Landwirtschaft in Syrien: „Der Krieg liegt noch immer unter der Erde“
Nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien kehrt so mancher Bauer auf sein Land zurück – doch dort liegen oft unexplodierte Sprengkörper und Minen. Der Sohn des Farmers Mazen al-Basch wird so schwer verletzt.

Statt der grünen Felder, zu denen er geträumt hatte, zurückzukehren, blickt er auf Trümmer: auf sein zerstörtes Haus und die Überreste verbrannter Olivenbäume. Wenn es nur das wäre. „Das Land ist vermint, das Haus zerstört, die Eigentumsurkunden sind verbrannt. Nichts beweist mein Recht auf dieses Land“, sagt der 62-jährige Al-Razouq mit nassen Augen. Und weigert sich doch aufzugeben: „Ich werde neu anfangen, und wenn ich nur einen einzigen Baum pflanze“.
Khaled al-Razouqs Geschichte ist kein Einzelfall. Tausende syrische Bauern, die in ihre nun befreiten Heimatgebiete zurückkehren, stehen vor Herausforderungen: Da ist einmal die Gefahr durch Minen in den Feldern. Aber auch der Verlust von Dokumenten, die den Landbesitz erst belegen.
Menschen wie al-Razouq waren oft viele Jahre lang vertrieben: Im Laufe des ab 2011 wütenden Krieges in Syrien wurden laut dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) 14 Millionen Menschen zu Geflüchteten, über sieben Millionen von ihnen innerhalb des eigenen Lands. Gerade in der Region Idlib, aus der Al-Razouq stammt, flohen viele vor den Angriffen des Militärs und Geheimdienstes von Diktator Baschar al-Assad.
Syrien nach Assad
Seit Dezember 2024 ist das Assad-Regime Geschichte: Damals übernahm die Miliz HTS in einer Blitzoffensive das Land. Im Anschluss wurde ihr Anführer Ahmed asch-Scharaa Übergangspräsident, die Miliz in die Armee integriert. Regierungserfahrung hatte Asch-Scharaa bereits: Im Laufe des syrischen Bürgerkriegs verlor die Assad-Regierung große Teile der an die Türkei grenzenden westsyrischen Region Idlib an die dschihadistisch ausgerichtete HTS.
Mit anderen Oppositionsgruppen etablierte sie ab 2017 in den dort von ihr kontrollierten Gebieten das sogenannte Syrian Salvation Government (SSG). Analysten nannten es das „Staatsaufbauprojekt Al-Scharaas“. Das SSG wurde De-facto-Regierung, kümmerte sich etwa um Infrastruktur und stellte Gesetze auf. Idlib wurde so vielen, die vor Assad und seinen Schergen flohen, ein Zufluchtsort. Nun, da es das Assad-Regime nicht mehr gibt, kehren manche aus Idlib zurück in ihre Heimatregionen.
So etwa Mazen al-Basch. Der 55-Jährige stammt aus dem nördlichen Umland der Stadt Hama. Sie liegt zwischen Damaskus und Aleppo und war in der ganzen Region bekannt für ihre antiken Wassermühlen.

Er ist Landwirt. Als er zum ersten Mal seit Jahren jüngst wieder sein Land pflügte, explodierte ein Blindgänger – eine unter Erde begrabene Granate, sagt er. Sie verletzte seinen Sohn schwer. „Wir flohen vor diesen Granaten, und warteten Jahre, um zurückzukehren. Doch der Krieg liegt noch immer unter der Erde“, sagt al-Basch.
„Mehr als 500 Felder voll Panzerabwehrminen“
Nach Angaben des syrischen Zivilschutzes sind weite Teile Syriens durch Minen und nicht explodierte Kampfmittel kontaminiert. Vor allem die Provinzen Idlib, Hama, Aleppo und Deir ez-Zor seien betroffen: Über Jahre hinweg waren sie schweren Kämpfen aus der Luft wie am Boden ausgesetzt.
Die Opposition gegen Assad und seine Regierung waren hier besonders stark, die Kämpfe zwischen Rebellen, islamistischen Terrorgruppen und Regierungsarmee besonders intensiv. Die ländlichen Gebiete um Idlib, Hama und Aleppo sind gleichzeitig die wichtigsten Agrarregionen Syriens.
Der Agraringenieur Alaa as-Said engagiert sich als Berater für eine Wiederaufnahme der Landwirtschaft in Nord- und Zentralsyrien. Sie sei dort „fast vollständig zum Erliegen gekommen“, sagt er. Bodenerosion, der Zusammenbruch der Bewässerungssysteme und fehlende Lieferketten hätten zu einem Rückgang der Produktion beigetragen.
Al-Said betont außerdem: Die Präsenz von Minen mache die Landwirtschaft zu einem riskanten Unterfangen. „Allein in der Umgebung von Aleppo habe ich mehr als 500 Felder mit Panzerabwehrminen entdeckt, von denen einige zwei Meter tief vergraben sind und Spezialgeräte erfordern“, sagt er.
