Kunstinstallation „Mine“ in Düsseldorf: Gaming für die Aufklärung
Die Installation „Mine“ von Simon Denny verfolgt den Abbau von Rohstoffen und deren Auswirkungen auf die menschliche Arbeitskraft.
Folgt man dem Philosophen und Künstler Daniel Rubinstein, dessen Essaysammlung „Fotografie nach der Philosophie“ gerade im Merve Verlag erschienen ist, dann befinden wir uns in einer „Repräsentationsdämmerung“: Die Fotografie ist nicht mehr das Medium des Sichtbaren, sondern des Sichtbarmachens von Unsehbarem.
Denn wie „sehen“ autopilotierte Autos die Städte, die sie durchkreuzen? Wie erkundet das „smarte“ Band am Arm des Amazon-Mitarbeiters dessen Performance? Statt des Kameraauges lesen Sensoren unsere plattformisierte Welt aus, wobei ihre algorithmischen Bildlogiken nur mühsam ins menschliche Maß rückübersetzt werden können.
Während sich in der aktuellen Wiederentdeckung ostdeutscher Fotograf*innen die gegenläufige Hoffnung abzeichnet, dem Dokument schwarz auf weiß vertrauen zu können, arbeiten Künstler*innen mit zumeist westlichen Biografien gleichzeitig an der Entwicklung höchst künstlicher Welten.
Der Wille zur Aufklärung kommt im Gewand des Gamings: Fotografie oder Essayfilm zeigen nicht mehr Arbeitsplätze oder Straßenkämpfe, sondern übersetzen ihre Analyse und Kritik in bunte und laute, computergenerierte und konstruierte Räume.
Hito Steyerl, Thomas Ruff und Simon Denny
In der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf lässt sich an drei aktuellen Einzelausstellungen – Hito Steyerl, Thomas Ruff und Simon Denny – exemplarisch ablesen, wie weit vormals kamerabasierte Kunst sich zu einer algorithmischen Bildproduktion verschoben hat.
Der Fotograf Thomas Ruff hat die Kamera ganz beiseitegelegt und verarbeitet nur noch im Internet aufgefundene Digitalformate; die Videokünstlerin Hito Steyerl bewegt sich in einer hybriden Welt zwischen Gaming, Chats und Youtube; und der Installationskünstler Simon Denny baut sich digitale Gaming-Zones, computeranimierte Videos und dem Rechner entsprungene Themenpark-Displays.
Der in Neuseeland geborene und in Berlin lebende Denny übertrug seine ursprünglich den Bergbauregionen in Australien gewidmete Arbeit „Mine“ auf die Industrieregion Rhein/Ruhr: Nicht weit vom K21-Museum liegt der Rest des vom Braunkohleabbau geschundenen Hambacher Waldes.
Denny bezieht sich jedoch auf die schon zum Museum umgewandelte Zeche Zollverein in Essen, wobei er zusammen mit dem Künstler Jan Berger in der Spielewelt „Minecraft“ eine digitale Raum-Fahrt durch das Ruhrmuseum mit dem K21 im Stollen verknüpft. Die Ausstellung findet somit im Keller des virtuellenMuseumskomplexes als auch im realen Ausstellungsraum statt.
Cyberpunkartige Pappaufsteller
Jedoch erinnert dieser mit auf Wand und Boden angebrachten Computergrafiken sowie von Paul Riebe entwickelten cyberpunkartige Pappaufsteller von überzeichneten Bergbauprodukten eher an Messearchitekturen oder Themenparks.
„Mine“ verschränkt thematisch die Extraktion von Rohstoffen sowie ähnlich naturhaft gesehene Daten und verfolgt die Auswirkungen auf die menschliche Arbeitskraft. Der Titel bedeutet ja einerseits die Bergbaumine, aber auch „mein“ und verschränkt so den Raubbau an Habitat und den Menschen selbst, wenn etwa eine vorgestellte Smartwatch des Bergbau-Ausstatters Caterpillar verspricht, „Ermüdungs- und Ablenkungsrisiken vorherzusagen, zu messen und zu mindern“.
Simon Denny. „Mine“ – K21/Kunstsammlung NRW Düsseldorf, bis 17. Januar 2021
Daniel Rubinstein „Fotografie nach der Philosophie. Repräsentationsdämmerung“ Merve Verlag, Leipzig, 2020, 18 Euro
So erfasst das Gerät die „Schlaf- und Wachperioden der Mitarbeiter und wandelt diese Daten in eine Effektivitätspunktzahl um“. Wie autopilotierte Drillmaschinen, Lkws oder Züge auch werden die noch verbliebenen Arbeitskräfte aus der Ferne digital überwacht und ihr Datenmaterial weiterverarbeitet. Diese Pit-Kontrollcenter erinnern dabei an die Drohnensteuerzentralen, wie sie der Videoessayist Harun Farocki anhand „operativer Bilder“ untersucht hatte.
Das Verrückte an Dennys überzeichneten Produktvideos zwischen Pappaufstellern und den von Sharon Gordon angefertigten Gerichtszeichnung fiktiver Klageverhandlungen ist ja, dass dies auf bestehendes Werbematerial aufsetzt und marktreif ist.
Den menschlichen Arbeitskräften assistierende Roboter
Aktuell werden kleine, den menschlichen Arbeitskräften assistierende Roboter in den Dienst gestellt, die den Menschen nicht mehr gefährlich werden und deshalb nicht mehr wie bislang in Schutzkäfigen gehalten werden müssen. Andererseits stellt Amazon das US-Patent 20150066283 A1 vor, wonach die Picker genannten Warenzusammensammler in fahrbaren Käfigen mit äußerem Greifarm gehalten werden sollen.
Indem Denny den patentierten „Amazon-Arbeiter-Käfig“ schon einmal materialisiert, erlaubt er uns das direkte Heranzoomen. Aus dem Käfig „tweetet“ ein digital animierter Roststirn-Dornschnabel; sein vielleicht schon erreichtes Aussterben steht als Warnzeichnen für die tödlichen Auswirkungen des weltweiten CO2-Ausstoßes, so wie Kanarienvögel früher in den Kohlegruben als eine Art Frühwarnsystem für bedrohliches Kohlenmonoxid eingesetzt wurden.
Die planetarischen Lieferketten und „Opferzonen“ genannten Ausbeutungswüsten des Kapitalozäns kennzeichnen Erde wie Menschen und auch Museen als Orte der Ausbeutung von Rohmaterial und Daten. Was also ist die Erkenntnis von Dennys „Gamification“ des Minings? Er geht so weit, statt Katalog das Brettspiel „Extractor“ anzubieten, die Spielerklärung funktioniert als Katalogbroschüre.
Die mechanische und digitale Automatisierung wird selbst die Arbeit der Rohstoffgewinnung übernehmen – schlechte Nachrichten für den afrikanischen Kontinent, dessen später Industrialisierung die Hoffnung eingeschrieben ist, dem allgemeinen Wohlstand des Globalen Nordens oder Chinas näherzukommen. Bevor also die Produktion aus Asien weiter auf den afrikanischen Kontinent überläuft, so wie es sich schon in Äthiopien, Marokko oder Südafrika abzeichnet, werden die Maschinen dort wohl schneller sein. So verlieren Menschen ihre Arbeitsplätze, noch bevor sie diese gewonnen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an