Virtuelle Kurzfilmtage Oberhausen: Lächelnd in den nächsten Film

Die Internationalen Kurzfilmtage öffnen sich als online geschaltetes „Blogfestival“ einem theoretisch unbegrenzten Publikum.

Ein Schmetterling vor psychedelisch gefärbtem Hintergrund

Szene aus „Labor of Love“ von Sylvia Schedelbauer Foto: Sylvia Schedelbauer/Internationale Kurzfilmtage Oberhausen

Am Morgen auf der japanischen Insel Okinawa: Während die Mutter zusieht, dass die Kinder ihr Frühstück essen, schafft es Papa erst nach der Zeitung aus dem Bett und scharwenzelt dann Opernmelodien trällernd um die Mutter herum. Die Kinder bringen schnell schützend den Vorhang zwischen sich und das Treiben.

Chikako Yamashiros halbstündiger Film „Chinbin Western, Representation of the Family“ ist Teil des ersten Programms des Wettbewerbs der diesjährigen Internationalen Kurzfilmtage. Diese finden in diesem Jahr wie so viele Festivals nicht in der schönen Lichtburg in Oberhausen, der umgebenden Fußgängerzone und den Satellitenspielorten statt, sondern als Onlinefestival.

Doch was die Kurzfilmtage da online präsentieren, ist keine notdürftige Alternative zu einem Festival, sondern ein komplettes Onlinefestival. So gibt es neben sämtlichen Wettbewerben auch den Großteil der Sonderprogramme, und selbst die Festivalpartys finden einen Abglanz online, indem jeden Abend ein DJ-Set online geht. Ebenfalls Teil des Eröffnungsprogramms ist der halluzinatorische Kurzfilmwestern „A Song Often Played on the Radio“ von Raven Chacon und Cristóbal Martínez. Der Film ist bildgewaltiges Epos, Geschichtslektion und Identitätssuche.

Die Schwelle, um an dem Onlinefestival teilzunehmen, ist denkbar niedrig. Für knapp 10 Euro, dem Preis eines einzigen regulären Kinotickets, kann man einen Festivalpass für das komplette Festival erwerben. Die Programme werden nach und nach online gestellt und sind jeweils für 48 Stunden sichtbar.

Hilfe für Filmemacher_innen in sozialer Notlage

Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen 2020 finden als Blog­festival von 13. bis 18. Mai 2020 Statt. Siehe www.kurzfilmtage.de

Die Erlöse aus dem Verkauf der Festivalpässe gehen an die Stiftung Sozialwerk der VG Bild Kunst, die ihrerseits Filmemacher_innen und visuellen Künstler_innen in sozialen Notlagen hilft. Alle, denen Oberhausen immer zu weit weg war, haben also in diesem Jahr die Chance, sich einmal in der weiten Welt des Kurz- und Experimentalfilms umzusehen.

Gleich mehrere Filme kreisen um den britischen Nationalismus im Zuge des Brexits. Fergus Carmichael filmt in „A Thin Place“ die Sommersonnenwende am Glastonbury Tor in der Grafschaft Somerset und dokumentiert ein seltsames Zusammentreffen von Kristallanbetern, esoterischem Getrommel und Fotowilligen in einer für die englische Identität symbolisch aufgeladenen Landschaft, während die Sonne über den Horizont heraufsteigt.

Was die Kurzfilmtage da online präsentieren, ist keine notdürftige Alternative zu einem Festival, sondern ein komplettes Onlinefestival

Ganz anders geht Krzysztof Honowski in seinem Kurzfilm „Beasts of No Nation“ das Thema an. Der Film beginnt mit Bildern der Einsamkeit. Ein Mann erklimmt den steilen Anstieg einer Achterbahn, ein Wagen nähert sich auf der Achterbahn allmählich dem höchsten Punkt. Die Bilder weichen bengalischen Feuern, zwischen denen sich Menschenmengen erahnen lassen. Im Text, den die weibliche Erzählstimme vorträgt, verdichten sich Bilder aus der Erinnerung mit Erfahrungen rassistischer Ablehnung.

Der als Kind polnischer Einwanderer in London geborene Regisseur Krzysztof Honowski lebt heute in Deutschland. Sein Film ist deutlich als Versuch erkennbar, sich dem aufflammenden Nationalismus in Polen und Großbritannien zu nähern. Spielerisch lässt Honowski die Erzählung der Kommentarstimme scheitern.

Ritual der Selbstvergewisserung

Auch Heather Trawicks Beitrag zum Internationalen Wettbewerb, „Isn’t It a Pity“, kreist um ein Ritual der Selbstvergewisserung, statt esoterischem Sonnengucken gibt es bei Trawick jedoch Staub, Dreck und Schrott bei Demolition Derbys. Konzentriert, beinahe liebevoll knien die beiden Männer neben dem Wagen und sprayen „Jesus“ auf die Seitentüren, einer ist gerade dabei, die Umrisse der Schrift mit weißer Sprühfarbe zu füllen. Inmitten des Trubels der Schrottrennen kehrt der Film immer wieder zu den Crews zurück, die die Autos am Laufen halten.

