Kuratorin über Schicksale: „Migration ist ein ganz normaler Teil dieser Stadt“
Hamburger Geschichtswerkstätten versammeln Migrationsgeschichten in einer Ausstellung. Die ist erst der Anfang, sagt Koordinatorin Kristina Patzelt.

taz: Frau Patzelt, die Ausstellung trägt den Untertitel „Migrationsgeschichte(n) in Hamburg“. Warum ist das N in Klammern?
Kristina Patzelt: Weil wir beides beleuchten wollen: Migrationsgeschichte in Hamburg im historischen Sinne und persönliche Geschichten von einzelnen Personen. Hamburg ist eine Einwanderungsstadt, seit Jahrhunderten. Migration ist ein ganz normaler Bestandteil dieser Stadt und des Lebens hier. Die Geschichten, die wir gesammelt haben, sind subjektive Erfahrungen. Wer hat was erlebt, wie ist jemand nach Hamburg gekommen, über welche Wege, wie geht es der Person damit? Bei den Geschichten geht es eher um das Kleine, das Persönliche im großen Ganzen.
taz: Wie habt ihr Migration für die Ausstellung definiert?
Patzelt: Migration ist für uns die Einwanderung von Personen aus anderen Herkunftsländern nach Deutschland und nach Hamburg. Da geht es sowohl um die Erfahrungen von Menschen, die selbst hergekommen sind, als auch um die Erfahrung von Menschen in zweiter oder dritter Generation, deren Eltern oder Großeltern eingewandert sind, zum Beispiel als sogenannte Gastarbeiter.
taz: In Hamburg gibt es in fast jedem Viertel eine Geschichtswerkstatt. Sie stehen in der Tradition der „Geschichte von unten“ und forschen vor ihrer Haustür. Wie sind die Werkstätten für die Ausstellung vorgegangen?
Ausstellung „Angekommen? Migrationsgeschichte(n) in Hamburg“ der Geschichtswerkstätten: heute bis 12. 5., Zentralbibliothek der Bücherhallen Hamburg, Hühnerposten. Eröffnung: Freitag, 11. 4., 18 Uhr, mit Lesung von Gloria Boateng
Patzelt: An der Ausstellung sind zehn der Hamburger Geschichtswerkstätten beteiligt. Sie arbeiten üblicherweise unabhängig voneinander und sind ganz unterschiedlich an das Thema rangegangen. Einige haben sich historisch genähert, zum Beispiel über die Geschichte Vertriebener in Bergedorf. Andere haben sich mit Gebäuden und Wohnbedingungen auseinandergesetzt, wie etwa mit Wilhelmsburger Wohnlagern. Und dann wurden Menschen in den Stadtteilen interviewt, etwa in Eidelstedt und Finkenwerder.
taz: Ist es ein Vorteil, dass die Werkstätten in den Stadtteilen sitzen?
Patzelt: Ja, Geschichtswerkstätten sind sehr niedrigschwellig, sie haben einen guten Zugang zu Menschen in den Vierteln. Da kommen viele Begegnungen automatisch zustande.
taz: Wie haben Sie die Geschichten für die Ausstellung ausgewählt?
Patzelt: Es ging darum, einen Aspekt der Migrationsgeschichte aus einem Stadtteil zu erzählen. Die Ausstellung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und wirft nur einzelne Schlaglichter. Sie soll ein Startschuss für mehr sein. Wir wollen damit ins Gespräch mit Menschen kommen, die uns ihre Geschichten erzählen wollen. Da fehlen auch viele migrantische Communitys, zu denen wir bisher keine Kontakte haben.
taz: Waren Menschen, die selber Migrationsgeschichte haben und in Hamburg leben, an der Entwicklung der Ausstellung beteiligt?
Patzelt: Wenige, das kommt derzeit noch zu kurz. Wir haben nicht so viele Leute mit Migrationsgeschichte, die in den Geschichtswerkstätten direkt mitarbeiten, was wir schade finden und gerne ändern würden. Es gibt die Idee, eine thematische Forschungswerkstatt nur zu Migrationsgeschichte zu eröffnen, mit der wir Menschen ansprechen wollen, um gemeinsam zu dem Thema zu arbeiten.
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