Landraub in Kambodscha: Wie damals bei den Roten Khmer
"Man braucht doch ein Zuhause", sagt Heng Mom. Die Kambodschanerin wohnt in einem Viertel Phnom Penhs, das einem Gewerbegebiet weichen soll.
PHNOM PENH taz | Loun Savath ist seine Nervosität anzumerken. Er beugt sich vor und kneift die Augen zusammen. "Ist das da vorne die Polizei?", fragt er. "Nur ein Verkehrspolizist", antwortet der Fahrer. Savath lacht kurz, um seine Aufregung zu überspielen, dann versteinert sich seine Miene wieder.
Er ist auf dem Weg zu seinem einstigen Kloster im Zentrum von Phnom Penh. Dort hat der Mönch Hausverbot, seit ihm der Oberste Patriarch des Landes und der Religionsminister vor einem halben Jahr den Zutritt zu allen Pagoden des Landes verboten haben.
Loun Savath, Anfang 30, Brille, safranfarbene Robe, ist ein politischer Aktivist - was für einen buddhistischen Mönch in Kambodscha sehr ungewöhnlich ist. Seine Aktivistenkarriere begann, als in seiner Heimat, einer Kleinstadt im Nordwesten des Landes, 175 Familien zwangsweise umgesiedelt werden sollten.
Das Phänomen des Landraubs betrifft ganz Kambodscha. Die Regierung versucht, riesige industrielle Agrarflächen zu schaffen. Die EU fördert den Landraub indirekt mit. Denn viele Produkte, die auf diesen Flächen angebaut werden, kann das Land zollfrei in die EU exportieren, vor allem Zucker. Grundlage dafür ist die seit 2001 gültige "Alles außer Waffen"-Initiative, eine Regelung, die die EU mit den 50 am wenigsten entwickelten Ländern getroffen hat - darunter Kambodscha.
Im Rahmen dieser Vereinbarung haben alle Erzeugnisse (außer Waffen) freien Zugang zum EU-Markt. Was als eine Form von Entwicklungshilfe gedacht war, schafft in Wirklichkeit einen weiteren Anreiz dafür, Menschen von ihrem Land zu vertreiben. (zas)
Der Mönch nahm an großen Protestmärschen in Phnom Penh und Prey Lang teil, um auf das Schicksal dieser Menschen in seiner Region aufmerksam zu machen. Als die Medien seine Geschichte aufgriffen, wurde er zu einer landesweiten Berühmtheit. Seither engagiert er sich für Menschen in ganz Kambodscha, die von ihrem Land vertrieben werden sollen.
Damit hat Savath sich die Mächtigen zu Feinden gemacht. Denn häufig stehen einflussreiche Politiker, Beamte und Geschäftsleute hinter dem systematischen Landraub. Mehr als eine Million Kambodschaner sind davon bedroht, von ihrem Land vertrieben zu werden.
Die Frauen weinen
Auch Phnom Penh selbst ist davon betroffen. Die Stadt hat sich von ihrem Niedergang während der Zeit der grausamen Diktatur der Roten Khmer erholt. Aufgrund des Babybooms in den 80er-Jahren sind in den Straßen vor allem junge Kambodschaner zu sehen. Seit einigen Jahren verdrängen immer mehr moderne Wohn- und Bürogebäude die Art-Déco-Bauten aus der Kolonialzeit.
Als Loun Savath in seinem früheren Kloster eintrifft, atmet er auf. Die Polizei ist nicht da. Gekommen sind mehr als ein Dutzend Journalisten. Loun Savath hat sie am Morgen angerufen. Die Presse, so glaubt er, gibt ihm Schutz.
"Ich bin heute zum letzten Mal in die Pagode gekommen, um all meine Bücher und Notizen aus dem Raum abzuholen, in dem ich gelebt habe", erklärt er. Aktivistinnen aus dem Boeung-Kak-Viertel sind soeben eingetroffen. Sie schreien und weinen. Dass die politische Führung Kambodschas gegen ihren Beschützer so drastisch vorgeht, können sie nicht verstehen.
"Es ist genau wie unter Pol Pot!"
Als die Frauen später Unterlagen und Bücher des Mönchs aus dem Kloster tragen, macht eine von ihnen ihrer Wut Luft: "Das ist wieder wie unter Pol Pot. Auch damals sind die Mönche aus den Pagoden vertrieben worden. Es ist genau wie unter Pol Pot!", schreit sie immer wieder. Pol Pot war der berüchtigte Führer des maoistisch geprägten Regimes der Roten Khmer in den 70er Jahren, das an die zwei Millionen Kambodschaner umgebracht hat. Die wenigen Mönche, die nach draußen gekommen sind, um sich das Spektakel anzuschauen, blicken verstohlen auf den Boden.
Das Viertel um den Boeung-Kak-See ist ein besonders perfides Beispiel dafür, wie der Landraub funktioniert. Der See liegt mitten im Zentrum von Phnom Penh. Bis vor wenigen Jahren befand sich an seinem Ufer ein großes Backpacker-Viertel mit Restaurants, Internetcafés und Hotels.
Dann hat die Regierung den See und das umliegende Gebiet an die Firma Shukaku verpachtet. Sie gehört Lao Meng Khin, einem Senator der Regierungspartei und engen Vertrauten von Premierminister Hun Sen. Ein chinesischer Konzern soll hier Luxuswohnungen und ein modernes Geschäftsviertel bauen.
Kurz nachdem die Verträge unterschrieben waren, begann Shukaku damit, den riesigen Innenstadtsee mit Sand zuzuschütten und die umliegenden Wohnviertel gewaltsam räumen zu lassen. Warnungen von Umweltschützern und Forschern, dass dadurch der Wasserhaushalt der gesamten Region massiv aus dem Gleichgewicht geraten würde, hat die Regierung ignoriert. Die Forscher hatten Recht: Seit die Zuschüttungen begonnen haben, hat es jedes Jahr Überschwemmungen in nahe gelegenen Stadtteilen gegeben.