Das Tolle an Trawicks Film ist, dass er als Parabel auf politische Konstellationen genauso gut funktioniert wie in Bezug auf das Gezeigte. Die Hingabe und der körperliche Einsatz, mit dem die Autos aufgehübscht und immer wieder flottgemacht werden, nur um sie in einen immer unerkennbareren Blechklumpen zu verwandeln, hat etwas Hinreißendes. Trawicks Film steht denn auch für etwas, das die Kurzfilmtage auszeichnen: Kunst da zu finden, wo man sie nicht vermutet.

In ganz anderer Weise gilt das auch für den neuesten Film von Rainer Knepperges, „Play Me That Silicon Waltz Again“. Knepperges unterlegt die rudimentäre Animation eines Defragmentierprogramms aus der grauen Vergangenheit von Microsoft Windows mit einem Walzer. Die Technikgeschichte verflossener Betriebssysteme scheint ebenso auf wie die minimalistische Grafik von Computerspielen der vergangenen Jahrzehnte wie Tetris.

Durch die Leichtigkeit des Films hindurch klingt nicht zuletzt dank der Musik der Humor von Filmklassikern wie Tatis Technologiegroteske „Mon oncle“ an. In knapp vier Minuten bläst Knepperges uns einmal die Gehirnwindungen durch und entlässt die Zuschauer mit einem Lächeln in den nächsten Film.

Film existiert auch jenseits des Spielfilms

Einmal im Jahr erinnern die Kurzfilmtage die Be­su­che­­r_in­­nen daran, dass lange Filme, dass Spielfilme nicht die einzige Art Film sind, dass Narration, psychologische Beziehungen zwischen Figuren nicht die einzige Art sind, Filme zu strukturieren. Die Filme der Kurzfilmtage erinnern immer wieder aufs Neue daran, dass jedes Element, aus dem Filme bestehen: der Ton, das Bild, die Text­ein­blen­dungen, die Erzählstimme, in der Lage ist, tragend zu werden für einen Film, im filmischen Alltag aber allzu oft dazu verdammt ist, sein Potenzial zu verschlafen.

Die britische Experimentalfilmerin Jayne Parker etwa inszeniert in einer kurzen Studie die spektakuläre Schönheit der Amaryllis. Sylvia Schedelbauer schafft gewohnt bildgewaltig in ihrem neuesten Film, „Labor of Love“, einen Sog der Bilder.

Der Protagonist von Faris Alrjoobs „The Ghosts We Left At Home“, der an der Kölner Kunsthochschule für Medien entstand, ist einen Schritt vor dem Aufbruch. Während der morgendlichen Zigarette lässt er den Blick schweifen über das jordanische Amman im Morgenrot. Die Rufe der Imame mischen sich mit den Geräuschen des Verkehrs.

Ali ist in Trauer, füllt seine Tage mit alltäglichen Verrichtungen und Warten. Er wohnt in einem etwas heruntergekommenen Motel. Sein Blick wirkt abwesend. Nicht eingelöste Pläne markieren einen Aufbruch, der sich abzeichnet. Sein Frisör nimmt ihm nicht länger all das ab, was er angeblich vorhat und nie umsetzt.

Würdiger Umgang mit der Krise

„Meine Tränen erinnern mich an dich. Ich kehre zurück, und wenn ich dich sehe, kommt die ganze Welt mit dir zu mir“: Bevor Abdelhalim Hafez’ Klassiker „Ahwad“ über der Schlusssequenz des Films erklingt, erlöst ein Treffen Ali schließlich doch aus der Vergangenheit, in der er gefangen ist.

Das Onlinefestival der Kurzfilmtage ist eine würdige Art des Umgangs mit der Krise, in die das Coronavirus die deutschen Kinos gestürzt hat. Als Ausnahmelösung in einer Ausnahmesituation ist es eine hervorragende Lösung, und vielleicht entdecken ja aus der Ferne tatsächlich ein paar neue Zuschauer_innen, wie sehr die Kurzfilmtage einen Besuch belohnen.

Beim Sichten daheim besteht die größte Hürde darin, den Filmen mit jener Konzentration zu begegnen, die man ihnen im Kino entgegenbringt. Das sensorische Erleben, wenn das Licht von der Leinwand in den dunklen Raum zurückstrahlt, wird dieses Mal schwer nachzuahmen sein. Nächstes Jahr gibt es all dies hoffentlich wieder in Oberhausen in der Fußgängerzone.

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