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LGBTQ-Aktivist_in über North Carolina„Das Einzige, was uns rettet, sind wir“

Der US-Bundesstaat North Carolina schränkt kontinuierlich die Freiheiten der LGBTQ-Community ein. Elias Lyles organisiert den Protest dagegen.

Protest von People of Color und LGBTQ-Aktivist_innen im Senatsgebäude von North Carolina Foto: Imago / Zuma Press
Noemi Molitor
Interview von Noemi Molitor

taz: Elias Lyles, das sogenannte House Bill 2 verbietet trans* Menschen unter anderem, die Toilette ihrer Wahl zu nutzen. Wird man nun festgenommen, wenn man eine öffentliche Toilette benutzt?

Elias H. Lyles: Es ist völlig unklar, wie die Regelung umgesetzt werden soll. Da es sich nicht um Strafrecht handelt, ist es im Grunde ein unanwendbares Gesetz. Es geht vor allem darum, der LGBTQ-Community (lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, transsexuelle, intersexuelle und queere Menschen; Anmerkung d. Red.) Angst einzujagen und den Alltag in der Öffentlichkeit zu erschweren. Technisch gesehen, kann man nicht festgenommen werden, weil man eine Toilette benutzt, die nicht dem Geschlecht auf der Geburtsurkunde entspricht. Aber da das House Bill 2 (HB2; d. Red.) eine Leitlinie formuliert, kann es passieren, dass Sicherheitspersonal versucht, diese umzusetzen, und Menschen wegen widerrechtlichen Betretens eines Grundstücks festgenommen werden. Wer sich umzieht oder seinen Körper in einer Umkleidekabine zeigt, der_dem könnte eine Straftat wie unsittliche Entblößung zur Last gelegt werden. HB2 erhöht das Risiko, dass queere und trans* Menschen kriminalisiert werden.

HB2 ist ein ganzes Paket, es regelt zum Beispiel auch, dass Städte keinen Mindestlohn mehr bestimmen dürfen.

Der Gesetzgeber hat eine Passage hinzugefügt, die die Mindestlohnregelungen aufhebt und weitere Vorgaben zu Gehältern und Versorgungsleistungen verbietet. Das Gesetz ist ein Angriff auf die Arbeiterbewegung. Das passt ins Bild: Erst kürzlich hatte North Carolina Städten im gesamten Bundesgebiet verboten, sich zu sicheren Zufluchtsorten für Immigrant_innen zu erklären.

Wozu das alles?

Wir interpretieren diese Entwicklungen als Backlash, der die LGBTQ-Community daran hindert, auf lokaler Ebene gegen Diskriminierung vorzugehen – eine Strategie, mit der wir bisher sehr erfolgreich waren. HB2 ist Teil des ständigen Versuchs, verschiedene Gruppen zu kriminalisieren und zu entmenschlichen: Schwarze, Migrant_innen, Frauen, trans* und gender-queere Menschen, arme Menschen und generell die Arbeiterklasse. Die politische Rechte gibt sich große Mühe, diesen Gruppen den Zugang zu Grundrechten und Schutz zu verwehren. Dabei sind all diese Gruppen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt bereits am stärksten benachteiligt.

Warum kommen solche Gesetze vornehmlich in den Südstaaten zustande?

Der Süden ist oft ein Versuchslabor für Rechtsvorschriften dieser Art. Das ist nichts Neues. Noch vor 40 oder 50 Jahren wurde hier darüber gestritten, ob Schwarze und Weiße die gleichen Toiletten benutzen dürfen. Nun wiederholt sich der Streit, wenn es um trans* Menschen geht. HB2 hat daher viel mit der Geschichte von Hass, Segregation und Gewalt gegen Menschen im Süden zu tun. In den Vereinigten Staaten sind Polizei und Strafverfolgung von jeher eine Bedrohung für die schwarze Community gewesen, wir wissen auch das schwarze Trans*-Frauen mit am stärksten von Polizeigewalt betroffen sind. Wenn etwas passiert, beschützt die Polizei die Leute nicht. Das zeigen die vielen Fälle der letzten Monate, bei denen People of Color von Polizisten erschossen wurden. Wir haben im Süden auch die Erfahrung gemacht, dass weder prominente Politiker_innen noch hochtrabende juristische Strategien uns retten. Das Einzige, was uns retten kann, sind wir selbst.

Das Gesetz

Hintergrund: Der Senat verabschiedete das Gesetz mit dem Namen House Bill 2 (HB2) in einer Sondersitzung Ende März als Reaktion auf eine kommunale Antidiskriminierungsrichtlinie für sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in Charlotte, North Carolina.

Inhalt: HB2 verbietet Kommunen, eigene Antidiskriminierungsrichtlinien oder Mindestlöhne festzulegen, und schreibt außerdem vor, dass der Besuch öffentlicher Toiletten vom Geschlecht auf der Geburtsurkunde bestimmt wird.

Nachahmer: Im Nachbarstaat South Carolina diskutiert der Senat derzeit einen ähnlichen Gesetzentwurf.

Was unternehmen Sie?

Wir gehen gegen das Gesetz auf die Straße und halten uns nicht an die Regeln. Wir orientieren uns am Besten, was uns die Bürgerrechtsbewegungen gelehrt haben, wie die lunch counter sit-ins der 60er und der spontane zivile Ungehorsam der Stone Wall. Und wir haben viel von der „Not1More“-Kampagne und der „BlackLivesMatter“-Bewegung gelernt.

