Landwirte in der Ukraine: Minen mit dem Traktor räumen
In der Ukraine kommt der Staat mit dem Räumen verminter Felder kaum hinterher. Landwirte helfen sich jetzt selbst – mit ferngesteuerten Traktoren.
Nur eins weiß man sicher: Betroffen sind die Felder der hiesigen Landwirte, deren Flächen nun oft nicht mehr nutzbar sind. Aussaat und Ernte wären viel zu gefährlich. Das führt zu finanziellen Einbußen.
„Leider kann der Staat uns nicht helfen. Deswegen habe ich mein privates Geld in die Minenräumung investiert. Mir ist klar, dass dieser Entminungsprozess fünf bis zehn Jahre dauern kann. Aber wenn wir es nicht tun, tut es niemand“, sagt Oleg Girman, Inhaber zweier Agrarunternehmen.
Girman ist einer der ersten Landwirte der Region, der selber mit der Minenräumung auf seinen Felder begonnen hat. Dazu hat er einen Traktor mit einer Fernsteuerung und einer speziellen Walzen-Vorrichtung an der Vorderseite ausgerüstet. Damit bearbeitet er jetzt die Felder in Jaworskoje.
Die fünfte Mine hat ihn erwischt
Girman sagt, dass das ukrainische Ministerkabinett die umliegenden Dörfer nicht auf die Liste der Gebiete aufgenommen habe, in denen es Kampfhandlungen gab. Deshalb bekämen die dort ansässigen Landwirte keine Steuererleichterungen. „Wir müssen den normalen Mindeststeuersatz zahlen, können wegen der Minen aber die Felder nicht nutzen. Das heißt: keine Einnahmen, Steuerschulden, Beschlagnahmung der Landmaschinen, Pleite. Ich sehe gar keinen anderen Ausweg, als meine Felder auf eigene Kosten wieder sicher zu machen“, sagt er.
Die Umrüstung des ersten Spezialtraktors zur Minenräumung dauerte etwa eine Woche und kostete umgerechnet 35.000 Dollar. Mit Hilfe des ferngesteuerten Traktors konnte Girman fast drei Viertel seiner insgesamt 1.000 Hektar Ackerland minenfrei machen.
Bislang wurde der Traktor fünfmal durch explodierende Minen beschädigt, die letzte Explosion hat ihn endgültig zerstört. Zum Glück gab es keine Verletzten. „Viermal ist der Traktor mit der Walze über Minen gefahren. Bei den Detonationen wurde die Walze jeweils zerfetzt, wir mussten sie austauschen. Beim letzten Mal hat die Walze aber die Mine nicht erwischt, und der Traktor ist dann mit einem seiner Räder darüber gerollt“, erklärt Girman.
Bisher hat Girman seine eigenen Felder geräumt. Jetzt hätten aber auch benachbarte Landwirte Interesse angemeldet. Er hat schon zwei weitere T-150-Traktoren gekauft, die er nun umbauen lässt.
Alle wollen die Traktoren
Die Arbeiter, die gerade die Fernsteuerung an den Traktor anbauen, sagen, dass sie seit Januar quasi durchgearbeitet hätten, so viele neue Anfragen gebe es. Von überall kommen Anfragen nach Traktoren.
„Das ist alles ganz einfach“, erklärt der Ingenieur Konstantin Gnida, der die Traktoren für die Fernsteuerung umrüstet. „Wir haben zwei elektronisch gesteuerte Hydraulikventile installiert. Eins steuert die Lenkung, damit man den Traktor wenden kann. Das zweite ist dafür verantwortlich, dass wir die Walze heben und senken können.“ Er zeigt auf die Fernbedienung: „Damit können wir die Kupplung bedienen und das Gaspedal. Diese wenigen Funktionen reichen aus, um arbeiten zu können.“
Eine Woche brauchen der Ingenieur und sein Team ungefähr dafür, einen Traktor vollständig umzurüsten. Die Hydraulikkomponenten werden in Italien bestellt, die Mikrochips in China. Eine Ausstattung kostet etwa 10.000 Dollar, mit Autopilot 4.000 Dollar mehr. Eine Walze zur Minenräumung kostet etwa 40.000 Hrywnja, umgerechnet etwa 1.000 Euro. Nach jeder Detonation muss sie ausgewechselt werden. Hinzu kommen die Kosten für den Traktor selbst.
Ingenieur Konstantin Gnida über die Fernsteuerung des Traktors
Sobald die gesamte Ausrüstung montiert ist, kann der Traktor mittels Fernsteuerung aus einer Entfernung von bis zu zwei Kilometern gesteuert werden. An einem Tag können etwa 15 Hektar entmint werden, wenn es keine Explosionen oder Schäden an der Ausrüstung gibt.
Mit Oleg Girman fahren wir zu dem Feld mit dem völlig verbrannten Spezialtraktor. Zwischen den beiden Kratern der vierten und fünften Explosion liegen kaum 50 Meter. Girman zeigt eine russische Überblicks-Karte der Minenfelder. Die Karte wandert zwischen Girman und anderen Landwirten der Region hin und her. Wahrscheinlich hat das ukrainische Militär sie in die Hände bekommen, als sie das Dorf Wolochow Jar im September 2022 befreite.
Nächstes Frühjahr kann das Feld bestellt werden
„Auf der Karte haben die Russen die Stellen markiert, wo sie welche Minen gelegt haben. Aber es ist nicht so einfach, sie über Google Maps zu orten. Hier steht zum Beispiel auf Feld Nummer 8: 47 OSM-Minen. Und wo genau? Tja, such sie halt! Irgendwo am Feldrand. Auf diesem Feld, auf dem wir stehen, waren 52 TM-Minen, aber wir konnten nur etwa 38 finden und entschärfen. Wo der Rest ist, ist nicht klar“, sagt Girman.
Ein weiteres Problem ist, dass die russischen Minen aus Kunststoff sind und deshalb mit einem Minensuchgerät schwer zu finden.
Girman selbst hat schon hundert Minen von seinen Feldern entfernt. Jetzt tut er das nicht mehr, auch weil seine Frau und seine Kinder sich Sorgen um ihn machten. Einer seiner Nachbarn sei bei der Minenräumung ums Leben gekommen, erzählt er.
Trotz allem, sagt Girman, sei es rentabel, die eigenen Agrarflächen selber zu entminen. Die Arbeit, die der Traktor vor seiner Zerstörung geleistet habe, haben ihn pro Hektar umgerechnet etwas über 40 Euro gekostet, sagt der Unternehmer. Staatliche Organisationen verlangten allein für die Vermessung von einem Hektar Land umgerechnet über 1.200 Euro, ohne spätere Räumungserfolge zu garantieren. „Jetzt kann ich schon im nächsten Frühjahr wieder meine Felder bestellen“, sagt Oleg Girman zufrieden.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen