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Lauter als jede Waffe

Im Bürgerkriegsland Myanmar sind Radios die letzte Verbindung zu Fakten. Doch die Kürzung der US-Hilfen bedroht die Radiosender im Land

Kontakt zur Außenwelt: Binnenvertriebene hören Radio in einer Notunterkunft in Danai, 2018 Foto: Fo­to: Ye Aung Thu/afp

Text Kyaw Min Swe Übersetzung Sven Hansen

In Myanmar, einem von einer Militärdiktatur, bewaffnetem Widerstand und Naturkatastrophen heimgesuchten Land in Südostasien, ist Wahrheitsfindung nicht nur ein Prinzip, sondern ein Lebenselixier. Und für Millionen Menschen geschieht dies immer noch durch ein bescheidenes elektronisches Gerät: das Radio.

Während international kaum noch über das Land berichtet wird und Myanmars prodemokratische Sender ums Überleben kämpfen, werden in den abgelegenen und vom Krieg gebeutelten Regionen dort die Menschen von der einzigen verlässlichen Informationsquelle, die sie bisher hatten, zunehmend abgeschnitten: Die Elektrizitätsversorgung ist instabil, das Internet wird vom Militär blockiert und Telefonleitungen werden regelmäßig unterbrochen. Dann bleibt das Radio der einzige funktionierende Kanal für überlebenswichtige Informatio­nen.

Die Dringlichkeit, diese Lebensader zu erhalten, ist seit den starken Budgetkürzungen der US-Regierung von Donald Trump für US-finanzierte Mediendienste in der Region nur noch gewachsen. Trump hat die US-Entwicklungshilfe für Myanmar 2025 samt Unterstützung dortiger unabhängiger Medien um 39 Millionen US-Dollar zusammengestrichen.

Die hatten direkte Auswirkungen auf die Radiosender in Myanmar. Die birmesischsprachigen Programme von Voice of America (VOA) und Radio Free Asia (RFA) wurden eingestellt. RFA musste 90 Prozent seiner Mitarbeitenden entlassen, bei VOA wurden fast alle Angestellten beurlaubt. Dies führte zum Zusammenbruch der Junta-kritischen Dienste von VOA, RFA und der Democratic Voice of Burma (DVB Radio). Das waren nicht bloß Medienprogramme. Für viele in Myanmar waren sie die einzigen vertrauenswürdigen Informationsquellen in einem Land, in dem Desinformation tödlich sein kann und offizielle Propaganda die Medienlandschaft dominiert.

„Zuerst haben die Menschen in Myanmar ihr Recht auf Information verloren“, sagt der frühere RFA-Journalist Htet Naing Zaw, der jetzt für die BBC berichtet. „RFA und VOA waren nicht nur Radiosender – sie waren der Kanal, durch den Menschen selbst in den entlegensten Gebieten erfuhren, was geschah.“

Aye Chan Naing, Gründer und Chefredakteur von DVB Radio, sagt: „Trump hat Budgets gekürzt, was in manchen Ländern vielleicht nicht viel ausmacht, aber für Birma ist es verheerend. Besonders in Konfliktgebieten ist das Kurzwellenradio sehr wichtig.“ Er erinnert sich daran, wie DVB-Radio-Reporter tagelang laufen mussten, um nach dem Militärputsch 2021 überhaupt Berichte übertragen zu können. „In der Region Ra­khine war das Internet bereits vor dem Putsch blockiert. Dann dehnte die Junta die Blockaden auf Kachin, Chin und andere Regionen aus. Das machte es extrem schwierig, überhaupt noch Informationen zu verbreiten.“

In den bergigen Grenzregio­nen und dichten Dschungeln Myanmars ist die Elektrizitätsversorgung unzuverlässig oder gar nicht existent. Mobilfunkmasten werden oft gesprengt oder sabotiert. Und das Regime kappt regelmäßig den Zugang zum Internet. Für die betroffenen Gemeinschaften ist das Radio nicht nur eine Alternative – es ist das einzige Medium, das überhaupt noch funktioniert.

In Flüchtlingslagern und Dschungelverstecken, wo Menschen ohne Elektrizitätszugang leben und auf kleine Batterien oder Solarzellen angewiesen sind, bleiben tragbare Radios – manche betrieben mit nur zwei AA-Batterien – wichtige Mittel zum Überleben. „Als die internationalen Sender ihre Arbeit einstellten, war es, als ob das Land in Dunkelheit versinkt“, sagt Htet Naing Zaw. „Menschen auf dem Land und in den ethnischen Gebieten sind auf das Radio angewiesen, nicht nur für Nachrichten, sondern auch für Bildung, Katastrophenwarnungen und Gesundheitsberatung.“ Jetzt droht diesen Gemeinschaften nicht nur eine noch größere Isolation, sondern auch, dass sie von Informationen gänzlich abgeschnitten werden, die sie für lebenswichtige Entscheidungen benötigen. Das Schweigen im Äther ist nicht nur politisch – es ist persönlich und poten­ziell tödlich.

