Kurort in der Slowakei: Heißer Schlamm und Multikulti

In Piestany treffen sich Araber, Israelis und Deutsche, um ihre Knochenleiden zu mildern – bei postsozialistischer Behandlungslogistik und Ostcharme mit Mohnstrudel.

Das Spiegelbad im Hotel Thermia Palace. Bild: Archiv

„Rheumatische Erkrankungen sind immer noch nicht heilbar. Doch die Schmerzen können gelindert, die Entzündungsprozesse verlangsamt und der Krankheitsverlauf günstig beeinflusst werden“, sagt Dr. Pavel Makevic im Café des Balnea Esplanade Hotels in Piestany. 26 Jahren arbeitet er in diesem slowakischen Rheuma-Heilbad, 86 Kilometer von Bratislava entfernt. Er verschreibt heilenden Schlamm, Thermalbäder und Massagen im riesigen Kurzentrum auf der Kurinsel inmitten der Waag. Das Kurzentrum liegt im Zentrum der vier Hotels Balnea Esplanade (vier Sterne), Balnea Palace (vier Sterne), Balnea Splendid (drei Sterne) und Balnea Grand (drei Sterne). Eine Kurfabrik aus sozialistischer Zeit. Ausgeklügelte Logistik lenkt die massenhaft Heilungssuchenden von Anwendung zu Anwendung. Erfahrenes, gut ausgebildetes Personal legt routiniert Schlamm auf, massiert, duscht, gibt Anweisungen. „Unser Heilschlamm“, sagt Makevic, „ist von besonderer Wirksamkeit bei Rheuma, Ischias und Arthritis. Wir behandeln damit 300 verschiedene degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparats. Der Schlamm hilft gegen Entzündungen, er dient als Knorpelschutz.“

Und dieser heilende Thermalschlamm lockt eine bunte Gästeschar ins provinzielle Piestany. Diese erzählen auch die Geschichte der Slowakei. Mit den Arabern, zumeist aus den Golfstaaten oder aus Libyen, hatte man einst, als Teil von Tschechien, diplomatische Beziehungen. Die russisch sprechenden Israelis mit osteuropäischer Vergangenheit oder osteuropäischen Vorfahren finden in Piestany das typische Schtetl am Fluss: breit und träge fließt die Waag, der zweitgrößte Fluss der Slowakei, durch Piestany und liefert in einem Nebenarm den heilenden Schlamm. Ältere Paare aus den neuen Bundesländern fuhren schon zu DDR-Zeiten regelmäßig ins Bruderland nach Piestany. Das Ehepaar aus Dresden ist zum 15. Mal hier und „bestimmt nicht das letze Mal“, wie es zuversichtlich versichert.

Selbstbewusste Matronen mit blond gefärbtem Haar und im Sportdress drängeln sich auf Russisch und Englisch am Aufzug vor, um rechtzeitig zum Nachmittags-Pilates zu kommen. Im Café Balnea Esplanade kreist schon nachmittags die Flasche Becherovka beim Kartenspiel des Clans oder Freundeskreises aus Israel. Der unglaublich dicke Junge im blauen Trainingsanzug mit weißen Streifen - immer im Schlepptau seiner Mutter, die in ihren engen Jeans etwa die Hälfte von ihm ausmacht - kommt aus Libyen und lässt sich Sachertorte mit Cola schmecken. Möglicherweise gibt es abends Schonkost. Die Familie aus Kuwait am Nebentisch mit zwei kleinen Jungs vor riesigen Eisbechern kennt Piestany, weil der Vater der verschleierten Frau in den 60er Jahren Ingenieurswissenschaft in Bratislava studierte. Nun nutzt ihr gehbehinderter Mann nach einem Verkehrsunfall den Heilschlamm der Slowakei.