Mit der „Not1More“-Kampagne haben sich vor allem Jugendliche ohne Papiere für die Reform des Einwanderungsgesetzes und gegen Deportationen eingesetzt. BlackLivesMatter wehrt sich gegen strukturellen Rassismus und Polizeigewalt.

Genau. HB2 ist dem Angriff auf migrantische und Schwarze Communitys sehr ähnlich: Es ist der Versuch, unsere Körper zu kontrollieren und zu regulieren. Weil die Rhetorik des Gesetzes auf unsere Körper zielt, stellen wir uns ihr mit unseren Körpern entgegen. Am Tag nach der Verabschiedung von HB2 hat eine Gruppe queerer und trans* Menschen, vor allem People of Color, die Zufahrtsstraße zum Haus des Bürgermeisters in Raleigh, der Hauptstadt von North Carolina, blockiert. Als an diesem Montag die neue Sitzungsperiode des Senats anfing, haben wir das State House besetzt und trans* Frauen haben unbehelligt die Frauentoilette benutzt. 54 Demonstrant_innen haben das Gebäude auch nach Dienstschluss nicht verlassen und sich festnehmen lassen.

Bruce Springsteen und Brian Adams haben aus Protest gegen HB2 ihre Konzerte in North Carolina abgesagt. Die Deutsche Bank und PayPal werden ihre Standorte dort doch nicht erweitern. Mehr als 500 Stellen gehen damit verloren. Helfen solche Boykotte?

Boykotte sind vielschichtig und kompliziert, da gehen die Meinungen stark auseinander. Natürlich tut es denen, die sich ein Bruce-Springsteen-Ticket leisten können, nicht wirklich weh. Die Auswirkungen treffen die Arbeiterklasse viel härter. Ich bin selbst hin und her gerissen, aber viele, auch diejenigen, die ohnehin unterbezahlt oder arbeitslos sind, haben aus North Carolina heraus zu Boykotts aufgerufen. Wir wissen, dass die Menschen sowieso unter HB2 leiden werden, also ist die Aufhebung mit allen Mitteln vielleicht wichtiger als die Staatseinnahmen.

Bild: privat
Im Interview: Elias H. Lyles

Der Mensch: Wuchs in Green­ville, South Ca­ro­lina, in einer libanesischen Familie auf, seit 2011 Fundraiser bei Southerners on New Ground (S.O.N.G.).

Die Organisation: S.O.N.G. ist eine queere Grassroots-Organisation, die für LGBTQ-Rechte, Arbeiterrechte und gegen Rassismus im Süden der USA eintritt.

North Carolina ist nicht der einzige Staat, in dem Gesetze wie HB2 diskutiert wurden. Im Nachbarstaat South Carolina passiert Ähnliches.

Dort versucht der konservative Senator Lee Bright mit dem Senate Bill 1203 eine Kopie von HB2 zu verabschieden, die auch den Zugang zu öffentlichen Toiletten und Umkleidekabinen einschränken will. Er sagt, er wolle Frauen und Mädchen schützen. Dabei gibt es keine bekannten Fälle, in denen eine trans* Person jemanden auf einer Toilette angegriffen hat. Trans* Frauen sind diejenigen, die in der Öffentlichkeit bedroht werden. Vor zwei Jahren hatte Bright schon versucht, zwei Universitäten zu bestrafen, weil sie in Erstsemesterkursen LGBTQ-Literatur auf dem Lehrplan hatten. Brights Kopie von HB2 verdeutlicht wieder, dass der Gesetzgeber kein Interesse daran hat, Minderheiten wirklich zu schützen. South Carolina ist landesweit die Nummer eins, was Gewalt gegen Frauen angeht. Anstatt daran zu arbeiten, diese Probleme zu lösen, attackiert Bright die trans* Community, weil er die ultrakonservative Wählerschaft gewinnen will.

Welchen Einfluss hat der Wettkampf um die Präsidentschaftskandidatur, der gerade unter Republikanern so erbittert geführt wird?

Diese scharfe Rhetorik, wie Donald Trump sie verbreitet, hat sehr konkrete Auswirkungen. Damit meine ich seine Verachtung gegenüber allen, die nicht weiß sind, nicht der Mittelschicht angehören oder nicht nach ihr streben. Daraus entsteht zurzeit ein konservativer Typ von Gesetzgeber_innen, die sich normalerweise nicht getraut hätten, so weit zu gehen, wie sie es jetzt tun. Andererseits denke ich auch, dass die Legislative in South Carolina nicht mit so viel Widerstand gerechnet hat. Jedes Mal, wenn Grundrechte verletzt werden, protestieren mehr Menschen. Das haben wir mit BlackLivesMatter genauso erlebt.

Wie stehen Sie zu Wahlen und der Beteiligung im politischen System? Lebt man nicht irgendwann in einer Protestblase, wenn man nicht in den Senatsgremien sitzt?

Wahlen spielen eine große Rolle, weil Leute wie der konservative Senator Lee Bright nicht von allein aufhören, gegen unsere Rechte vorzugehen, und sich gleichzeitig weigern, etwas zu unternehmen, um von Gewalt bedrohte Menschen tatsächlich zu schützen. Aber es stimmt: Wir verbrauchen viel Zeit damit, auf Angriffe zu reagieren. Eine Partei mit queerer Agenda – klar, das wäre toll. Aber politisches Handeln kann viele Formen haben: Der Austausch mit Nachbar_innen, die Organisationstreffen, die Proteste, und die schwierigen Gespräche, die wir mit unseren Familien beim Abendessen führen. All das sind bedeutsame politische Aktivitäten.

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