Landwirtschaft in Russland: Lenins Erdbeeren
Bei Jewgeni Kusyk können Kinder Tiere streicheln. Sein Hof ist winzig gegenüber Großbetrieben. Boomt Landwirtschaft so, wie der Staat es vorgibt?
E r war der Junge aus der Stadt, der es allen zeigen wollte. Der sich nichts hat sagen lassen, um sein Ding durchzuziehen. Das Ding mit einem eigenen Bauernhof. Da steckte er noch jeden Tag in Anzug und Krawatte, saß in Meetings, leitete Finanzanalysen an seine Chefs weiter – und dachte in ruhigen Minuten: Ach, was war das toll, damals als Kind bei der Großmutter auf dem Dorf! Natur, Tiere, frische Luft. Jewgeni Kusyk muss lachen, wenn er an seine Naivität denkt, damals vor Jahren, an die romantische Vorstellung eines dörflichen Lebens. „Ich hatte viel zu viele rosarote Brillen auf. Sie wurden mir nach und nach abgenommen, ein teurer Weg in die Realität.“
Eine Realität mit eigenem Bauernhof, 350 Hektar Land, 70 Mitarbeiter*innen, sieben Gästehäuser, ein Dampfbad, eine Kapelle, 41 Milchkühe, Schweine, Schafe, Hühner, Truthähne, Hunde „und wahrscheinlich 50 Katzen, die hier herumstreunen“. Dorfromantik, die gibt es hier, zwei Autostunden südlich von Moskau, dann doch, mag auch die Filteranlage eines Zementwerks, die nachts auf der Anhöhe leuchtet, das Bild der vermeintlichen Landidylle stören. „Baikonur“ nennen sie hier den brummenden Riesen in der Ferne, wie den Weltraumbahnhof in Kasachstan. Ihre Ohren vernehmen die Geräusche kaum mehr. Den Vorwurf, nicht ökologisch zu wirtschaften, weisen sie weit von sich. „Nie haben wir behauptet, Ökoprodukte zu produzieren, auch wenn die Boden- und Wasserproben hier stets Spitzenwerte anzeigen“, sagt Jewgeni Kusyk.
Kinder laufen auf der Weide einem Schaf hinterher, ein Junge gibt einem Kaninchen im Käfig Salat zu fressen und jauchzt vor Freude, die Mädchen machen sich Sorgen um ein herumlaufendes Schwein. Gerade ist eine Gruppe Stadtkinder zu Besuch auf der „Ferma Lukino“, so der Name von Kusyks Bauernhof. Seine eigenen Töchter mischen sich unter die Kinder, nennen die Namen der Hunde, zeigen, welche Fläschchen neugeborene Kälber bekommen, fallen schließlich dem Vater um den Bauch und verkünden mit kindlichem Stolz: „Und das ist mein Papa, der Bauer.“
Wiedergeburt der russischen Landwirtschaft
Der einstige Finanzanalyst Jewgeni Kusyk gehört zu einer wachsenden Schar russischer Neubauern. Seit Russlands Präsident Wladimir Putin als Reaktion auf die europäischen Sanktionen gegen das Land Einfuhrverbote auf Lebensmittel aus Europa erlassen hatte, ist die heimische Landwirtschaft buchstäblich in aller Munde. In den Läden reihen sich Joghurts an Milchflaschen an Käsesorten aus russischer Produktion, Fleisch kommt ebenfalls von russischen Erzeugern.
Das Thema dominiert die Agenda der Beamten, sie überbieten sich geradezu darin zu erklären, wie gut es mit der Versorgung der Menschen mit eigenen Produkten klappe. Der Kreml spricht von einer „Wiedergeburt der russischen Landwirtschaft“. Noch macht diese nur knapp vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus und ist ein relativ kleiner Bereich. Doch als Wachstumstreiber wird die Landwirtschaft immer wichtiger. Das Kalkül: Die Konfrontation mit dem Westen macht Russland nur noch stärker: „Wir können alles selbst!“, heißt es. Auch wenn die Melkmaschinen aus dem Westen kommen, die Rinderherden oft in den USA gekauft werden, das Obst aus der EU nicht selten umdeklariert über Belarus nach Russland gelangt oder auf dem asiatischen Markt beschafft wird.
