Kurzfilmtage Oberhausen online: Auf Seite der Unterdrückten
Die Kurzfilmtage Oberhausen sind zum zweiten Mal online. Sie bieten mediale Traumatherapie, Solidarität als Störung und Blicke aufs Kolonialfilmerbe.
Hinter der Theke seines kleinen Restaurants ist Onfaaya Koch und Zeremonienmeister zugleich. Mit der Hilfe einer Batterie aus vier Händen kocht und schnippelt er für seine meist tierköpfigen Kunden. Die junge Makhma kommt zum Frühstück, der Rausschmeißer Bara mit dem Hundekopf fordert lauter als nötig, bedient zu werden, der fischköpfige Gelegenheitsarbeiter Modou kommt vor allem, um über seine Situation zu klagen.
Die arbeitslose Yassa Ginaar gerät mit Bara aneinander und wackelt empört mit ihrem Hühnerkopf. In dem kleinen Raum des Restaurants verdichtet Selly Raby Kanes Kurzfilm „Tang Jër“ Szenen aus dem urbanen Alltag in Dakar zu einem futuristisch-fantastischen Trip.
Gemächlich laviert im nächsten Film der Rauch der langen, schmalen Kent-Zigarette in die Luft. Die Hand, die die Zigarette hält, schnippt die Asche von der Spitze, ohne sich dem Rhythmus der Musik zu fügen. Zigaretten und die Musik Nino Rotas sind die Konstanten im „Café de Kinema“, gelegen am Stadtrand von Tokio. Schweigend sitzen die Gäste des Cafés für sich an ihren Tischen und genießen die Auszeit. Die junge argentinische Regisseurin Sol Miraglia hat dem Ort ein kurzes Filmporträt gewidmet.
Kurzfilmtage Oberhausen, 1. bis 10. Mai, www.kurzfilmtage.de
Lässig und ohne jedes Interesse für die Kamera läuft schließlich ein Elch an einer Hütte vorbei. Marodierende Elche ziehen sich wie ein roter Faden durch Virpi Suutaris humorvolles Porträt der finnischen Provinz „A People’s Radio – Ballads from a Wooded Country“. Tierköpfige Restaurantgäste, sinnierende Raucher_innen, singende Finnen und Elche – die Filmwelten der Internationalen Kurzfilmtage funktionieren anders als die visuell normierte Ästhetik von Netflix und das ZDF-Vorabendprogramm.
Wut über politisches Versagen
Alle drei Filme sind Teil des diesjährigen internationalen Wettbewerbs der Oberhausener Kurzfilmtage. Die Kurzfilmtage laufen auch in diesem Jahr wieder online. Wie sonst im Kino präsentiert das Festival neben dem internationalen einen deutschen und regionalen Wettbewerb sowie einen Wettbewerb der Musikvideos.
Experimentalfilmfestivals sind Labore für die Artikulation der Welt in der Sprache des Films. Wenig überraschend nähern sich einige der Filme des Festivals dem Thema an, das wir alle seit etwa anderthalb Jahren an der Backe haben: der Sars-CoV-2-Pandemie.
Der britische Experimentalfilmer John Smith nimmt sich mit dem gebotenen Sarkasmus der Reaktion auf die Krise durch Boris Johnson an. Das mantraartige Beschwören des Händewaschens schickt uns auf Zeitreise ein Jahr in die Vergangenheit. Smiths „Covid Messages“ sind keine filmische Offenbarung, aber ein durchaus sehenswerter Versuch, die Wut über politisches Versagen in einen Film zu überführen.
Gegenüber den nervigen Tagebuchfilmen aus den diversen Lockdowns, an denen sich einige Filmemacher letztes Jahr versuchten, ist ein erster Schritt gemacht. Der philippinische Regisseur Arden Rod Condez hat unterdessen die allgegenwärtige Distanzierung eingefangen, indem er zehn Paare aus seiner Heimatstadt mit der Kamera porträtiert. Herausgekommen ist eine Collage der Intimität und Vertrautheit, die das Gegenbild bildet zur erzwungenen Distanziertheit außerhalb des eigenen Umfelds.
Montage der Vorahnungen
„Misty Picture“, der neuste Film der Oberhausen-Stammgäste Christoph Girardet und Matthias Müller, zeigt eine weitere Umgangsweise auf. Girardet und Müller montieren in gewohnter Weise bestehendes Material, dieses Mal nähern sie sich auf diese Weise dem Anschlag auf das World Trade Center vor 20 Jahren. Die wiederkehrenden Bilder der beiden Türme verdichten sich zu einer Montage der Vorahnungen, Ängste und des Verlusts, einer „medialen Traumatherapie“ (Programmtext).
