Langzeitstudie zu Rechtsextremismus: Ost-Jugend und West-Rentner vereint
Junge Ostdeutsche und alte Westdeutsche sind ähnlich ausländerfeindlich. Ein Grund: Beide erlebten in der Jugend den Zusammenbruch eines Regimes.
LEIPZIG epd | Was haben ein junger Mann aus Sachsen und eine ältere Frau aus dem Saarland möglicherweise gemeinsam? Nach außen anscheinend wenig. Doch in ihren Einstellungen gelten sie rein statistisch als ähnlich ausländerfeindlich. Zu diesem Ergebnis kommt eine Langzeit-Studie der Universität Leipzig.
Für die „Mitte-Studie“ haben die Wissenschaftler des Fachbereichs Medizinische Psychologie an der Universität in den vergangenen zehn Jahren rund 17.000 Menschen befragt. Sie fanden heraus, dass rund 31 Prozent der Ostdeutschen des Jahrgangs 1981 und jünger Vorbehalte gegenüber Ausländern haben. Ebenso hoch war der Anteil ausländerfeindlich eingestellter Menschen unter den älteren Westdeutschen der Jahrgänge bis 1930.
Zur Erklärung führen die Wissenschaftler an, dass beide Gruppen in ihrer Jugend den Zusammenbruch eines autoritären Systems – Kaiserreich, NS-Regime und DDR – erlebt hätten. Dies habe zu Unsicherheit und Aggressionen gegenüber Andersartigen geführt.
Aber auch der geringe Kontakt zu Ausländern führe zu Vorbehalten. Laut der Untersuchung stimmen Menschen im Durchschnitt seltener rechtsextremen Aussagen zu, wenn sie häufiger Kontakt zu Migranten haben. Umgekehrt sind gerade diejenigen, die im Alltag wenig Berührung mit Einwanderern haben, ihnen gegenüber feindlicher gestimmt. Die gezielte Begegnung könne deshalb auch ein Lösungsansatz in der Bekämpfung von Rechtsextremismus sein, erklärte der Wissenschaftler Oliver Decker.
Gefühl des Kontrollverlustes
Ein weiterer Grund für Ausländerfeindlichkeit liege im Kontrollverlust, hieß es. Fühle sich jemand in seinem Leben bedroht, neige er zu sogenannten ethno-zentrierten Einstellungen. Dabei wird die eigene Gruppe und ihr Verhalten als einziger Maßstab herangezogen. So werden beispielsweise Menschen verurteilt, die andere Essgewohnheiten haben.
Außerdem fanden die Wissenschaftler heraus, dass auch antisemitische Einstellungen in Ost und West ungleich verteilt sind. So gab in Westdeutschland jeder 10. Befragte an, Vorbehalte gegenüber Juden zu haben. Im Osten war es jeder 16. Befragte.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden