Faden in der Textilproduktion bis zu seinem Ursprung zurückzuverfolgen.

Die Änderung der Richtlinie orientiert sich hier am deutschen Lieferkettengesetz, das ebenfalls eine gewisse Beschränkung auf direkte Zulieferer beinhaltet. Allerdings: Können den Auftraggebern durch Recherchen von Gewerkschaften, Umweltorganisationen oder Medien Rechtsverstöße bekannt sein, dürfen sie diese nicht ignorieren, auch wenn sie sich tief in der Zulieferkette ereignen.

Überprüfung von Zulieferern nur alle fünf Jahre

Die „Anwendung“ der Richtlinie soll im Übrigen von 2027 auf 2028 verschoben werden. Die größten europäischen Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten müssten die Bestimmungen erst dann einhalten. Danach würde wie bisher geplant die Größengrenze allmählich auf Firmen mit mehr als 1.000 Leuten sinken.

Neu wäre auch, dass die Betriebe ihre Lieferketten nicht jedes Jahr, sondern nur alle fünf Jahre überprüfen müssten. Zudem sollen sie in besonders schweren Fällen die Beziehungen zu ihren Lieferanten nicht mehr „abbrechen“, sondern „aussetzen“, was eine mögliche Wiederaufnahme zu beinhalten scheint. Schließlich wird die Verpflichtung abgeschwächt, die Firmenpolitik mit dem Pariser Klimaabkommen in Einklang zu bringen und den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen entsprechend zu reduzieren.

„Unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus will Ursula von der Leyen jetzt zentrale Elemente des Gesetzes streichen“, kritisierte die grüne EU-Abgeordnete Anna Cavazzini. „Das geht weit darüber hinaus, Berichtspflichten zu vereinfachen, wie sie ursprünglich mal angekündigt hatte.“

Wenn die zivilrechtliche Haftung gestrichen oder die Sorgfaltsprüfung auf den ersten Zulieferer reduziert werde, sei das „ein Kahlschlag am Gesetz“. Armin Paasch von der katholischen Entwicklungsorganisation Misereor hält die Änderungen für „Wettbewerb auf dem Rücken der Schwächsten und der Umwelt“.

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