Kurswechsel in Forschungspolitik: Hightech oder Nachhaltigkeit

Über den richtigen Weg der deutschen Forschung ist ein Streit entbrannt. Dabei ist klar, dass es nicht einfach so weitergehen kann.

Talsperre nach Ablassen des Wassers.

Trockengelegte Talsperre in Sachsen – beim Umbau der Erde muss Nachhaltigkeit Priorität erhalten Foto: imago

BERLIN taz | In der deutschen Forschungs­politik scheiden sich die Wege. Das alte, stark vom Staat geprägte und auf die wirtschaftliche Nutzung ausgerichtete Paradigma erlebt zwar gerade mit dem 60 Milliarden Euro schweren „Zukunftspaket“ der Bundesregierung – von Coronas Gnaden – einen spektakulären Hochlauf. Doch das neue Paradigma der Forschungspolitik, in dem Nachhaltigkeit und Beteiligung der Gesellschaft die zentralen Leitprinzipien sind, gewinnt an Einfluss, je mehr sich die Einsicht verbreitet, dass es nach der Corona­krise nicht mehr so weitergehen kann wie vormals.

„Unsere Welt neu denken“ (von Maja Göpel) – ein Buchtitel trifft die aktuelle Stimmungslage. Industriezeitalter contra Anthropozän. Die gegnerischen Teamführer auf dem Spielfeld der wissenschaftspolitischen Debatte sind das „Hightech-Forum“ der Bundesregierung und die Plattform „Forschungswende“ der zivilgesellschaftlichen Organisa­tionen in Deutschland.

Wie dringend eine Kursänderung ist, rief in dieser Woche Hans-Josef Fell mit drastischen Worten ins Bewusstsein: „Die Auslöschung der menschlichen Zivilisation naht mit riesigen Schritten.“ Der frühere Forschungssprecher der Grünen im Bundestag und einer der politischen „Väter“ des Erneuerbaren Energien-Gesetzes (EEG) kommentierte die neuesten Messwerte der US-Atmosphären­behörde NOAA. Trotz Corona-Shutdown der Wirtschaft habe sich das atmosphärische Kohlendioxid im Mai auf den neuen Rekordwert von 417,2 ppm (parts per million) erhöht und liege damit 2,4 ppm über dem letztjährigen Wert. Dramatisch auch der Trend bei Spurengas Methan, das noch stärker den Klimawandel treibt.

„Um das Schlimmste noch verhindern zu können, müsste die Weltgemeinschaft auf Nullemissionen bis 2030 setzen“, fordert Fell, der heute die Energy Watch Group leitet, ein Netzwerk von unabhängigen Energieexperten. „Und genau darauf käme es jetzt an: Die Wirtschafts- und Konjunkturprogramme, die weltweit hochgefahren werden, um Wirtschaftskrisen zu verhindern, sind entscheidend“, so Fells Warnruf. Es dürfe kein „zurück zum Status quo“ geben, „denn der bedeutet eine zunehmend beschleunigte Erhitzung des Planeten und eine Gefährdung der menschlichen Zivilisation innerhalb der kommenden Jahrzehnte“.

Hightech-Forum für weiteres Wachstum

Allenthalben werden derzeit von Wissenschaftlern Papiere produziert, die nach Eintreten des unvorhergesehenen „schwarzen Schwans“, der Coronapandemie, eine neue Abschätzung künftiger Entwicklungen geben wollen. Auch das Hightech-Forum, das zentrale Beratungsgremium der Bundesregierung für die Forschungs- und Innovationspolitik, hat in der vorigen Woche ein neues Empfehlungspapier mit „Sieben Leitlinien für neues Wachstum nach der Corona-Krise“ (pdf-Datei) vorgelegt. Geleitet wird das Gremium vom Chef der Fraunhofer Gesellschaft, Reimund Neugebauer, und dem Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Christian Luft.

Die 20 ExpertInnen aus Wissenschaft und Unternehmen wollen so viel nicht ändern. Für nötig halten sie „ein erneuertes Narrativ für die soziale Marktwirtschaft“ – aber am Wachstumscredo soll nicht gerüttelt werden.

