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Kurator über Musikfestival CTM in Berlin„Eine Geschichte der Befreiung“

Jan Rohlf ist Kurator des Berliner Musikfestivals CTM. Über die Lehren aus der Coronapandemie, Engagement für die Ukraine und die Clubkultur in Berlin.

Präsentieren Singeli-Sound am 3. Februar in Berlin: Rehema Tajiri und Queen Asher aus Tansania
Julian Weber
Interview von Julian Weber

taz: Jan Rohlf, heute Abend beginnt das CTM-Festival – erstmals seit 2020 ohne Einschränkungen. Wie hat Ihr Team die Pandemie überstanden?

Jan Rohlf: Wir hatten das Glück, dass wir Ende 2019 vom Kultursenat Berlin erstmals eine auf vier Jahre angelegte Förderung erhalten haben. Sie hat uns ermöglicht, dass wir in dieser schwierigen Zeit die Arbeit fortsetzen und das Team aufrecht halten konnten. Alles in allem sind wir gut durchgekommen, obwohl es für alle Beteiligten eine riesige Energieleistung war, die auch Wunden hinterlassen hat.

Bild: Camilla Blake
Im Interview: Jan Rohlf

geboren 1975 in Tübingen, lebt seit 1994 in Berlin, arbeitet als bildender Künstler und ist Gründer und seit 1999 auch künstlerischer Leiter von CTM.

Durch Corona haben sich Bedürfnisse beim Ausgehen geändert, wie wirkt sich das aufs Festival aus?

Menschen, die arbeiten, legen sehr viel mehr Wert auf die Qualität ihrer Arbeitsbedingungen. Das ist auch im Nachtleben so. Diese Entwicklung ist an sich richtig, aber sie führt dazu, dass die kulturelle Arbeit und das Veranstalten deutlich teurer geworden sind. Wir schauen derzeit auf Kostensteigerungen von bis zu 35 Prozent, vor allem im Bereich Personal, Technik, Betriebskosten und Mieten von Spielorten. Diese Kosten können nicht Eins zu Eins weitergegeben werden an Ticketkäufer:innen, auch sie verfügen über weniger im Geldbeutel.

Als Ihr Festival Ende der 1990er angefangen hat, war das, was man „elektronische Lebensaspekte“ nennt, in der Embryonalphase. Dem Projekt Elektronische Musik war eine gewisse Progressivität inhärent. Leidet dieser Fortschritt unter der krisenhaften Weltlage?

CTM-Festival Berlin

Das CTM-Festival läuft vom 27.1. bis zum 5. 2. 2023 an Orten wie Silent Green, HAU und Berghain in Berlin. Unter dem Motto „Portals“ ist spannende neue elektronische Musik aus der ganz Welt zu erleben, etwa von der ukrainischen Künstlerin Anna Kravets, Afrorack aus Uganda und Coby Sey aus England. Programm: https://www.ctm-festival.de/

Die Geschichte der elektronischen Musik ist eine Geschichte der Befreiung von Begrenzungen, von Demokratisierung, von Austausch und neuen Verbindungen und von Selbstermächtigung. Es ist wichtig, diese Aspekte zu beleuchten. Aber natürlich finden sich in elektronischer Musik und darin, wie ihre Geschichten geschrieben werden, blinde Flecke: Auslassungen, falsche Hierarchien und Diskriminierung. Diese Dinge müssen reflektiert werden, wenn wir wollen, dass elektronische Musikkultur zu einer besseren Welt beiträgt.

Am Anfang ging es vor allem darum, überhaupt die elektronischen Subkulturen mit den Experimenten der historischen Avantgarden zu verbinden. Dann galt es zu erkennen, dass es an Anerkennung bei der Rolle von Frauen und queeren Stimmen fehlt. Die Aufarbeitung ist im Gange. Dadurch ergeben sich neue Perspektiven, die Hand in Hand gehen mit einem Aufbrechen der männlichen Dominanz in elektronischer Musikkultur. Nur wenn wir als Musik-Community hier weiterkommen, können wir zu einem fruchtbaren Miteinander finden.

CTM hat zuletzt mit Veranstaltungen vergangenen Mai und dann im November mit der von Taïca Replansky kuratierten Veranstaltung „Territory Disrupt“ auf den russischen Angriffskrieg reagiert und Ver­tre­te­r:in­nen der ukrainischen Diaspora nach Berlin gebracht, auch jetzt wird die Ukraine vertreten sein.