Mehrere unabhängige und der Widerstandsbewegung nahestehende Medien haben sich bemüht, oft unter großem personellen und finanziellen Risiken das Vakuum zu füllen, das durch das Ende von VOA und RFA Anfang des Jahres entstanden ist. Das nach dem Beginn der Revolution gegen den Putsch gestartete Federal FM sendet unabhängige Nachrichten, Sicherheitswarnungen und Bildungsinhalte in mindestens 20 Städten, und das auch in ethnischen Sprachen wie Karen, Kachin und Shan. „Selbst wenn wir Bunker graben müssen, um uns vor Luftangriffen zu schützen, werden wir weiter senden“, sagt der Gründer des Senders, Tint Zaw Naing.

Radio NUG, gegründet im August 2021 von der Nationalen Einheitsregierung (NUG, der demokratischen Gegenregierung im Untergrund), sendet täglich zwei halbstündige Kurzwellenprogramme und veröffentlicht auch Online-Inhalte per Youtube und Podcast. Der Sender bietet alles von Sicherheitstipps in Kriegsgebieten bis hin zu Gesundheitsupdates und politischen Kommentaren.

„Radio NUG ist nicht nur ein Sprachrohr der Gegenregierung – es gibt auch die Stimmen und Emotionen derjenigen wieder, die sich gegen die Militärherrschaft stellen“, sagte Ko Maung Yit, der Radio-NUG-Programmmanager. Im Programm hat der Sender Inhalte von der Bewegung des zivilen Ungehorsams (CDM) oder von Schriftstellern und Journalisten, die sich mit vom Krieg betroffenen Menschen solidarisieren. „Fehlende Rundfunkprogramme sind eine ernsthafte Herausforderung in einem Land, in dem Internetzugang, Elektrizität und Kommunikationskanäle oft unterbrochen sind“, sagt der Programmmanager. „In diesem Vakuum sendet Radio NUG jeden Morgen und Abend 30 Minuten auf Kurzwelle.“

Doch Radio NUG bekommt wie viele andere keine regelmäßige finanzielle Unterstützung von ausländischen Regierungen oder anderen internationalen Geldgebern. „Wir sind auf öffentliche Spenden und internes Fundraising angewiesen. Unsere Arbeit wird durch das Engagement der Mitarbeiter, Freiwilligen und Journalisten aus dem In- und Ausland ermöglicht“, sagte Ko Maung Yit.

„Als die internationalen Sender ihre Arbeit einstellten, war es, als ob das Land in Dunkelheit versinkt“

Htet Naing Zaw, Journalist aus Myanmar

Mizzima Radio setzt täglich seine einstündige birmesischsprachige Kurzwellenübertragung fort. „Sie deckt das ganze Land ab. Aber wir haben die UKW-Übertragungen in den Regionen einstellen müssen. Früher hatten wir Sender in Chin, Shan, Karenni“, sagte Gründer Soe Myint. Andere wie Voice of Spring (VOS) und einige Sender ethnischer Minderheiten senden in lokalen Sprachen und bieten regionale Sicherheitswarnungen und Überlebenshilfen an.

Obwohl die RFA- und VOA-Sendungen eingestellt wurden, zirkulieren ihre Inhalte weiterhin informell – über USB-Sticks, mobile Speicherkarten und Blue­tooth-Sharing – und bilden ein Untergrundnetzwerk des Wissens in einem Land, das nach Wahrheit dürstet. Diese Radiosendungen informieren nicht nur. Sie leiten an, schützen und vereinen Gemeinschaften im Widerstand. Sie bieten Informationen zum Umgang mit Minenfeldern, zur Wundversorgung, zur Vermeidung von Luftangriffen und zum Überleben.

Die internationale Gemeinschaft und insbesondere EU-Staaten wie Deutschland sollten diese Krise als das erkennen, was sie ist: nicht nur ein Problem der Pressefreiheit, sondern ein humanitärer Notfall.

Dringend benötigt werden Radiosender, tragbare Empfänger, solarbetriebene Batterien, FM-Ausrüstung und grundlegende Schulungen für Bürgerjournalisten. Diese bescheidenen Interventionen können einen realen, unmittelbaren Unterschied in kriegsgebeutelten Gemeinschaften in ganz Myanmar bewirken. Jeder Euro für die Radioinfrastruktur hilft heute, Desinformation zu bekämpfen, Leben zu retten und demokratische Werte zu verteidigen. Schweigen hingegen ist das, worauf Tyrannen am meisten bauen. Angesichts von Unterdrückung kann ein kleines Radio lauter sein als jede Waffe.

Kyaw Min Swe war in Myanmar bis zum Putsch 2021 Chefredakteur der Zeitung The Voice und Vorsitzender des Presse­rates. Er wurde schon 2017 unter der Regierung von Aung San Suu Kyi für zwei Monate inhaftiert wegen einer Satire über das Militär. 2023 saß er drei Monate im Gefängnis, weil er aus Protest gegen einen verheerenden Luftangriff auf ein Dorf sein Facebook-Profil geschwärzt hatte. Ende 2023 gelang seiner Familie die Flucht nach Thailand, seit Sommer 2024 lebt sie in Berlin.

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