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LandesparteitagGrüne Ideensammlung zum Wahlkampf-Frühstart

Landeschef Philmon Ghirmai spricht dem Senat beim Grünen-Parteitag schier jede Kompetenz ab. Eine Koalition mit der CDU schließt er aber nicht aus.

Berlins Grünen-Chef Philmon Ghirmai krisierte am Wochenende den schwarz-roten Senat von Regierungschef Kai Wegner (CDU) hart Foto: Annette Riedl/dpa

Berlin taz | Fast auf den Tag genau 16 Monate sind es noch bis zur nächsten Abgeordnetenhauswahl, die voraussichtlich am 20. September 2026 ansteht. Trotzdem hat am Wochenende faktisch schon der Wahlkampf begonnen. Ort des Geschehens: der Grünen-Landesparteitag im Radialsystem in Friedrichshain. „Diese Koalition arbeitet schlecht, und sie muss nächstes Jahr abgelöst werden, sie regiert am Alltag der Menschen vorbei“, ist dort vom Landesvorsitzenden Philmon Ghirmai in einleitenden Worten zu hören.

Es ist ein außergewöhnliches Parteitreffen, denn die Grünen halten den offiziellen Teil kurz und schließen einen „Grünen Stadtkongress“ mit gut dreimal so vielen Teilnehmern mit und ohne Parteibuch an. Wie der Parteitag ist er überschrieben mit „Berlin ist für Dich da“. Es ist eben dieses Da-sein-für, das Ghirmai dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und seinem schwarz-roten Senat abspricht. Wofür Wegner allerdings mutmaßlich in einer solchen Parteitagsrede als Erstes Platz gemacht hätte, wären beste Genesungswünsche an den tags zuvor fast erstochenen Polizisten gewesen. Davon ist bei Ghirmai nichts zu hören.

Der reiht einen Kritikpunkt an den anderen, von Klimapolitik bis zu einem ausbleibenden AfD-Verbotsantrag. Ghirmai wendet sich vor allem gegen die aktuelle Verkehrspolitik, nachdem die entsprechende, CDU-geführte Senatsverwaltung jüngst angekündigt hat, keine Poller in Nebenstraßen, sogenannte Kiezblocks, mehr zu finanzieren. Wegner und Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) würden Verkehrssicherheit „nur durch die Windschutzscheibe des eigenen SUV“ betrachten, sagte Ghirmai – wobei nicht bestätigt ist, dass beide SUV fahren.

Sein Fazit nach über zwei Jahren schwarz-roter Koalition und unerfüllten Ankündigungen: „Wenn Kai Wegner dir etwas verspricht, kannst du dir sicher sein, dass du es am Ende nicht bekommen wirst.“ Was er nicht sagt: Mit so jemanden können wir Grüne nicht zusammenarbeiten. Bei aller massiven Kritik an der gegenwärtigen Koalition schließt Ghirmai ein Bündnis mit der CDU nach September 2026 nicht aus. Wegner selbst hatte Schwarz-Grün vor der Wahl 2023 gegenüber der taz „meine Traumkoalition“ genannt – und es war seither nicht zu hören, dass sich daran etwas geändert hätte.

Stadtkongress schließt an Parteitag an

Der Parteitag ist nach wenig mehr als einer Stunde schon zu Ende, zwei Anträge auf Satzungsänderungen scheitern ohne breite Diskussion klar. Gleich mit acht Anträgen wollte eine Gruppe von Mitgliedern um Timur Ohoff, Vorstandsmitglied im Kreisverband Mitte, etwas korrigieren, das aus ihrer Sicht gegen das Parteiengesetz und die Bundessatzung der Grünen verstößt und bei Parteitagen zu undemokratischen Verhältnissen führe.

Dort haben nämlich in Abteilungen gebündelte, fachliche ausgerichtete Landesarbeitsgemeinschaften nicht nur Delegierte, was in der Bundessatzung so nicht vorgesehen ist, sondern überproportional viele. Ghirmai und seine Co-Chefin Nina Stahr widersprechen dem, gut vier Fünftel der rund 180 anwesenden Delegierten folgen bei der Abstimmung ihrer Haltung.

Aus diesen rund 180 Menschen im Radialsystem werden bis Mittag gut 550, als sich das Parteitreffen zu einem „Stadtkongress“ öffnet, zu dem sich nach Grünen-Angaben 90 Initiativen angekündigt haben. Workshops und Podiumsdiskussionen sollen Ideen auch über die Parteimitglieder hinaus einfangen und mittelfristig Wirklichkeit werden lassen.

„Gemeinsam entwickeln wir heute Ideen, die morgen Teil unseres Wahlprogramms sein werden – und übermorgen Teil einer besseren Stadtpolitik für unser Berlin“, verspricht Parteichef Ghirmai. Wobei „morgen“ im übertragenen Sinn zu verstehen ist: Einen Entwurf für das Wahlprogramm will der Vorstand Ende November vorlegen, Mitte Februar soll dann ein Landesparteitag darüber entscheiden.

Spitzenkandidatur bleibt offen

Was weder beim parteioffiziellen Teil noch beim Kongress auf der Tagesordnung steht: wer die Grünen 2026 in die Wahl führt. Im Gespräch sind weiter Exsenator Daniel Wesener – zuletzt bei den Debatten über Kulturkürzungen sehr präsent – und Exbundesministerin Lisa Paus sowie die beiden Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus, Bettina Jarasch und Werner Graf. Jarasch hatte dazu Ende April im taz-Interview gesagt: „Wir haben noch Zeit und werden gemeinsam ein Angebot machen, das am besten zu Berlin und auch zu uns Grünen passt.“

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