Noch fehlt ein Mechanismus zur Minenräumung
„Minen unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Militärs, zwischen Kindern und Bauern“, sagt Mohammed Sami al-Mohammed. Beim syrischen Zivilschutz ist er Verantwortlicher für nicht explodierte Kampfmittel. Al-Mohammed warnt: Verstreut liegende Munition sei auch nach Jahren noch scharf und könne explodieren.
Trotz der Bemühungen von Zivilschutzteams und lokalen Freiwilligen steht die Minenräumung nach wie vor vor enormen technischen und logistischen Herausforderungen: „Derzeit gibt es weder einen umfassenden nationalen Mechanismus, noch eine wirksame Koordinierung zwischen den Akteuren in diesem Bereich. Das bräuchte es aber, um eine umfassende Untersuchung der kontaminierten Gebiete durchzuführen“, sagt Al-Mohammed.
Außerdem reichten die verfügbaren Ressourcen nicht aus: „Die Minenräumung ist kein einfacher Vorgang. Sondern erfordert Spezialausrüstung, viel Erfahrung und eine langfristige Planung sowie ein sicheres Arbeitsumfeld“. In vielen Gebieten sei das nicht gegeben. Laut Al-Mohammed könne die vollständige Beseitigung dieser Gefahr – selbst bei Verfügbarkeit der erforderlichen Ressourcen – zwischen 10 und 20 Jahren andauern.
Er betont: Die nicht explodierten Sprengkörper seien für die Zukunft der Landwirtschaft in Syrien ein enormes Problem. Bauern pflügten ihr Land, ohne zu wissen, was darunter liege. Und riskierten damit nicht nur ihre Ernte, sondern auch ihr Leben und das ihrer Familien.
„Die Anerkennung der Katastrophe“
Dass die Räumungen kaum vorangingen, schränke die Bauern dabei ein, die aktuelle Anbausaison zu nutzen. Dabei bräuchte Syrien dringend eine funktionierende Landwirtschaft: Um rasch die Ernährungssicherheit zu verbessern und weniger abhängig von durch den Währungsverfall teuren Importen zu sein. Auch Landflucht in die Ballungsräume, deren Infrastruktur schon jetzt den Menschen nicht gerecht wird, könnte so verhindert oder verlangsamt werden.
Die Lösung, so Al-Mohammed, sei zunächst „die Anerkennung der Katastrophe“ – und dann die Arbeit an einer „gemeinsamen nationalen und internationalen Strategie“. Der syrische Zivilschutz wolle derweil seine Aufklärungskampagnen zu den nicht explodierten Sprengkörpern ausweiten. Er betont: „Die Minenräumung ist kein Luxus, sondern eine existenzielle Notwendigkeit“.
Und dann haben manche Bauern – so wie Khaled Al-Razouq – noch ein zweites großes Problem: Eigentlich besitzen sie Grund. Doch die Urkunden fehlen. Sie sind etwa bei Bombardierungen zerstört worden, oder bei der Flucht verloren gegangen. Und im Laufe des Krieges enteignete die Regierung von Diktator Baschar al-Assad gezielt das Vermögen politischer Gegner oder Sympathisanten der syrischen Revolution.
Die Behörden von Ex-Diktator Al-Assad stellten teils – in Abwesenheit der eigentlichen Besitzer – neue Eigentumsurkunden aus. So sind landwirtschaftliche Flächen zu einer rechtlichen Grauzone geworden: Manch alter Besitzer kann seine Rechte kaum nachweisen. Und nicht alle neuen Besitzer wussten darum.
Das Prinzip funktioniert auch andersherum: Etwa in Idlib, wo das Syrian Salvation Government herrschte, treffen Rückkehrer nun auf neue Bewohner in den Wohnungen und auf dem Land, das ihnen einmal gehörte.
Der auf Eigentumsfragen spezialisierte Anwalt Abdul Rahman al-Mahmoud fordert: Die Regierung müsse eine unabhängige nationale Behörde zur Wiederherstellung der Eigentumsrechte einrichten. Diese müsse sich auf mündliche und gemeinschaftliche Beweise stützen und so die Dokumentenkonflikte, die durch die vielen während des Konflikts herrschenden Kräfte entstanden, klären. Al-Mahmoud warnt vor einem „fruchtbaren Boden für illegale Aneignungen“.
„Ich habe den ersten Baum gepflanzt, den Rest überlasse ich Gott“, sagt Khaled al-Razouq, während er Steine aus den Überresten seines Olivenhains räumt. Zwischen Minen und Trümmern sprießen da die Pflanzen.
Die Autorin Huda Al-Kulaib ist Teilnehmerin des Syrien-Workshops der taz-Panter-Stiftung, Journalistin und Mutter von fünf Kindern. Sie lebt in einem Geflüchtetencamp nördlich der Stadt Idlib. Ihr Haus in ihrer Heimat, dem Dorf Kafranbel im Süden von Idlib, ist völlig zerstört.
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