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Kunstschau mit Trampelpfad in BerlinSommer ist nur einmal im Jahr

Goldgelbe Gräser zwischen grauem Beton: Im Kunstraum goeben berlin feiert der Bildhauer Martin Kähler voll Akribie die Magie der Vergänglichkeit.

Das Gras, die Kunst: Martin Kähler mit „Campo“ bei goeben berlin Foto: Stefan Haehnel

Berlin taz | Schönes ist viel zu oft vergänglich, manchmal sucht man es an gewissen Orten sogar verzweifelt. Die Schöneberger Goebenstraße ist eine weite, vierspurige und graue Erscheinung. Wenn man sich auf den Mittelstreifen zwischen die vorbeirasenden Autos und Busse stellt, blickt man in Zentralperspektive auf die Pallasstraße – dunkel empfängt einen am Horizont der vierstöckige Hochbunker, neben dem sich der Betonbau Pallasseum erhebt und alle umliegenden Häuser überragt.

Die einst blühenden Gräser jedoch, die sonst den Mittelstreifen vor der Goebenstraße 22 schmücken und von der aus man auf den Wohnblock blickt, wurden verschoben. Die Abgase der letzten Nacht kleben noch immer an ihnen, trotzdem leuchten sie goldgelb durch das große Ladenfenster des Ausstellungsraums goeben berlin an dieser Adresse.

Die genaue Breite dieses Raums wurde hierfür aus dem Mittelstreifen zwischen den zwei Fahrspuren abgemäht und auf den 65 Quadratmetern gegenüber platziert.

„Campo“, aus dem Italienischen zu übersetzen mit Feld, heißt die Ausstellung die der italodeutsche Bildhauer Martin Kähler bei goeben berlin zeigt. Es handelt sich um eine einnehmende Installation auf dem Boden des Raums, die sich gleichzeitig als Gegenentwurf zu einer käuflichen Ausstellung präsentiert. Erst vergangenen Monat hatte goeben berlin zu einer kommerziellen Auktion aufgerufen und somit den Bestand der Räume sichern können.

Die Ausstellung

Martin Kähler: „Campo“. goeben berlin, Goebenstraße 22, samstags 14–18 Uhr oder mit Voranmeldung, bis 29. August

Jedenfalls kann man durch dieses aufgestellte Feld auch laufen – auf dem Boden hat sich ein Trampelpfad gebildet, um den Wildwuchs durchdringen zu können. Es ist eine Expedition, eine Erkundungstour, auf die sich jeder einzelne Besucher einlässt. Gleichzeitig hinterlässt jedes Erforschen auch immer Spuren: Je mehr Besucher sich auf eine Wanderung begeben werden, desto mehr werden sich die fragilen Pflanzen unter dem Trampelpfad auflösen. Der Träger des Feldes ist aber nicht etwa Erdboden, sondern Styropor. Das Material gibt sich nur vermeintlich solide, denn auch hier gilt: Je mehr Besucher auf den Platten laufen werden, desto poröser werden diese. Kleine, weiße Kügelchen vermischen sich mit eingefädelter Natur.

Kähler schafft mit „Campo“ auf diese Weise einen temporären, einen ephemeren, also einen vergänglichen Moment. Der Künstler arbeitet sich ab an der Zeit, er sucht nach Möglichkeiten, um sie visualisieren zu können. Es sind vielmehr Augenblicke, die in flüchtigen Situationen entstanden und die bereits im nächsten Moment verschwunden sein könnten.

Eine Art Arte Povera

Kähler bedient sich vor allem organischer Materialien, weil sie nie gleich bleiben, sich verwandeln, zersetzen, verschwinden. Seine Kunst nähert sich an die Arte Povera an, einer Kunstrichtung aus dem Italien der 1960er Jahre. Diese widmet sich der Rückkehr zu einfachen Objekten und Materialitäten, in der das Alltägliche wieder an Bedeutung gewinnt.

So untersucht der Künstler die Eigendynamiken eines Kunstwerks und die Reaktionen von einzelnen Körpern mit ihm. Kähler erforscht Orte, Bereiche und Flächen, sowie ihre Umgebung und Assoziationen. Auch in „Campo“ ist die Installation distinkt verortet im Raum und wird so zum Ort der Begegnung.

Wenn man im Feld in der Goebenstraße 22 steht, erkennt man erst im Moment des Drinstehens, dass die unzähligen Gräser einzeln in den Styropor gesteckt wurden. Oder, dass die Gräser vorsichtig mit der Sichel händisch vom Erdboden abgetrennt wurden. Beides sind Handlungen endloser Repetition und körperlicher Anstrengung. Diese akribische Arbeit offenbart sich eher beiläufig und ist Kern von Kählers künstlerischer Praxis.

Der Begriff „Sprezzatura“ wird als die Fähigkeit beschrieben, auch anstrengende Taten leicht und mühelos erscheinen zu lassen. Der Bildhauer nutzt die Wandelbarkeit und Substanz dieses Begriffs und erweitert ihn in seiner Ausstellung um den wertvollen Moment der Umgestaltung von Realität.

Umringt von Schöneberger Beton hebt er das hervor, was im Bewusstsein des Augenblicks oft verloren geht: Plötzlich geschieht mit dem vernachlässigten Mittelstreifen der Goebenstraße, dem grauen Beton, der vierspurigen Straße etwas Magisches. Inmitten eines Feldes, bestehend aus Mischgräsern, Disteln und Berliner Vorstadt wird alles Umgebende wild gewachsener Dschungel oder eine romantische und blühende Wiese – Sommer ist schließlich nur einmal im Jahr.

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