Kurdendemos in Norddeutschland: Protestmärsche gegen IS-Terror
Tausende demonstrieren in norddeutschen Städten für ein Ende der Gewalt im syrisch-türkischen Grenzgebiet. Der Hamburger Zugverkehr wurde lahmgelegt.
HAMBURG taz | Die Nachricht von der teilweisen Einnahme der an der türkischen Grenze gelegenen, strategisch wichtigen syrischen Stadt Kobane durch die Dschihadisten des „Islamischen Staats“ (IS) hat in Norddeutschland Solidaritätsdemos mit den Kurden ausgelöst, die verzweifelt versuchen, die Grenzstadt zu verteidigen. Nachdem es bereits am Montag in zahlreichen norddeutschen Städten zu Protestaktionen gekommen war, rief die Aktion „Perspektive Kurdistan“ auch für Dienstag zu Kundgebungen in Hannover, Bremen, Oldenburg, Kiel und Hamburg auf.
Die Demonstranten kritisierten die aus ihrer Sicht zu passive Haltung der Bundesregierung, die zu zögerlichen Bombardements der USA und die Rolle der Türkei als Helfer des Islamischen Staates. In Hamburg versammelten sich am Dienstag um 14 Uhr etwa 300 Demonstranten am Hauptbahnhof und skandierten Parolen wie „Schluss mit dem Massaker in Kurdistan“. Gegen 17 Uhr stürmten 100 von ihnen die Gleise und legten weite Teil des Fernverkehr zeitweise lahm.
Schon am Abend zuvor hatten sich hier ebenfalls rund 300 Demonstranten, darunter viele Mitglieder der kurdischen Gemeinde, zu einem unangemeldeten Protestmarsch versammelt und waren zum Rathausplatz gezogen, der am Dienstag von der Polizei abgeriegelt wurde. Die Montags-Demonstranten waren einem Aufruf auf Twitter gefolgt: „IS in Kobane eingedrungen – jetzt Demo am Steindamm“.
Auf die Mauern des Hamburger Regierungssitzes projizierten sie Nachrichtenbilder aus den umkämpften Regionen. Dabei schwenkten sie PKK-Fahnen und riefen Parolen zur Unterstützung der Kurden im Kampf gegen die IS. Die Demo sei weitgehend friedlich verlaufen, sagte ein Polizeisprecher. Einer drohenden Auflösung durch die Polizei kamen die Versammelten zuvor, indem sie gegen 3.15 Uhr die Kundgebung beendeten.
Jesiden sind eine verfolgte religiöse Minderheit, die gemeinsame Wurzeln mit den Kurden hat. Die meisten der weltweit knapp eine Million Jesiden leben im Nordirak, nahe der Stadt Mossul und im angrenzenden Sindschar-Gebirge, in das Tausende von ihnen vor den Attacken der IS-Terrormiliz in geflüchtet sind.
Die Kurden bilden eine bedeutende ethnische Volksgruppe in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien. Die Mehrheit der rund 25 bis 30 Millionen Kurden gehört unterschiedlichen muslimischen Glaubensrichtungen an.
Der Salafismus gilt als eine ultrakonservative Strömung innerhalb des Islams.
Tschetschenische Muslime: Die heute zum russischen Staatenverband gehörende Republik Tschetschenien wurde im 18. Jahrhundert islamisiert. Unter den Tschetschenen gibt es einige Muslime, die den Kampf der Isis-Truppen zur Errichtung eines islamistischen Staates unterstützen.
Von einer etwa 50-köpfigen Gruppe, die sich vom Rathausplatz in Richtung St. Georg bewegte, wurden mehrere Autos und ein türkischer Hähnchengrill am Steindamm demoliert. Scheiben gingen zu Bruch, Stühle flogen. Nach Augenzeugenberichten soll es zuvor zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den Kurden und einer Gruppe Salafisten gekommen sein. Die vermeintlichen Demolierer wurden wenig später auf der Ernst-Merck-Brücke von der Polizei gestellt. Sie nahm 14 Personen in Gewahrsam – alle waren nach wenigen Stunden wieder auf freiem Fuß.
Ende der Proteste nicht abzusehen
Auch in Kiel, wo sich am Dienstag einige hundert Demonstranten vor dem Kieler Landtag versammelten, war es bereits am Vorabend zu Protesten gekommen. Rund 300 Menschen zogen in einem unangemeldeten Protestzug vom Hauptbahnhof zum Landesfunkhaus des NDR und besetzten zeitweilig dessen Eingangsbereich.
Die Demonstranten, die eine ausführlichere Berichterstattung über den Kriegszustand in Kobane forderten, hätten sich übergehend friedlich und kooperativ verhalten, teilte eine Polizeisprecherin mit. Zuvor hatte die Polizei mehrere Radiostationen vor möglichen Besetzungen gewarnt, nachdem Kurden das Gebäude der Deutschen Welle in Bonn gestürmt hatten.
Eine Massenschlägerei mit rund 100 Beteiligten gab es in Celle. Hier trafen in der Nacht auf Dienstag nach ersten Erkenntnissen Gruppen von Muslimen und Jesiden aufeinander. Nach einigen verbalen Auseinandersetzungen eskalierte der Streit und beide Parteien gingen aufeinander los. Anwohner alarmierten die Polizei, die zusätzliche Einsatzkräfte aus der Region heranziehen musste. Insgesamt 70 Beamten gelang es schließlich, die Massenschlägerei aufzulösen. Fünf Menschen wurden verletzt, einer davon schwer. Gegen die Beteiligten laufen nun Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und schweren Landfriedensbruchs.(dpa)
Ein Ende der Proteste ist nicht abzusehen. Auf allen Protestaufmärschen kritisierten die Versammelten die aus ihrer Sicht zu passive Haltung der Bundesregierung, die zu zögerlichen Bombardements der USA und die Rolle der Türkei als Helfer des Islamischen Staates.
Die größte Einzeldemonstration gab es am Montagabend in Hannover, wo sich rund 450 Menschen mit überwiegend kurdischen Wurzeln am Ernst-August-Platz versammelten. Anschließend zogen etwa 200 kurdische Jugendliche zum Flughafen Hannover-Langenhagen, wo sie bis tief in die Nacht vor dem Terminal einer türkischen Fluggesellschaft mit lauten „Freiheit für Kurdistan“-Parolen ihre Kundgebung fortsetzten.
In Bremen demonstrierten 300 Menschen, in Göttingen waren es 350. Ein Großteil von ihnen übernachtete in einem Protestcamp beim „Gänseliesel“.
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