Die Bauern profitieren tatsächlich davon, dass die europäische Konkurrenz weitgehend vom russischen Markt verschwunden ist. Doch sie winken auch ab. Die auferstandene russische Landwirtschaft? „Schönfärberei“, sagen sie und zählen auf, was eben fehlt zu einem richtigen Boom des Agrarsektors. Denn es sind nicht die Kleinunternehmer*innen, die gestärkt aus der Abschottung des russischen Marktes hervorgehen. Die Landwirtschaft ist bereits vor Jahren zu einer lukrativen Anlage für Großinvestoren geworden. Einer der größten davon ist ein Deutscher: Stefan Dürr, der in der Schwarzerderegion um Woronesch an der Grenze zur Ukraine an die 600.000 Hektar Land bewirtschaftet, rühmt sich dafür, Putin zu den Einfuhrverboten aus Europa geraten zu haben.
Nun aber sucht auch er Investoren, die Schuldenlast ist offenbar zu groß geworden, 30 bis 50 Prozent seines Unternehmens, so heißt es in russischen Medien, will er an einen noch größeren Investor verkaufen, höchstwahrscheinlich an einen Stahlproduzenten, der wie so viele andere Milliardäre im Land ebenfalls die vermeintliche Goldgrube Landwirtschaft für sich entdeckt hat. Manche in der Branche sprechen von „Blasen, die zu platzen drohen“, wenn die Holdings immer größer werden.
Dynamische Entwicklung: Nach Angaben der russischen Statistikbehörden steigt die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse von Jahr zu Jahr an. Die jüngsten Zahlen weisen einen Anstieg von fünf Prozent im Vergleich zum vorangegangenen Jahr auf. Pflanzliche und tierische Güter liegen dabei fast gleichauf. Die Coronapandemie lässt zwar auch den russischen Agrarsektor leiden, gegenüber anderen Branchen entwickelt er sich aber stabil, schreiben russische Analysten. Von den arbeitsfreien Tagen, die Russlands Präsident Putin im vergangenen Jahr verhängt hatte, um den Anstieg der Infektionen zu stoppen, wurde die Agrarbranche explizit ausgenommen.
Weltmeister: Vor allem im Weizenanbau ist das größte Land der Erde spitze. Seit einigen Jahren ist Russland der größte Weizenexporteur der Welt, vor den USA und Kanada. Zuletzt waren es mehr als 38 Millionen Tonnen im Jahr und damit 20 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die größten Kunden sind die Türkei, Ägypten und Iran.
Steigende Preise: In der Pandemie waren die Preise für Brot, aber auch für Eier und Sonnenblumenöl im Land gestiegen. Die Regierung verordnete daraufhin, die Preise für verschiedene Lebensmittel einzufrieren. Die eigentliche Ursache liegt allerdings in der Geldpolitik der Regierung. Der schwache Rubel bringt Bauern in Nöte. Sie erhöhen die Preise, weil sie selbst überleben müssen. (inn)
In einem Bericht der Moskauer Higher School of Economics heißt es, dass vor allem in Infrastruktur und Forschung investiert werden müsse, wolle Russland international wettbewerbsfähig sein. Die staatlichen Programme setzten dagegen vor allem auf eine Steigerung der Produktion, was zu ökologischen Risiken durch Überausbeutung führe. Die Gelder, die den gesamten Sektor im Blick haben – wie eben durch Investitionen in Entwicklung, Bildung und Infrastruktur –, seien dagegen gekürzt worden.