Die paradoxe Gleichzeitigkeit von progressiven Entwicklungen und reaktionärem Backlash hat sich 2022 nochmals zugespitzt. Angesichts des Versuchs Russlands die Ukraine zu zerstören wollen wir diese Situation reflektieren: Was bedeutet es in so einer Bedrohungslage, in einer existenziellen Krisensituation als Künst­le­r:in zu arbeiten. Wie verändert diese Situation das künstlerische Selbstverständnis, wie die Praxis.

Berlin liegt geographisch an der Schwelle zu Osteuropa, müsste sich dies nicht noch mehr auf Ihr Programm auswirken?

Wir haben schon vor 20 Jahren mit Themenschwerpunkten versucht, Beziehungen aufzubauen zu für uns damals unbekannten Akteuren im östlichen und südöstlichen Europa. Heute muss es darum gehen, Menschen aus Ost- und Südosteuropa in die Programmentwicklung direkt einzubeziehen. Dort gibt es sehr viel Enttäuschung.

Warum?

Vor 20 Jahren gab es begründete Hoffnungen, dass sich zwischen Ost und West schneller ein Gleichgewicht einstellt, auch auf dem Feld der elektronischen Musik. Die Realität ist, dass der Musikmarkt von Großbritannien und den USA dominiert wird. Stimmen aus Osteuropa bleiben marginal. Sie haben nicht den gleichen Zugang zu Festivals und zur medialen Aufmerksamkeit. Das hat nichts damit zu tun, was tatsächlich an ästhetischer Produktion stattfindet, sondern mit mangelnder Anerkennung und festgezurrten Stereotypen.

Sie verzichten auf große Namen und laden dafür Talente ein wie Queen Asher aus Tansania. Wie sind Sie auf die Künstlerin gestoßen?

Wir führen beständige Arbeitsbeziehungen mit Partnern in Ostafrika wie etwa Nyege Nyege in Uganda. Das ist ein kreativer Hub mit Festival, eigenem Label und Residenzort mit Studios, in denen sich Künst­le­r:in­nen aus ganz Afrika und anderen Teilen der Welt begegnen. Nun sind wir Teil des Projekts „Afropollination“. Hier geht es darum, Mu­si­ke­r:in­nen aus Deutschland mit solchen aus Afrika zusammenzubringen, um neue Musik zu entwickeln. 2022 war mein Kollege Michail Stangl in Daressalam und hat dort Queen Asher und ihre Mutter kennengelernt.

Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Gäste keine reaktionären Weltanschauungen verbreiten?

Öffnet man ein Festival gegenüber Perspektiven aus verschiedenen Teilen der Welt, gehört dazu, dass unterschiedliche Meinungen miteinander in einen Dialog treten. Es kann nicht darum gehen, dass wir uns in einem engen Meinungskorridor bewegen, der Kritik von vorneherein ausschließt. Klar ist, dass jede Form von Hass und Diskriminierung bei uns keinen Platz hat. Am Ende ist es so, dass wir als Kuratoren verantwortlich sind für unser Programm.

Zuletzt haben Gerüchte um eine Schließung des Berghain, einer Ihrer Veranstaltungsorte, gezeigt, dass die Berliner Ausgehkultur auf tönernen Füßen steht. Wie muss Ihr Festival auf Stadtentwicklung und Verdrängung reagieren?

Lebendige Musikkultur braucht unterschiedliche Orte. Berlin braucht selbst organisierte Orte, also solche, die sich finanzieren lassen, ohne staatliche Förderung und kommerzielle Sponsoren. Nur dort ist ein freies Experimentieren möglich. Und das ist immer eine der großen Qualitäten von Berlin gewesen. Hier habe ich am meisten Sorge, solche Orte sind am stärksten gefährdet.

Die Stadt muss dabei helfen, Orte abzusichern, die trotzdem so frei wie möglich sein müssen. Es wäre ungut, wenn wir nur noch staatlich finanzierte Häuser als öffentliche Einrichtungen hätten, aber auch solche braucht es. Dann muss man auch sagen, es fehlt ein Haus für experimentelle Musikkulturen und Klangkunst in Berlin, das städtisch oder staatlich finanziert ist. Das ist eine große Lücke!

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