Kunstschau in Wolfsburg: Fragile Freiheiten
Die Grenzen sexueller, künstlerischer und individueller Freiheit will das Kunstmuseum Wolfsburg ausloten – „Im Käfig der Freiheit“.
Als, wenn man so will, materieller Freiheitseinschränkung bedient sich Beil ausschließlich Werken der Wolfsburger Sammlung. Das mag thematisch etwas hergeholt erscheinen, allerdings hat der Fundus unter seiner nicht einmal zweijährigen Ägide einen rasanten Zuwachs, nachgerade einen Befreiungsschlag, erlebt. Die längere Vernachlässigung der musealen Kernaufgabe des Sammelns, auch wegen anderer Prioritäten seines Vorgängers, scheint überwunden. Besonders die Sympathien ausgestellter Künstler zum Hause erweisen sich nun als fruchtbar.
Ein Berliner Sammler etwa hat auf Vermittlung durch den Dänen Jeppe Hein – er hatte um den Jahreswechsel die große Wolfsburger Halle mit vielen bunten, neuen Arbeiten bespielt – dem Museum einige seiner Stücke übereignet oder als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Eine Berliner Galeristin folgte, Künstler haben Werke geschenkt, sodass unter den zwanzig in der Ausstellung vertretenen nun zehn Neuzugänge sind, insgesamt wartet die Schau mit rund 115 Werken auf.
Natürlich ist es schwierig, viele der Exponate, die man auch schon in anderen Kontexten gesehen hat, nun auf einen freiheitsthematischen Gehalt hin abzuklopfen. Der riesige Bär von Jeff Koons etwa, der mit seiner Linken einen recht hilflosen Polizisten im liebevollen Gewahrsam hält, spielt mit dem Überraschungsmoment des scheinbar Freundlichen oder Banalen, das unvermittelt seine böse und gefährliche Macht auszuspielen vermag.
Vorrangig erschauert der Betrachter aber bereits vor der überwältigenden Präsenz der tatsächlich in Oberammergau gefertigten kitschigen Herrgottsschnitzerei. Die Bilderzählung scheint dann nachgeordnet, eine politische Metaphorik nimmt man Koons ohnehin nicht so recht ab.
Die in Wolfsburg immer mal wieder gezeigte Fotoserie von Nobuyoshi Araki, „Tokyo Novelle“, lässt sich da schon augenscheinlicher im Thema verorten. Neben klaustrophober städtischer Infrastruktur sind es seine provokanten Aktaufnahmen mit Formen gewalttätiger körperlicher Einschränkung. Die mehrlagig verschränkten Autobahnbrücken wollen so gar nicht von befreiender Stadtluft künden.
Allerdings ist das vor der Kamera praktizierte Bondage, eine auch alte japanische Kampf-, Folter- oder Theatertechniken vereinigende kunstvolle Fesselung, für die weiblichen Protagonistinnen wohl nicht die erniedrigende sexuelle und voyeuristische Ausbeutung, die Alice Schwarzer den erstmals 1995 veröffentlichten Fotos attestierte. Sie sind vielmehr Zeugnisse eines schmalen Grades ausgelebter sexueller Devianz, die Paradoxie gewollter schmerzvoller Freiheitsberaubung im Dienste eines selbstbestimmten Lust- und Entgrenzungserlebnisses.
Die brillante, nach üblichen Moralvorstellungen jedoch vollkommen inkorrekte Bildästhetik wird durch die Kombination mit Jeppe Heins unsichtbarem Kubus nun zur fast unausweichlichen Tyrannei: Ein Überwachungssystem löst scharfe Alarmsignale aus, wenn sich der Betrachter zu weit von den Fotografien entfernt. Die museale Kontrolltechnik, die normalerweise ja Besucher auf sichere Distanz zu den empfindlichen Werken hält, wird ins Gegenteil verkehrt. Die Institution Museum entblößt so nicht nur ihren Anspruch auf Deutungshoheit, sondern wird zur autoritären Disziplinierungsmacht.
Aber es gibt auch Spielerisches und Humorvolles zu sehen. So seziert der Schweizer Daniel Pflumm in seinem Video unsere omnipräsente Konsumwelt. Banale Produkte wie Zahnpasta, Haushaltsreiniger oder Deo können nur noch mit einem Neuigkeitsaspekt marktstrategisch punkten.
Folglich nennt er alle seine ikonischen Waren „Neu“, auch die ihn vertretende Galerie. Kein Aufbegehren gegen einen gängelnden Konsumterror also, genauso wenig wie Georg Herold in seiner „Badezimmer-Serie“ die subversive Qualität des Rauchens predigen möchte.
Seine Bildnisse zeigen vielleicht schon vom Karzinom deformierte Lungenflügel. Die sind mit preiswertem Ersatz-Kaviar veredelt – eine Anspielung eines aus der DDR freigekauften, dort inhaftierten Künstlers auf die Verheißungen, aber auch billigen Surrogate einer westlichen Wahlfreiheit. Hammer und Sichel, Insignien sozialistischer Staaten, assoziiert wohl nicht nur Herold schon lange nicht mehr mit Freiheit und Selbstbestimmung.
Im Jahr der deutschen Wiedervereinigung legte er sie aus simplen Ziegeln auf rotem Samt aus, der leicht gelb-goldene Ton der Steine mag als sentimentale Reminiszenz die gescheiterte Hoffnung auf eine bessere Welt aufflackern lassen.
Den Reigen vieler weiterer leiser Töne bricht die monströse Versuchsanordnung „A Hundred Years“ von Damien Hirst. Frisch geschlüpfte Stubenfliegen haben die Wahl, entweder in einem großen Glaskubus auf ihren natürlichen Tod in etwa vier Wochen zu warten, bis dahin stoisch herumzuschwirren und sich zu ernähren – oder sie entweichen durch zwei kleine Öffnungen in den benachbarten Kubus. Dorthin lockt sie eine helle elektrische Fliegenfalle, mit dem Risiko des früheren Todes.
Gibt es also keine Freiheit? Zumindest ist sie ein relatives und fragiles Privileg, dessen man sich bewusst sein sollte, auch in satten Zeiten und stabilen demokratischen Systemen. Und sie lebt nur als humanistischer Imperativ, die Grenzen universeller Freiheitsrechte immer neu auszutarieren und wenn nötig zu erweitern – als mündiger Mensch, sprechend, lesend, schreibend.
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