Die Agroholdings: Firmen mit Land von Kaliningrad bis China
Es sind die Riesen, die sogenannten Agroholdings, die immer mehr Marktanteile gewinnen. Sie steigen in den Getreideanbau ein, bauen in großem Stil riesige Rinderherden auf und feiern Erfolge, indem sie für den Export produzieren. Der Motor solcher Fortschritte sind Unternehmen wie Tscherkisowo, das Felder und Fabriken von Kaliningrad ganz im Westen bis in den Altai an der Grenze zu China betreibt. Mit 300.000 Hektar Land und 33.000 Mitarbeiter*innen gehört das Agrarkonglomerat, das den Hauptsitz in Moskau hat, zu den größten Landwirtschaftsunternehmen Russlands. „Die Nummer 1 in der Fleischproduktion“, steht es in Rosa in der Unternehmensbilanz für das vergangene Jahr. „Die Nummer 1 in der Geflügelfleischproduktion“, prangt es in Gelb daneben.
„Natürlich beginne ich meinen Tag mit Geflügelschinken aus unseren Werken“, sagt Rustam Chafisow, der Hauptanalyst der Tscherkisowo-Gruppe, in einem Zoom-Gespräch. Das Unternehmen lobt sich, enorm in die Digitalisierung zu investieren, spricht geradezu liebevoll von robotisierten Fabriken („einzigartig in der Welt“), für eine Besichtigung dieser Wunderwerke fehle aber leider die Zeit. Ein Besuch müsse besser vorbereitet, stärker abgestimmt werden, heißt es nach mehreren Anfragen.
Rustam Chafisow, Tscherkisowo-Agrargruppe
„Die Sanktionen und die Gegensanktionen haben eine positive Rolle in der Entwicklung der Landwirtschaftsbranche gespielt“, sagt Rustam Chafisow. Die Aufmerksamkeit sei größer geworden, die staatliche Unterstützung um das Eineinhalbfache gewachsen. „Wir bekommen günstigere Kredite, veraltete Normen werden schnell korrigiert.“ Chafisow sieht durch die Staatshilfen die Position seines Unternehmens gestärkt.
Die Firma exportiert in die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, nach Südostasien, China, in den Nahen Osten. Zuletzt gingen 85.000 Tonnen Waren ins Ausland. Das sind 70 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor.
Das Unternehmen ist aus einer sowjetischen Fleischverarbeitungsfabrik hervorgegangen. Ihr letzter Leiter wurde in den 1990ern, als das Land zusammenbrach, zum Inhaber des Werks. Die Herstellungsrezepte aus sowjetischen Tagen werden gehütet wie einen heiliger Gral. Die Doktorskaja-Wurst oder der sowjetische Cervelat sind bis heute bei den Verbraucher*innen sehr gefragt und in nahezu jedem russischen Supermarkt zu finden.
Mittlerweile ist aus der damaligen Wurstfabrik eine Agroholding gewachsen, mit Schweine- und Geflügelzucht, die auf Fleisch- und Mischfutterproduktion setzt. Die Konzeption: Alles wird selbst hergestellt, um die Wertschöpfungs- und Lieferketten zu optimieren. Tscherkisowo kauft kleinere Werke quer durchs Land dazu, baut neue Fabriken und wird immer größer. Die Herausforderung dabei: die Rekrutierung von Fachpersonal.
Pawel Grudinin, Erdbeerbauer
Das ist auch bei Kleinbauern wie Jewgeni Kusyk oft ein Problem. Seine Hirten kommen nicht selten aus Zentralasien, die Mitarbeiter*innen in der Milchverarbeitung aus der Ukraine. Die Corona-Pandemie samt der geschlossenen Grenzen hat die Suche noch erschwert. Kusyks Bauernhof beliefert vor allem Moskauer*innen mit Milch- und Fleischprodukten, mit eingelegten Waren, Honig, Säften, Kräutern aus eigener Produktion. „Dabei hatte alles damit angefangen, dass ich meine Familie mit frischem Essen versorgen wollte.“
Nach der Geburt des Sohnes vor 14 Jahren habe sich ihm und seiner Frau plötzlich die Frage gestellt: Was essen wir eigentlich? Kusyk suchte nach zuverlässigen Milch- und Fleischlieferanten – und hatte am Ende eine Schafsfarm gekauft. Er pendelte von Moskau nach Lukino, ließ eine befahrbare Straße zum Hof legen, die Infrastruktur kam hinzu, er verkalkulierte sich mit der Geflügelzucht, hatte ein gutes Händchen mit dem Streichelzoo für Kinder. Vor allem aber setzte er auf Belieferung der Hauptstädter*innen mit frischen Produkten, eigentlich das, was er für seine Familie gesucht hatte.