Der Kontrast zwischen „Misty Pictures“ und den Annäherungsversuchen an die Pandemie macht sichtbar, wie lokal der filmische Blick auf die Pandemie bislang noch ist. So lokal, dass man plötzlich Angst hat, demnächst im schlimmsten Fall eine fiktionalisierte Version der Ministerpräsidentenkonferenz im Fernsehen erdulden zu müssen.
Das Themenprogramm des diesjährigen Festivals setzt der pandemischen Vereinzelung eine kollektive Gegenbewegung entgegen: „Solidarität als Störung“. Im Programmtext heißt es: „Solidarität ist störend in einem System, in dem Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung normalisiert sind; sie ist eine Form von Widerstand gegen die Reduktion der menschlichen Perspektive.“ Zum Auftakt des Programms laufen zwei Filme: „Ljubav“ (Die Liebe) von Vlatko Gilić und „Io ho fissato il fuoco per sempre“ (Ich habe das Feuer für immer fixiert) von Salvatore Insana.
Solidarität, arbeiterzentriert
„Ljubav“ ist gedreht auf einer Brückenbaustelle. Langsam, sehr langsam senkt sich das letzte fehlende Teil zu einem der vier Stahlstränge herab, die das Gerüst der Brücke bilden. Langsam, sehr langsam klettert einer der Bauarbeiter den hohen Brückenpfeiler herunter zu einer Besucherin (seiner Frau?). Ein paar Meter das Tal hinunter dient eine Kiste als Tisch für eine Essenspause. Während sie die Kiste mit einer Tischdecke bedeckt und das Essen auftischt, tigert er auf und ab. Das Gespräch der beiden bleibt unhörbar.
„Io ho fissato il fuoco per sempre“ ist entstanden aus einer Montage von Archivmaterial des Archivs der Arbeiter- und Demokratiebewegung in Rom. Insana fügt kurze Ausschnitte aus den Archivaufnahmen zu einer Reflexion von Blickverhältnissen inner- und außerhalb des Filmbilds.
Die beiden Filme sind exemplarisch für ein Themenprogramm, das Solidarität sehr klassisch, sehr arbeiterzentriert abhandelt. Die beiden Kuratorinnen Aleksandra Sekulić und Branka Benčić haben ein Programm erstellt, das einen ausführlichen Schwerpunkt auf Produktionen des ehemaligen Jugoslawien und dessen Nachfolgestaaten legt, ergänzt um einige wenige Beispiele aus anderen Regionen der Welt.
Flucht vor der Abschiebung
Unter den neueren Produktionen ragt ein Film des Chto Delat Kollektivs heraus. In „Museum Songspiel: The Netherlands 20XX“ flüchtet sich eine Gruppe Geflüchteter vor der Abschiebung in ein Museum. Eine Aktion, die Ratlosigkeit bei den Museumsleuten auslöst: „Sie sagen, dass sie Asyl wollen im Museum. Jemand hat ihnen gesagt, die Kunst sei auf der Seite der Unterdrückten.“ Eine Aussage, bei der der Vorgesetzte die Augenbraue hebt. Der Film ist ein Singspiel, das seine Anleihen auf Brecht zurückführt.
Auch in diesem Jahr werden die Wettbewerbe und das Themenprogramm des Festivals flankiert von einer Reihe von Einzelprogrammen. Diverse Kurzfilmverleihe geben einen Einblick in ihr Programm, dazu gibt es Porträts einzelner Filmemacher_innen. Der Londoner Künstlerinnen-Filmverleih Lux hat beispielsweise Onyeka Igwes neueste Auseinandersetzung mit dem britischen Kolonialfilmerbe, „A So-Called Archive“, im Programm. Das Arsenal ruft in seiner Auswahl Harun Farocki in Erinnerung und präsentiert die unlängst wiedergefundenen Probeaufnahmen zu dessen Film „Etwas wird sichtbar“.
Als die Kurzfilmtage vor einem Jahr ihr Programm wie die meisten Festivals ins Internet verlegten, wurde große Mühe darauf verwandt, wenigstens die Gespräche ebenfalls online anzubieten. Dieses Jahr gibt es sogar einen virtuellen Festival Space, der einen Anklang von Festivalleben aufkommen lassen soll.
Nur die Fußgängerzone, in die die Festivalbesucher_innen sonst aus dem Kino herausschwappen, das Eiscafé um die Ecke, die beeindruckende Tortenauswahl einiger Cafés im Umfeld – all das fehlt weiterhin. Doch auch dieses Jahr machen die Kurzfilmtage das Beste aus der Situation. Machen wir mit.
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