Durchschnittsaufenthalt der Gäste: zwei Wochen. Empfohlener Aufenthalt: drei bis vier Wochen. „Sie kommen wegen Verschleiß, falscher Ernährung oder nach Verletzungen“, sagt Dr. Makevic. „Die Leute sind enorm faul. Besonders Araber und Israelis mögen keine Gymnastik. Keine Aktivität. Und als Arzt mache ich mich unbeliebt, wenn ich sage, sie sollen sich bewegen und abnehmen.“ Makevic hat schon zu Ostzeiten in Piestany gearbeitet. Ohne Arzt bringe die Therapie nichts, weiß er. „Der Arztbesuch ist für Heilung oder Prävention wichtig. Zu Ostzeiten waren wir 50 Ärzte. Heute sind nur noch 20 Ärzte hier im Kurzentrum. Die Zeit für Patienten ist kürzer geworden, denn heute muss sich alles rechnen.“

Heute, das ist die Danubius Hotelgesellschaft mit Sitz in London. „Alles gehört der Danubius Hotelgesellschaft“, sagt Generalmanager Hans-Dieter Bergmann. „Wir haben 1.100 Mitarbeiter in diesem Komplex. 1.350 Zimmer plus Stadthotels.“ Danubius ist der größte Arbeitgeber in Piestany. „Wir setzen auf den Namen Kurheilbad, auf Medizin, Heilung und Rehabilitation. Mit dem Fokus auf traditionelle Behandlung mit Schlamm und auf das hochprozentige Schwefelwassergemisch.“

Ausland: Mittlerweile bezuschussen die gesetzlichen Krankenkassen Kuren auch im europäischen Ausland.

Kosten: Patienten zahlen für Heil- bzw. Kurmittel lediglich 10 Prozent und 10 Euro pro Verordnung. Bei den übrigen Kosten (Anreise, Unterkunft, Kurtaxe und Verpflegung) zahlt die Kasse einen Zuschuss von maximal 13 Euro pro Kurtag. (21 Euro bei Kuren für chronisch kranke Kinder bis zum 6. Lebensjahr).

Bewilligung: Die Zusage einer Kostenübernahme sollten sich Kururlauber unbedingt schriftlich geben lassen, bevor sie ein Angebot buchen. Nach dem Ende einer Kurreise werden keine Anträge mehr angenommen.

Der Antrag: Eine ambulante Vorsorgekur kann alle drei Jahre beantragt werden. Das Formular ist bei der Krankenkasse erhältlich und wird im Idealfall mit dem eigenen Hausarzt ausgefüllt.

Wichtig: Im Kurantrag muss zusätzlich zur Diagnose auch die sogenannte Krankheitsverhütung begründet werden. Jede Krankenkasse schreibt für die Anerkennung der Zuschüsse eine exakte Aufschlüsselung der erhaltenen Behandlung vor. Daher muss das Personal vor Ort rechtzeitig darüber informiert sein, dass es von Anfang an alle Leistungen dokumentiert und dem Patienten die Liste mit der Angabe der jeweiligen Kosten am Ende des Aufenthalts aushändigt.

Slowakei: Neben Piestany für Krankheiten des Bewegungsapparats bietet vor allem auch das slowakische Heilbad Smrdaky, Stinkdorf, gute Ergebnisse bei Schuppenflechte, Neurodermitis und anderen Hautkrankheiten.

Veranstalter: EuroMed organisiert seit 20 Jahren Kurreisen unter anderem in die Slowakei. EuroMed arbeitet mit allen Krankenkassen. Das Angebot für Gruppen oder Individualreisende umfasst An- und Abreise in modernen Reisebussen oder Flüge, Unterbringung, Verpflegungen, Anwendungen und Betreuung vor Ort.