Anfangs saß der heute 40-Jährige noch selbst am Steuer und brachte das Fleisch, den Käse und die Pelmeni in die Wohnungen seiner Kund*innen. Vor elf Jahren waren Hauslieferungen noch ein Novum im Land, die Nachfrage nach Produkten vom Bauernhof hatte da gerade erst eingesetzt. Heutzutage überbieten sich selbst größere Supermärkte mit „Bioprodukten vom Bauernhof“, mögen diese auch nicht immer von kleinen Höfen stammen. Start-ups bieten Bauern Plattformen, auf denen sie ihre Waren vom Feld für die Kunden in der Stadt vermarkten. Der Lieferservice ist alltäglich geworden. „Er hat sich etwas erschöpft“, sagt Kusyk im Restaurant seines Hofes.
Staatliche Hilfen? „Ist wie ein Tanz mit dem Tamburin. Viel zu viel Aufwand für viel zu wenig Ertrag. Wir haben es einmal versucht und lassen es seitdem sein.“
In den kommenden zwei Jahren will er sich mehr seinem Agrotourismus-Projekt zuwenden, auch wenn er sagt, dass im Land das Verständnis für den Begriff und was dahintersteckt fehle. „Auf dem Hof arbeiten, um sich zu erholen, ist fern jeder Vorstellung hier.“ Bei ihm können die Gäste Traktoren putzen, den Mist im Kuhstall wegräumen, bei der Heuernte helfen.
Angenommen wird das Angebot nicht von vielen. In Kleinstgruppen werden die Besucher*innen durch den Hof geführt, lernen die Arbeit im Stall kennen, die Kinder streicheln Ferkel und melken eine Kuh. Für sie scheint der Ort wie ein Paradies. Sie wollen Kätzchen mit nach Hause nehmen und zu jeder Jahreszeit wiederkommen, Eislaufen auf dem See im Winter, planschen im selben See im Sommer.
Im Hofrestaurant wird das Essen aus der eigenen Produktion serviert, es ist, als sei man zu Besuch im Wohnzimmer der Bauersfamilie. Kusyks vier Kinder suchen sich Spielgefährt*innen unter den Gästen, sie erzählen hier über ihre Schule, lassen den Hasen aus dem Käfig und jagen ihm freudig schreiend hinterher. Seit einem Jahr wohnt die ganze Familie in Lukino, die nächste größere Stadt ist eine Stunde weit weg. Ihr Haus im Moskauer Umland, samt Nanny, Fahrer, Putzfrau, haben sie gegen das Hofleben eingetauscht.
„Nicht voller Begeisterung“, wie Kusyks Frau Natalja sagt, „aber so sind wir endlich alle vereint. Vor allem die Mädchen blühen hier auf.“ Der Sohn schleppt einen Rasenmäher hinter sich her, hat dem Vater versprochen, die Wiese beim Spielplatz zu mähen. „Ich bin hundert Jahre damit beschäftigt“, jammert er und weiß nicht, dass die Mutter eine Überraschung für ihn hat: einen Traktor zum Mähen.
Besuch bei Lenins Erdbeeren
Die Sowjetunion lebte von ihren Kolchosen, den genossenschaftlich organisierten Großbetrieben, und den Sowchosen, den staatlichen Landwirtschaftsbetrieben. Agrarreformen in den 1980ern ließen mit wenigen Familienbetrieben eine neue Art landwirtschaftlicher Produzenten entstehen. Seit dem Zusammenbruch des Landes verödeten immer mehr Ackerflächen, 35 Millionen Hektar Agrarland gingen verloren, eine Fläche so groß wie Deutschland. Größere und schnellere Gewinne lieferte die Rohstoffbranche.