Geringe Abfindungen
Heute ist der See beinahe verschwunden. Kinder und Jugendliche spielen Fußball auf der riesigen Sandfläche, die durch die Zuschüttung entstanden ist. Ringsum liegen die Trümmer von Häusern, die zerstört worden sind. Die Vertriebenen haben eine Abfindung in Höhe von 8.500 Dollar erhalten, angesichts der inzwischen sehr hohen Landpreise in Phnom Penh ist das ein sehr geringer Betrag. Viele von ihnen sind in Auffanglager weit außerhalb der Stadt gezogen; andere haben sich Land in Vierteln gekauft, die vermutlich auch bald geräumt werden. Von den einst über 4.000 Familien, die in Boeung Kak gelebt haben, sind bereits mehr als 3.200 vertrieben worden.
Mittlerweile hat sogar die Weltbank die Notbremse gezogen und Zahlungen für Projekte dieser Art gestoppt. Als einer der wichtigsten Geldgeber der kambodschanischen Regierung hatte sie jahrelang Warnungen von Menschenrechtsorganisationen ignoriert, wonach einige ihrer Projekte die Vertreibungen beschleunigen. Geldsorgen hat die Regierung jedoch vorerst keine: Großkonzerne aus Thailand, Vietnam und China investieren Milliardenbeträge in dem verarmten Land.
Die Landkonflikte betreffen eine Million Menschen
Zahlreiche Nichtregierungsorganisation kämpfen gegen die willkürlichen Vertreibungen. Eine von ihnen ist die Cambodian Commission for Human Rights, deren Mitarbeiter schon häufiger von der Polizei bedroht worden sind. Ou Virak, Leiter der Organisation, sagt erklärend: "Landkonflikte sind heute bei Weitem der größte Streitpunkt in Kambodscha. Sie betreffen mindestens eine Million Menschen." Die Justiz versage leider bei der Aufgabe, die Armen zu beschützen. "Von diesen gesellschaftlichen Strukturen profitieren die Mächtigen, Leute mit Waffen, Leute, die gute Kontakte haben, und Geschäftsleute, die sich Einfluss kaufen können."
Das Problem mit dem Landraub ist eine der vielen Folgen des Regimes der Roten Khmer. Diese haben während ihrer Herrschaft in den Jahren 1975 und 79 beinahe alle Grundbucheinträge des Landes vernichtet. Ein Gesetz aus dem Jahr 2001 sollte Abhilfe schaffen: Jeder Kambodschaner sollte demzufolge das Besitzrecht für sein Land erhalten, wenn er dort mindestens fünf Jahre lang gelebt hat.
Das gilt jedoch nur dann, wenn die Regierung das Land nicht als "gewerbliches" oder "öffentliches" Land gekennzeichnet hat. Das geschieht jedoch seit einigen Jahren nachträglich - und äußerst willkürlich. Zeigt sich ein Großinvestor an Land interessiert, verstaatlichen es die Behörden und verpachten es mit hohem Profit. Häufig werden dafür ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht.
Der Druck zeigt Wirkung
Wer noch nicht vertrieben wurde, lebt in Angst. So wie Thoung Nheim und seine Frau Heng Mom. Das Ehepaar lebt seit 1993 am Boeung-Kak-See. Neben dem Haus der Familie liegen die Trümmer von Häusern, die in den vergangenen Wochen abgerissen worden sind.
Vor Kurzem hat die Regierung - offenbar als Reaktion auf den Protest der Weltbank - erklärt, dass ein Teil der noch nicht vertriebenen Anwohner des Viertels bleiben darf. Thoung Nheim und Heng Mom sind nicht dabei. Mom, die Frau, wischt sich Tränen aus dem Gesicht. Die Behörden haben einen Bebauungsplan für den geplanten Stadtteil veröffentlicht.
"Als ich unseren Namen nicht auf der Liste gesehen habe, war ich entsetzt. Es hat sich angefühlt, als hätten wir in diesem Moment alles verloren. Denn man braucht doch ein Zuhause", sagt Heng Mom. Vor allem für ihre Kinder wäre der Verlust des Hauses folgenschwer, fügt sie hinzu. "Unsere Kinder könnten nicht mehr ihre alte Schule besuchen und würden ihre Freunde verlieren. Es wäre ein großer Rückschlag für ihre Ausbildung."
Die geschockten Anwohner müssen tatenlos zusehen
Drei Tage später umstellen im Morgengrauen Polizisten das Haus des Ehepaares. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen filmen, wie die Beamten die Menschen zwingen, das Haus zu verlassen. Dann, so ist auf den Aufnahmen zu sehen, fahren Bauarbeiter zwei Bagger neben das Gebäude. Sofort beginnen sie, das Haus abzureißen. Den geschockten Anwohnern bleibt nichts anderes übrig, als tatenlos zuzusehen.
Loun Savath, der Mönch, hat beschlossen, sich von den Behörden nicht einschüchtern zu lassen. Ein Ende der Vertreibungen ist nicht in Sicht. Er sitzt in seinem Zimmer in Phnom Penh, das ihm eine Nichtregierungsorganisation zur Verfügung gestellt hat. "Obwohl ich aus meiner Pagode verbannt worden bin, werde ich meine Arbeit fortsetzen und den Menschen bei ihrem Kampf für Gerechtigkeit helfen." Denn es ermutige die Menschen, dass sich ein Mönch für ihre Sache einsetze. "Die Regierung bedroht mich. Aber ich werde nicht aufhören, auch wenn sie mich schon viele Male festgenommen haben."
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