Landwirtschaft in Niedersachsen: Attacke auf den Mindestlohn
Keine Dokumentation der Arbeitszeit, Lohn erst nach Monaten: Auf Kosten von Erntehelfern wollte die CDU in Niedersachsen die Kassen der Bauern sanieren.
HANNOVER taz | Wenn es um mies bezahlte Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft geht, kennt Niedersachsens CDU wenig Mitleid. Zwar gilt für die oft aus osteuropäischen Staaten wie Polen oder Rumänien stammenden LandarbeiterInnen in Deutschlands Agrarland Nummer 1 nicht der gesetzliche, sondern nur ein tariflicher Mindestlohn von aktuell 7,40 Euro – doch drücken möchten die Christdemokraten ihn trotzdem.
Die Agrar-Arbeitgeber sollten bitteschön von der „Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit“ ausgenommen werden, forderte CDU-Fraktionschef Björn Thümler in einem Antrag, der am Donnerstag im Landtag in Hannover mit rot-grüner Mehrheit abgelehnt wurde. Außerdem sei die Möglichkeit, den Lohn von Saisonarbeitern erst „am Ende der Beschäftigung auszuzahlen“, genauso gewünscht wie weniger Kontrollen.
Für Teile der CDU ist das nur konsequent – schließlich hat der Arbeitgeberflügel den Mindestlohn über Jahre erfolgreich bekämpft. Noch im Mai 2013 erteilte Kanzlerin Angela Merkel jeder Form von einer gesetzlich geregelten Mindestbezahlung eine klare Absage. Der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) versprach sie lediglich, sich für tarifliche Mindestlöhne starkzumachen – wie sie heute noch in der Landwirtschaft gelten.
Noch 2014 setzten CDU-Wirtschaftspolitiker wie der Vizefraktionschef im Bundestag, Michael Fuchs, alles daran, das Lieblingsprojekt von SPD-Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles aufzuweichen (siehe Kasten) – was die CDU-Bundestagsfraktion heute allerdings nicht daran hindert, den Mindestlohn als „Meilenstein“ abzufeiern.
Erst seit Anfang 2015 gilt in der Bundesrepublik ein gesetzlicher Mindest-Stundenlohn von 8,50 Euro. Allerdings gibt es Ausnahmen –etwa für Jugendliche und Langzeitarbeitslose.
Dieser Mindestsatz kann außerdem durch sogenannte allgemeinverbindliche Tarifverträge unterlaufen werden – wie etwa in der Landwirtschaft.
Auch sichert der Mindestlohn kein gutes Leben: Bei einer monatlichen Regelarbeitszeit von 160 Stunden beträgt der Bruttolohn nur 1.184 Euro – für Singles sind das nur etwas mehr als 900 Euro netto.
GewerkschafterInnen fordern deshalb längst einen Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde – und mehr.
Gerade für Niedersachsens Sozialdemokraten war die aktuelle Attacke der CDU deshalb eine Provokation: „Wir mussten diesen Antrag ablehnen“, so der SPD-Abgeordnete Ronald Schminke zur taz. „Der Vorstoß der CDU geht eindeutig zu Lasten prekär beschäftigter Arbeitnehmer, die sich schlecht wehren können.“ So verlören SaisonarbeiterInnen, die ihren Lohn etwa bei der Spargel- oder Erdbeerernte erst am Ende ihrer bis zu sechsmonatigen Tätigkeit erhielten, im Fall einer Pleite ihres Arbeitgebers einen Großteil ihrer Ansprüche: „Da gelten Ausschlussfristen von zwei Monaten“, sagt Gewerkschafter Schminke. „Kein Arbeitsgericht wird den Leuten ihren vollen Lohn zusprechen.“
Besonders ArbeiterInnen aus Osteuropa drohe oft schlichte Erpressung: „Wenn der Bus für die Heimreise schon auf dem Hof steht, können sie natürlich mit dem Arbeitgeber über fehlenden Lohn diskutieren“, sagt auch der agrarpolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion, Hans-Joachim Janßen. „Allerdings müssen sie die Fahrt dann selbst organisieren – oder die Klappe halten.“
Auch die Warnung von CDU und FDP, Landwirte könnten durch überbordende Bürokratie belastet werden, kann Janßen nicht nachvollziehen. „Dokumentiert werden müssen nur Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit.“ Der Antrag der Christdemokraten stehe für den durchsichtigen Versuch, „den Mindestlohn zumindest in Teilbereichen aufzuweichen“, meint der Grüne und klingt dabei ähnlich wie Niedersachsens DGB-Sprecherin Tina Kolbeck-Landau: „Jeder seriöse Arbeitgeber führt Aufzeichnungen über die Arbeitszeit seiner MitarbeiterInnen“, sagt die Gewerkschafterin.
Die rund 50.000 Saisonkräfte in Niedersachsens Landwirtschaft brauchten Schutz durch staatliche Kontrollen – und keine Liberalisierung, findet sie: „Die Landwirtschaft bleibt eine missbrauchsanfällige Branche.“
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