„Wir sitzen bis heute auf der Röhre, und niemand aus der Ministerriege kennt die Landwirtschaft“, sagt Pawel Grudinin, den viele hier als Erdbeerkönig kennen – und als Putins Herausforderer bei der Präsidentenwahl vor drei Jahren. Der Agrarunternehmer hatte mit seinen Forderungen nach einer sozialen Marktwirtschaft Sympathien eingefangen und landete mit fast zwölf Prozent auf Platz zwei. Russland wollte er genauso führen wie seine Lenin-Sowchose vor den Toren Moskaus.
Auf 1.500 Hektar Land befindet sich die größte Erdbeerplantage Russlands, hier grasen 400 Milchkühe, wachsen Obstbäume und Gemüse. Es finden sich aufgeräumte Wohnsiedlungen, ein Kindergarten im Neuschwansteinstil, eine neue Schule, ein neues Schwimmbad. Die roten Fahnen wehen lediglich am Eingang der Sowchose, rote Plastik-Erdbeeren finden sich dagegen überall. Wie auch Märchenfiguren aus Metall.
Pawel Grudinin, der Kapitalist mit sozialem Ehrgeiz, hat hier eine Art Disneyland-Sowjetunion erschaffen. Eine gelebte Utopie mit Zugang per Erkennungsmarke. Grudinin wünscht sich unverhohlen die alte Sowjetunion zurück, gibt sich als harter Kritiker des Marktes und ist doch einer, der vom Markt profitiert. Seine Mitarbeiter*innen lockt er mit einem üppigen Gehalt von umgerechnet 1.200 Euro, vergünstigten Wohnungen, Urlaubsgeld, Rentnerunterstützung und Beihilfen für das Kinder-Sommerlager. 320 Festangestellte und bis zu 220 Saisonarbeiter wohnen in der Sowchose. Mitarbeiterschwund kenne er nicht, sagt Grudinin.
Der joviale 60-Jährige fährt im Auto die asphaltierten Wege entlang, zeigt seine Felder, seine Plantagen, auch sein Agrotourismus-Projekt. Hier können Kinder – ähnlich wie auf der „Ferma Lukino“, nur größer – Kaninchen streicheln und Waschbären füttern, sie können Traktor fahren und auch einmal Milch melken. „Stadtkinder lernen hier das Landleben kennen.“
Sowchose schon seit 1918
Die Lenin-Sowchose gibt es bereits seit 1918. Hier haben Grudinins Großeltern, seine Eltern, seine Onkel und Tanten gearbeitet. „290 Jahre Diensterfahrung der Grudinins stecken in dieser Sowchose“, sagt er und lacht. Hier hat auch er Karriere gemacht: vom Belader bis zum Direktor. Heute ist Grudinin Hauptanteilseigner einer geschlossenen Aktiengesellschaft, die den sowjetischen Namen der Sowchose nie abgelegt hat. Auch die Lenin-Statuen sind nicht vom Gelände verschwunden.
Zwei Drittel der Belegschaft baute Grudinin in den vergangenen Jahren aber ab, auch Land musste er verkaufen. Er lebt von der Pacht des teuren Bodens, den er nicht landwirtschaftlich nutzt – und muss seine Sowchose immer wieder gegen feindliche Übernahmen retten. Gerichtsverfahren laufen, mit Crowdfunding sammelt er derzeit Geld, um hohe Strafen zu bezahlen, weil er falsch gewirtschaftet haben soll.
„Die übliche Justizwillkür hier im Land“, sagt er und könnte wohl Stunden über Beamte schimpfen, die sich „ohnehin nur bereichern wollen“. Die Erfolge in der Landwirtschaft hält er für „staatliche Propaganda“. „Es gibt hier nichts Eigenes, keine Landmaschinenwerke, keine Melkapparate, nicht einmal Bruteier bekommen wir hin. Womit kann sich unsere Landwirtschaft denn rühmen?“ Die Technik sei veraltet, in Infrastruktur werde nicht investiert, Staatshilfen gingen lediglich an die staatsnahen Agroholdings. „Erst wenn der Sohn eines Bauern Bauer werden will, geht es unserer Landwirtschaft gut.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?