Landwirtschaft in Niedersachsen: Geflügeltransporte in den Krieg

Niedersachsen hat Tiertransporte nach Russland, Belarus und in die Ukraine untersagt, aus Tierschutzgründen. Doch Geflügel bleibt ausgenommen.

Viele flauschige Küken stehen dicht gedrängt auf Futterpallets

Dürfen in der Ukraine aus dem Ei schlüpfen: Küken Foto: Sonja von Brethorst/TiHo/dpa

OSNABRÜCK taz Lebende Tiere werden von Niedersachsen aus in viele Länder der Welt transportiert – bis vor Kurzem auch nach Russland. Doch während das Landwirtschaftsministerium im März in einem Erlass den Transport von Pferden, Rindern, Schafen, Ziegen und Schweinen wegen des russischen Angriffskriegs nach Russland, Belarus und in die Ukraine ausgesetzt hat, ist von Geflügel darin nicht die Rede. Ein Schlupfloch für die Geflügelindustrie?

Miriam Staudte, Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im hannoverschen Landtag und agrarpolitische Sprecherin, hakte mit einer Kleinen Anfrage nach – und bekam vom Ministerium der CDU-Politikerin Barbara Otte-Kinast nur eine spärliche Antwort. „Knapper kann man kaum antworten“, ärgert sich die Grüne im Gespräch mit der taz.

„Derzeit“ würden in Niedersachsen keine Lebendtiertransporte von Nutztieren nach Russland und in die Ukraine abgefertigt – das gelte auch für den Transport frisch geschlüpfter Küken, heißt es in der Antwort. Verbindlich geregelt ist dies in dem Erlass für die kommunalen Veterinärbehörden aber eben nicht.

Staudte ärgert das. „Es gibt keinen Grund, in diesem Erlass das Geflügel auszuschließen“, sagt sie. „Da muss unbedingt nachgearbeitet werden.“ Hunderttausende Tiere seien betroffen. In Bezug auf den Transport Richtung Osten habe das Landwirtschaftsministerium schon in der Vergangenheit einräumen müssen, dass etliche Versorgungsstationen für die Tiere nur auf dem Papier existierten. „Tagelange Transporte über Tausende von Kilometern sind vor diesem Hintergrund auf gar keinen Fall tierschutzkonform durchzuführen.“

Stalltore geöffnet vor der Flucht

Staudte hat eine Vermutung, warum das Geflügel ausgespart ist: „Otte-Kinast will sich offensichtlich nicht mit der Geflügellobby anlegen.“ Die Grüne mahnt: „Niemand weiß, wie die Zustände kriegsbedingt auf den Transportrouten sind.“ Ebenso wenig in den Ställen: „Man muss mit Stromausfällen rechnen. Es gibt Fälle, in denen Menschen, die fliehen mussten und ihre Tiere nicht mehr versorgen konnten, einfach die Stalltore geöffnet haben.“

Seit Januar 2022 ist es Geflügelbetrieben in Deutschland verboten, männliche Küken zu töten.

Zuvor wurden laut Bundeslandwirtschaftsministerium in Deutschland jedes Jahr etwa 45 Millionen Hühnerküken kurz nach dem Schlüpfen getötet.

Der Grund dafür sind die Züchtungen. Hühner, die Eier legen sollen, setzen nur wenig Fleisch an. Für die Fleischproduktion nutzt die Wirtschaft andere Rassen. Die männlichen Küken von Legerassen sind daher nutzlos. Es ist nicht wirtschaftlich für die Landwirt:innen, sie aufzuziehen – deshalb wurden sie direkt nach dem Schlüpfen geschreddert oder vergast.

Verfahren wie die Bestimmung des Geschlechts im Ei sollen eine Alternative sein. Die männlichen Eier werden dann nicht mehr ausgebrütet.

Tierschützer:innen kritisieren, dass die Tiere ab dem siebten Tag auch im Ei bereits ein Schmerzempfinden besitzen. Eine Forderung ist die Umstellung auf Zweitnutzungsrassen. Die können sowohl zur Ei- als auch zur Fleischproduktion genutzt werden – allein, damit ist weniger Geld zu verdienen.

Friedrich-Otto Ripke, Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft, beruhigt: „Lebende Tiere werden im Moment nicht ausgeführt, weder nach Russland noch in die Ukraine.“ Aber es gebe einen Unterschied: „Nach Russland liefern wir gar nichts. Aber der Ukraine, die ja in Folge des Krieges mit Hunger zu kämpfen hat, helfen wir mit Bruteiern von Masttieren.“

Die Eier gehen per Lkw in die Westukraine, dort schlüpfen die Küken und sind nach anderthalb Monaten schlachtreif. „Eine kurzfristige Hilfe bei der Ernährungsproblematik“, sagt Ripke. „Auch schon vor dem Krieg haben wir der Ukraine geholfen, auch mit Genetik. Das Land ist sehr daran interessiert, seine Geflügelwirtschaft zu stärken.“

Ein Schlupfloch, um die unwirtschaftlicheren männlichen Küken weiterverkaufen zu können, die in Deutschland seit Januar 2022 nicht mehr geschreddert werden dürfen (siehe Kasten), sei die Aussparung des Geflügels in Otte-Kinasts Erlass nicht, sagt Ripke. „Diese Tiere gehen zur Mast nach Polen. Für die Ukraine wären sie ungeeignet, denn ihre Aufzucht dauert und frisst viel Futtermittel.“

In den letzten fünf Jahren, so heißt es vom Agrarministerium in der Antwort auf die Kleine Anfrage, habe die Ukraine für den Export von beispielsweise Truthahn-Küken aus Niedersachsen „eine Rolle“ gespielt, Russland ebenfalls. Es sei gut, dass Ministerin Otte-Kinast „nach anfänglicher Untätigkeit“ das Abfertigen von Tiertransporten in ihrem Erlass vom März untersagt habe, sagt Staudte. Aber die Gründe, die den Transport von Pferden, Rindern, Schafen, Ziegen und Schweinen verbieten, beträfen ebenso das Geflügel.

Tiere könnten im Krieg verletzt werden

Es sei „wahrscheinlich, dass den Tieren unnötige Leiden oder Verletzungen zugefügt würden“, heißt es im Erlass. Möglich seien unkalkulierbare Wartezeiten an Grenzen, Verkehrsbehinderungen durch Flüchtlingsströme, Hemmnisse bei Verzollungen und Einfuhruntersuchungen, Schließungen oder Einschränkungen von Versorgungsstellen oder eventuelle Verletzungen der Tiere durch Waffen­einsatz in Kampfhandlungen.

Ein Indiz dafür, dass sich das Bundesland damit schwertut, Wirtschaftsbeziehungen zu Russland zu kappen, ist Niedersachsens Repräsentanz in Moskau. Die ist noch nicht geschlossen. Markteinstieg in Russland? Vermittlung politischer Kontakte? Unterstützung bei der Organisation von Messeständen? Vermittlung möglicher Lieferanten? Die Angebotsbreite der Vertretung ist online noch immer abrufbar.

Man könne „nicht ernsthaft weiter ein Büro für Wirtschaftskontakte niedersächsischer Unternehmen in Moskau unterhalten“, während „in der Ukraine seit sechs Wochen Bomben fallen und Putins Truppen schwere Kriegsverbrechen verüben“, sagt der grüne Abgeordnete Christian Meyer. Die Vertretung sei abzuwickeln und zu schließen.

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