LSVD-Sprecher*in zu Queerfeindlichkeit: „Unser Appell ist, wählen zu gehen“
Am Freitag ist der Internationale Tag gegen Queerfeindlichkeit. Kerstin Thost erklärt sich die Zunahme von Angriffen durch das politische Klima.
taz: Kerstin Thost, eine kürzlich veröffentlichte Umfrage der EU-Agentur für Grundrechte zeigt, dass Gewalt, Diskriminierung und Mobbing von queeren Menschen innerhalb der EU angestiegen sind. Was sind die Hauptursachen dafür?
Kerstin Thost: Queerfeindliche Narrative sind in der Gesellschaft immer noch so stark vorhanden, dass sie von rechten Politiker:innen leicht aufgegriffen werden können. Das führt zu einer massiven Zunahme an Hass im Netz, aber auch im Alltag queerer Menschen. Wir stellen da einen Zusammenhang zu einem anti-queeren Klima fest. Aus Worten werden Taten und deshalb sehen wir die Zunahme von queerfeindlichen Narrativen, aber auch den derzeitigen EU-Wahlkampf – der vor allem in unseren Nachbarländern auf den Rücken queerer Menschen ausgetragen wird – als direkte Ursache für die gestiegenen Diskriminierungsraten.
geboren 1998, ist Pressesprecher*in des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland.
Deutschland schneidet in dieser Umfrage schlechter ab als viele andere EU-Staaten. Woran liegt das?
Die genaue Ursache ist nicht eindeutig festzustellen. Einerseits konnten wir in den letzten Jahren sehr gute queerpolitische Fortschritte erzielen. Andererseits fehlen andere Schritte wie die Reform des Abstammungsrechts zur rechtlichen Gleichstellung immer noch. Die Akzeptanz für LSBTIQ-Menschen ist nach der Verabschiedung der Ehe für Alle deutlich gestiegen. Immer mehr Leute in Deutschland, das zeigen auch Zahlen aus dem letzten Jahr, sehen queere Lebensrealitäten als selbstverständlichen Teil unserer Gesellschaft an. Gleichzeitig gibt es aber auch eine massive Gegenreaktion, die sich vor allem am Beispiel von trans-, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen medial und gesellschaftlich hochschaukelt. Politiker:innen müssen eine starke Brandmauer bilden – die Grenze des Sagbaren darf sich nicht weiter verschieben.
Kann der Anstieg zum Teil auch durch eine erhöhte Sensibilität in der Bevölkerung erklärt werden?
Wir gehen davon aus, dass die Umfragewerte und die jährlich steigenden Zahlen zu politisch motivierter Hasskriminalität zum Teil von einem gestiegenen Bewusstsein für Queerfeindlichkeit kommen. Wir sehen aber auch, dass das gesellschaftliche Klima sich gegen queere Menschen verhärtet und diese zwei Dinge sich nicht wirklich voneinander trennen lassen. Es gibt queerfeindliche Diskriminierung und dagegen muss vorgegangen werden, besonders, wenn sie steigt.
Was sind Versäumnisse der Politik?
In Deutschland gab es in den letzten Jahren zum Glück einige rechtliche Fortschritte, wie zum Beispiel das Selbstbestimmungsgesetz. Die Bundesregierung muss aber noch mehr Geld in die Hand nehmen, um für die Aufklärung über gelebte Vielfalt zu sorgen. Wir fordern auch, dass im Grundgesetz queere Menschen explizit von Diskriminierung ausgeschlossen werden. Sodass, für den Fall einer rechteren, queerfeindlicheren Regierung, unsere bestehenden und bis dahin erkämpften Rechte geschützt sind.
Wo finden queere Menschen, die Opfer von Hasskriminalität und Gewalt geworden sind, Hilfe und Beratung?
Bundesweit gibt es dafür unterschiedliche Angebote. Beispielsweise gibt es in Bayern die Fachstelle „Strong!“, bei der man unter anderem Queerfeindlichkeit melden oder Beratung finden kann. In Berlin gibt es das Anti-Queere-Gewaltprojekt „Maneo“. Hier kann man sich beispielsweise auch bei der Anzeige eines Übergriffs beraten lassen. Leider kommt es bei Hilfsangeboten aktuell sehr darauf an, wo man sich befindet, da die Finanzierung fehlt.
Am Freitag ist der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie. Was können andere Menschen tun, um queere Menschen zu unterstützen?
Sich mit queeren Lebensrealitäten auseinandersetzen, queere Filme anschauen und Bücher lesen und im persönlichen Umfeld aufklären. Aber unser wichtigster Appell ist, am 9. Juni bei der Europawahl wählen zu gehen. Zusätzlich stehen auch einige Kommunal- und Landtagswahlen an und wir hoffen, dass sich möglichst viele Menschen dafür entscheiden, nur solche Parteien zu wählen, die unsere Demokratie und explizit queere Menschen schützen wollen.
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