Es geht um die Frage, wiewir in Zukunft leben wollenund was wir dafür brauchen

In der Innovationspoli­tik gehe es verstärkt um „strategische Souveränität“, um die Entwicklung von Leitmärkten für Zukunftstechnologien zu sichern. Dazu zählt als neues Thema die Medikamentenherstellung, bei der Deutschland und Europa unabhängig von Fernost und den USA werden sollen. In einigen Zukunftsfeldern, wie den Quanten-, Bio-, Nano- und Wasserstofftechnologien, ist Deutschland nach Auffassung der Hightech-Experten heute „in der Forschung international wettbewerbsfähig“.

Eine „umfang­reiche Innovationsförderung“ sei hier aber notwendig, um „nicht wie bei der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz ins Hintertreffen zu geraten“. Der „Ausverkauf innovativer Unternehmen und Start-ups solle verhindert werden. Gleichzeitig sollte die Politik aber auch, so das grüne Mäntelchen im Papier, „verlässliche Rahmenbedingun­gen setzen, um nachhaltiges Wirtschaften zu fördern“. Die Empfehlung an die Politik, „das Instrument des CO2-Preises wirksam und sozialverträglich zu nutzen“, ist alles andere als neu und innovativ.

Ob die Fortsetzung der Wachs­tums­orientierung tatsächlich der richtige Weg aus der Krise ist – oder nicht vielmehr gleich in die nächste, die ökologische Klimakrise führt, ist in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte nicht unumstritten. Auch das Wuppertal-Institut für Klima Umwelt Energie legte vergangene Woche eine Bewertung des Konjunktur- und Zukunftspakets vor. Das Institut, das sich der „Großen Transformation“ verschrieben hat, vermisste Kursänderungen, die weg vom Wachstumspfad und hin zu Kreislaufprozessen in der Wirtschaft führten. „Eine konsequente Orientierung auf eine Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie hilft, weniger Primärressourcen einsetzen zu müssen und damit unabhängiger von globalen Lieferketten und Rohstoffen, zum Beispiel Funktions­metallen, zu werden“, betont die Studie des Wuppertal-Instituts. Diese Themen kommen aber im Aktionsprogramm der Regierung gar nicht und dem Innovationskonzept des Hightech-Forums nur am Rande vor.

Nun formiert sich eine forschungspolitische Alternativbe­wegung. „Die Parteien haben es in den letzten Jahren versäumt, substanzielle Vorschläge für eine Veränderung des Forschungssystems hin zu mehr Nachhaltigkeit vorzulegen“, sagt Alexander Großmann, der beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) das Themenfeld Wissenschaft betreut. „Deswegen mischen wir uns nun ein.“ Die momentane Forschungspolitik sei stark auf industrienahe Wirtschaftsförderung ausgerichtet. „Kritische und tiefgehende Analysen über systemische Zusammenhänge finden in unserem immer mehr auf Wettbewerb und Drittmittelfinanzierung ausgerichteten Wissenschaftssystem zunehmend weniger Platz“, bemängelt Großmann. Die Ausgestaltung der Forschungspolitik müsse „gesamtgesellschaftlich geführt werden – es geht um die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen und was wir dafür brauchen“.

Daran arbeitet derzeit eine Gruppe um Steffi Ober vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu), die seit 2013 eine erste zivilgesellschaftliche Plattform, „Forschungswende“, geleitet hat. Nach Zeiten der finanziellen Basisförderung aus den Bundesministerien für Umwelt und Forschung wird nun nach einer unabhängigen Trägerschaft gesucht. Neben den Öko-Verbänden sollen auch Sozialverbände und gemeinnützige Stiftungen dazugehören. Gearbeitet wird an einer „Charta für zukunftsfähige Innovationen: Wie wir unsere Zukunft gemeinsam gestalten werden“.

Die neue „Forschungswende 2.0“ will die Debatte über „wünschenswerte zukunftsfähige Innovationen zur Bewältigung der globalen Herausforderungen aus Sicht der Zivilgesellschaft“ vorantreiben und zu deren Interessenvertreter im deutschen Forschungssystem werden. „Wo sind heute die Advokaten für die globalen Grenzen und die soziale Gerechtigkeit im Innovationssystem“, fragt Steffi Ober. „Wer sich hier auf die Suche nach etablierten Akteuren und Agenden macht, wird eine Leerstelle ausmachen.“ Die Lücke soll bis zum Jahresende, dann voraussichtlich mit einer großen Auftaktkonferenz, geschlossen werden. Forschungs­politik könnte so wieder spannend werden.

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