www.euromed-kurreisen.de

Weitere Veranstalter:

www.fitreisen.de

www.kroeger-reisen.de

www.wellmed-reisen.de

www.deutscher-heilbaederverband.de

Noch gibt es ganze wenige neureiche Russen in Piestany. „Die fahren lieber in Nobelbäder wie Karlsbad oder Baden-Baden und müssen erst erobert werden“, bedauert Zuzana Kancevová , Sprecherin des eleganten Hotels Thermia Palace, dem besten Haus am Ort. „Die Märkte von Piestany wurden in den 60er Jahren aufgestellt. Damals war die Kurinsel in der Waag eine Insel im Kommunismus. Vor allem im Juli und August kommen Araber und Israelis, weil es dann bei ihnen zu Hause zu heiß ist. Deutsche kommen lieber im Herbst, weil es ihnen im Juli wiederum zu heiß für Anwendungen ist. Außerdem mögen sie arabische Großfamilien am Nebentisch nicht“, erläutert Kancevová den Markt.

Das Jugendstilhotel Thermia Palace wurde 1912 erbaut und vor wenigen Jahren restauriert. Hier wohnten in den 15 Suiten indische Maharadschas, arabische Scheichs und das Whos who der Slowakei. Vor dem Thermia-Bad mit seinem wunderschönen Jugendstil-Spiegelbad - so wird das Bad mit dem braunen, heißen Thermal-Schlamm-Gemisch genannt - steht die Büste der Kaiserin Sisi. Sie hätte - wäre sie hier gewesen - zweifellos gut ins Thermia Palace gepasst. Ein Bad in dem warmen Thermal-Schlamm-Gemisch ist anstrengend. Doch nach Dr. Makevic Faustregel auch für Herzschwache nur bedingt gefährlich: „Wer problemlos zwei Stockwerke laufen kann, der kann auch getrost das Schlammbad nehmen.“

Lubos Dzuro ist Hotelfachmann und verdient als Reiseleiter in Piestany dazu. Er ist in Piestany geboren, hat lange Zeit als Hotelfachmann in Italien gearbeitet, liebt seine Heimat und träumt davon, das verfallene Jugendstilhotel Grand Hotel Royal direkt am Ufer der Waag gegenüber dem Wahrzeichen der Stadt, dem Krückenbrecher, zu leiten. Der Krückenbrecher steht an der überdachten Kolonnadenbrücke mit ihren kleinen Läden. Sie bieten neben Holzschnitzereien, billigen Kleidern oder selbstgemachten Stickereien vor allem Oblaten in allen Variationen. Hier auf der Verbindung der Kurinsel zur Stadt plane man nun eine schickere, repräsentativere Geschäftsmeile, weiß Dzuro. Im Baneologischen Museum der Stadt erzählt er die Geschichte der jüdischen Familie Winter, die Piestany von 1889 bis 1940 groß machte.

Die Winters bauten den Kurort seit 1889 auf. Sie wurden 1940 von den Nazis enteignet, der letzte Überlebende des Clans, Ludovit Winter, kam ins Konzentrationslager. Er starb in den 60er Jahren in Piestany. Das Vermögen seiner Familie gehörte nun dem tschechischen Staat, er bekam eine Armenpension. Dzuro erzählt auch von General M. R. Stefanik, dem Nationalhelden der Slowakei, lobt die Weine und Wandermöglichkeiten rund um Piestany und beschreibt, wie sehr sich Piestany nach 1989 verändert hat. „Die Altstadt wurde saniert. Es gibt viele neue Cafés und Einkaufsmöglichkeiten. Schade nur, dass es heute vor allem ums Geldmachen geht. Das Schwimmbad auf der Kurinsel müsste längst restauriert werden“, sagt er. „Aber für die Allgemeinheit ist kein Geld da.“

Das Schwimmbad mit seinem attraktiven 50-Meter-Becken ist ein Denkmal futuristischer Architektur. Es wurde 1934 erbaut. Es darbt in attraktiver Lage vor sich hin. Im Sommer trifft sich dort die Jugend von Piestany und mischt sich leicht bekleidet unter Kippa-, Tschador- und Krückenträger im schattigen Kurpark.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.