LGBTQIA in Georgien: Tödliche Messerstiche
Eine trans* Frau wird in Tbilissi ermordet. Verdächtigt wird ihr Ex-Partner. Viele sind schockiert. Es ist nicht das erste derartige Hassverbrechen.
Der Fernsehsender Mtavari TV veröffentlichte Bilder einer Überwachungskamera. Darauf ist der mutmaßliche Täter zu sehen. Er wartet vor dem Fahrstuhl in dem Wohnhaus des Opfers. 15 Minuten später verlässt er über die Treppen fluchtartig das Gebäude.
Bekannte von Abramidse, die der russischsprachige Dienst der BBC zitiert, sagten gegenüber Journalist*innen, sie sei bereits mehrfach Gewalt und Bedrohungen ihres Ex-Partners ausgesetzt gewesen. Bereits an diesem Freitag soll Anklage erhoben werden. Im Falle einer Verurteilung drohen dem Beschuldigten mindestens 16 bis 20 Jahre Haft.
Reaktionen auf den Mord ließen nicht lange auf sich warten. „Vielleicht ist das ein Weckruf für unsere Gesellschaft…die im Hass versunken ist – einem Hass, der dem Feind erlaubt, uns auf jede erdenkliche Weise zu manipulieren, zu spalten und zu schwächen“, schrieb Georgiens Staatspräsidentin Salome Surabischwili auf Facebook.
Aus der Feder des Kreml
Michael Roth, SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, postete auf X: „Wer Hass sät, wird Gewalt ernten. Kesaria Abramidse wurde getötet. Nur einen Tag nachdem das georgische Parlament das Anti LGBTI-Gesetz verabschiedet hat. Ich bin zutiefst schockiert und fordere die Regierungspartei ‚Georgischer Albtraum‘ (der richtige Name lautet „Georgischer Traum“, abgek. KO; d. Red.) auf, dieses beschämende Gesetz sofort zurück zu ziehen.“
Besagtes Gesetz „Über den Schutz von Familienwerten und Minderjährigen“, das aus der Feder des Kreml zu stammen scheint, hatte das Parlament am vergangenen Dienstag mit 84 von 150 Stimmen in finaler Lesung verabschiedet.
In den Vorschriften wird die Familie wird als Verbindung zwischen Mann und Frau definiert, queere Menschen haben kein Recht auf Adoption. Für trans* Personen wird der Zugang zu medizinischen Dienstleistungen beschränkt. Das Gleiche gilt für die Möglichkeit, die Geschlechtsidentität in offiziellen Dokumenten eintragen zu lassen.
Künftig soll es verboten sein, in Bildungseinrichtungen, in Medien oder auf öffentlichen Kundgebungen Informationen über Gender-Identitäten zu verbreiten. Am 26. Oktober finden in Georgien Parlamentswahlen statt. Die KO hat bereits angekündigt, die Bestimmungen in der Verfassung festzuschreiben, sollte sie die dafür notwendige qualifizierte Mehrheit erhalten.
Stilles Gedenken
Am Donnerstagabend versammelten sich Aktivist*innen, um mit Blumen und Kerzen schweigend Kesaria Abramidses, die häufig in TV-Shows aufgetreten war, zu gedenken. Auf Plakaten prangerten sie die „faschistische Gesetzgebung“ an. Die Nichtregierungsorganisation Tbilissi Pride verteilte eine Erklärung.
Ohne den Hass, den der Staat zunächst gefördert und dann legitimiert habe, hätte Kesaria Caesarea noch lange gelebt. Heute bewege sich das Leben der queeren Gemeinschaft in Georgien von einer Tragödie zur nächsten. Ständig herrsche Angst, um wen man als nächstes trauern müsse oder selbst der bzw. die Nächste sei.
„Dieses verabschiedete Gesetz ist eine Ermutigung, ein grünes Licht und eine Ermutigung für Vergewaltiger… Autoritäre Staaten haben sich, wie wir aus der Geschichte wissen, immer einen „Sündenbock“ gesucht, der an allen Problemen schuld ist. So hat das im nationalsozialistischen Deutschland und in vielen anderen Ländern angefangen. Was wir in Georgien sehen, ist ein Beispiel für den russischen Faschismus. Denn das ist es, was Wladimir Putin legalisiert hat und weshalb queere Menschen in Russland im letzten Jahrzehnt Gewalt ausgesetzt waren und aus dem Land geflohen sind“, zitiert die BBC die Leiterin von Tbilissi Pride, Tamar Dschakeli.
Die Organisation forderte das Innenministerium auf, unabhängige Expert*innen und Vertreter*innen der Partnerländer in eine Untersuchung miteinzubeziehen, um ähnliche Hassverbrechen in Zukunft zu verhindern.
In den vergangenen Jahren hatte Gewaltverbrechen gegen trans* Menschen immer wieder für Bestürzung gesorgt. Im November 2014 war eine Frau niedergestochen und ihre Wohnung in Brand gesetzt worden. Zwei Jahre später wurde eine Frau tot in ihrer Wohnung aufgefunden, als Ursache wurde ein Gasleck angegeben. Kurz darauf starb ein Frau, der zahlreiche Stichverletzungen an Kopf und Nacken beigebracht worden waren. Sie hatte fast 40 Tage im Koma gelegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier