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LGBT-Aktivist über Urteil in Indien„Endlich nicht mehr kriminell“

Indien hat nach 157 Jahren Homosexualität legalisiert. Der Aktivist Ankit Bhuptani hofft, dass das Gerichtsurteil ein Startpunkt für weitere Liberalisierungen ist.

In Bangalore feiert eine LGBT-Aktivistin die Entkriminalisierung der Homosexualität Foto: reuters
Frederik Schindler
Interview von Frederik Schindler

taz: Nach 157 Jahren der Kriminalisierung hat das Oberste Gericht am Donnerstag Homosexualität in Indien endgültig legalisiert. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie von der Entscheidung erfuhren?

Ankit Bhuptani: Wir als LGBT-Community sind so glücklich über diese Entscheidung. Endlich sind wir keine Kriminellen mehr! Der Moment der Entscheidung war voller Emotionen, Tränen und Glück. Ich arbeite in einer Non-Profit-Organisation, die weniger Privilegierte bilden und empowern will. Meine Kollegen umarmten und beglückwünschten mich. Jetzt bin ich in Kontakt mit anderen Aktivisten im ganzen Land. Wir sind so froh, dass das diskriminierende Gesetz endlich abgeschafft wurde. Heute ist ein Tag der Freude.

2009 wurde gleichgeschlechtlicher Sex schon einmal entkriminalisiert, bis die Entscheidung 2013 nach einem Appell von religiösen Autoritäten wieder aufgehoben wurde. Ist da nicht weiterhin Vorsicht geboten?

Wir sind uns absolut sicher, dass das Oberste Gericht heute eine endgültige Entscheidung getroffen hat. Die Begründung der Richter war, dass die Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen gegen die Verfassung verstößt. Es wurde also nicht mit Religion, sondern mit der Verfassung argumentiert. Die Diskriminierung auf Basis der sexuellen Orientierung wurde zum Verstoß gegen die Grundrechte erklärt und es wurde deutlich gemacht, dass die „verfassungsmäßige Moral“ über der „gesellschaftlichen Moral“ steht. Es gibt nur einen einzigen Fall in Indien, in dem eine solche Argumentation zurückgenommen wurde. Daher halte ich es für fast unmöglich, dass uns unsere Rechte erneut genommen werden. Wir gehen nicht mehr zurück in den Schrank.

Sie sind selbst religiös und haben in Mumbai eine hinduistische LGBT-Organisation gegründet. 2013 kündigten Sie Ihren Job bei einer Kreditratingagentur, um mit Reden im ganzen Land über Homosexualiät aufzuklären. Welche Reaktionen erhalten Sie im Gespräch mit Konservativen?

Ich habe in Schulen, in der U-Bahn und auf öffentlichen Plätzen gesprochen, auch in religiösen und kleinen Städten. Meiner Einschätzung nach gibt es mittlerweile eine Mehrheit in der Gesellschaft, die Rechte für Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transpersonen befürwortet. Es outen sich nicht nur immer mehr Menschen als queer, sondern auch immer mehr outen sich als BefürworterInnen für queere Rechte.

Moment. Homosexualität ist doch noch immer in großen Teilen der Gesellschaft tabuisiert und stigmatisiert, viele Frauen und LGBT-Personen leiden unter patriarchalen und homophoben Zuständen.

Das stimmt. Aber die heutige Gerichtsentscheidung ist ein wichtiger Meilenstein für eine Änderung dieser Zustände. Der abgeschaffte Paragraf 377 diente Schwulenfeinden als gutes Argument für ihren Hass. Auf der Grundlage konnten LGBT-Personen erpresst oder gleich bei der Polizei angeschwärzt werden. In den letzten Jahren wurden Hunderte Personen auf der Grundlage des Paragrafen festgenommen, darunter viele Minderjährige. All das ist jetzt nicht mehr möglich. Ächtung und Diskriminierung gibt es weiterhin. Doch es hilft schon, dass Homosexualität in den letzten Jahren vermehrt in den indischen Medien behandelt wird.

Bild: privat
Im Interview: Ankit Bhuptani

ist 26 Jahre alt. Er ist Gründer und Vorsitzender der „Gay and Lesbian Vaishnava Association“, die die Awareness für LGBT-Themen im Hinduismus erhöhen will. 2013 reiste er durch ganz Indien und hielt Reden für die Akzeptanz von Homosexualität.

Trotzdem ist beispielsweise weiterhin in Teilen der Gesellschaft die Ansicht vertreten, Homosexualität sei nur eine Erfindung des Westens.

Ja, leider. Das ist absolut lächerlich. Im Jahrtausende alten Kamasutra gibt es gleichgeschlechtliche Praktiken, auch in alten Hindu-Tempeln sind queere Geschichten und Bilder zu sehen. Auch diese Ansicht wird sich nicht halten, davon bin ich überzeugt. Von den Kritikern, auch den religiösen, ist seit dem Gerichtsurteil jedenfalls wenig zu hören.

Was bedeutet die Entkriminalisierung der Homosexualität für die Debatte um weitergehende LGBT-Rechte in Indien – gerade in Bezug auf Gleichstellung im Ehe- und Adoptionsrecht und in Bezug auf Programme zur HIV-Prävention?

Durch die Abschaffung des diskriminierenden Gesetzes werden sich immer mehr Menschen wohlfühlen, offen schwul, lesbisch oder bisexuell zu leben. Es wird in nächster Zeit viele Coming-Outs geben und ich halte es auf jeden Fall für möglich, dass die Debatte um die Eheöffnung und das Adoptionsrecht bald ebenfalls in eine progressive Richtung gelenkt wird. Die Entkriminalisierung wird sich auch positiv auf eine Enttabuisierung auswirken, auch die Vorbehalte bei Ärzten werden sinken. Tatsächlich ist das Urteil also auch ein Meilenstein für die HIV-Prävention. Das war erst der Startpunkt.

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