Kunstfestival „steirischer herbst“: Das Brodeln im Vulkan
Die 52. Ausgabe „steirischer herbst“ in Graz stand unter dem Motto „Grand Hotel Abyss“: Kunst mit politischem und hedonistischem Anspruch.
Selten hat ein Ausstellungstitel den Zeitgeist so präzise benannt wie der diesjährige „steirische herbst“. Das renommierte Grazer Festival für zeitgenössische Kunst steht nämlich unter dem Motto „Grand Hotel Abyss“, zitiert also das polemisch gemeinte „Grand Hotel Abgrund“ des Philosophen Georg Lukács, in dem dieser 1933 die gesellschaftskritischen Intellektuellen der Frankfurter Schule angesichts des drohenden Untergangs der Zivilisation durch die NS-Machtergreifung situierte.
Ekaterina Degot, Chefkuratorin des „steirischen herbstes“, wendet Lukács’ Analyse nun auf „westliche“ Gesellschaften insgesamt an, auf Gesellschaften also, in denen einerseits materieller Wohlstand herrscht, wie es ihn zuvor nie gegeben hat, deren BewohnerInnen andererseits aber zunehmend bewusst wird, wie ihre Lebensbedingungen existenziell bedroht werden: vor allem vom Klimawandel, aber auch von einem grassierenden Rechtspopulismus.
Die Spannung von Problembewusstsein und Ablenkung durch Genuss gibt dem „Grand Hotel Abyss“ dann den konzeptionellen Rahmen vor. So sind in den Ausstellungen Arbeiten zu sehen, die zentrale Bedrohungen der Gegenwart thematisieren, aber auch solche, die den kommodifizierten Hedonismus unserer Tage in ihren Fokus rücken. Klugerweise fragen viele der Arbeiten der 13 Künstler*innen dabei auch danach, welche Rolle die Kunst in diesem Spannungsfeld spielen kann.
So steht „Änderungsschneiderei Plan B“ auf der Schaufensterscheibe eines Ladenlokals im Grazer Stadtzentrum. Betritt man die originalgetreu eingerichtete Änderungsschneiderei, wird man freundlich von zwei Angestellten begrüßt, zu ändernde Kleidung allerdings wird von ihnen nicht entgegengenommen. Stattdessen werden BesucherInnen aufgefordert, eine im Raum verborgene Tür zu suchen. Einmal gefunden, führt diese Tür in einen hinter der vermeintlichen Änderungsschneiderei liegenden Kellerraum, der als Hybrid von Bunker und Fluchtraum hergerichtet wurde.
Doppelbetten sieht man im Halbdunkel, dazu eine Kinderecke, eine spartanische Kochnische, auch an eine Toilette wurde gedacht. Zudem steht da ein Monitor, mit dem der Vorderraum überwacht werden kann. Die Zweirauminstallation „Plan B“ (2019) von Artur Zmijewski bietet also Zuflucht angesichts wohl schon in Kürze zu erwartender sozialer Unruhen, verursacht etwa durch die dramatische Zunahme von Klimaflüchtlingen. So besitzt die Arbeit des polnischen Künstlers „dank“ der weltweit desolaten Klimapolitik durchaus prophetische, ja pragmatische Qualitäten.
Absurde Ausdauer
In Jeremy Dellers im Grazer Künstlerhaus zu sehenden neuen Film „Putin’s Happy“ (2019) sprechen am Rande von Brexit-Demonstrationen „besorgte“ Briten über die angeblichen Ursachen und Folgen des Brexit. Schnell wird deutlich, wie da Verschwörungstheorien, Fremdenhass und dümmliche Übertreibungen den Ton angeben: „Wenn in deiner Stadt kein Englisch mehr gesprochen wird, dann stimmt überhaupt nichts mehr!“ oder „Putin freut’s“, solche Plattitüden sind da zu hören. Dellers Arbeit bildet ab, wie in unseren „Postdemokratien“ (Colin Crouch) rechtspopulistische Realitätsflucht längst meinungsbildend ist. Mit knappen Slogans bedruckte Banner, die neben den im dokumentarischen Stil gedrehten Film platziert sind, kommentiert der Londoner Künstler das politische Geschehen zudem mit aggressiv-kluger Verve, etwa so: „Jede Ära hat ihren eigenen Faschismus.“
Besagte Flucht in den Hedonismus steht etwa in der Helmut-List-Halle in der Videoinstallation „Progressive Touch: Series 1“ (2019) von Michael Portnoy zur Disposition. Schwule, lesbische und hetereosexuelle Porn-Clips stellt der US-Künstler in seiner raumgreifenden Installation mit vier über Kreuz stehenden Leinwänden vor, präzise geschnitten nach den Rhythmen von cooler Progressive Rock- und Jazz-Musik.
Die sexuellen Akte, die sich da in absurder Ausdauer und Heftigkeit vollziehen, sind jeweils in diffuses künstliches Licht getaucht und erinnern zuweilen an schon slapstickartig anmutende Bewegungsabläufe. Wenn man und frau so will: Hochleistungssex der extrem kommodifizierten Art hat Michael Portnoy hier in Szene gesetzt – und so künstlerisch die Frage nach der emotionalen Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen Anfang des 21. Jahrhunderts gestellt.
Klammheimliche Propaganda
Gesellschaftliche Funktionen der bildenden Kunst schließlich nimmt Jasmina Cibic in ihrem Film „Das Geschenk – 1. Akt“ (2019) ins Visier. Der ebenfalls im Grazer Künstlerhaus zu sehende Film thematisiert in einer sterilen Hochglanzästhetik die Beziehung von Staat und Kultur, dieses am Beispiel der Instrumentalisierung von Kunst durch politisch motivierte Geschenke an den Staat.
In dem Film soll eine vierköpfige Jury darüber entscheiden, welches von drei geschenkten Kunstwerken, dargeboten von einem Diplomaten, einem Ingenieur und einem Künstler, realisiert werden soll. Im Laufe der Anhörung der drei werden dann die Probleme deutlich, die solche Geschenke mit sich bringen, das Spektrum reicht von klammheimlicher Propaganda bis hin zu offensichtlichen Wirtschaftsinteressen der „Spender“. Ein spannender Film ist der slowenischen Künstlerin gelungen; dass sie allerdings in einer Künstler*innen-Liste mit 13 Positionen nur eine der lediglich zwei (!) weiblichen Künstler*innen ist, das irritiert dann schon, zumal die Liste von einer Chefkuratorin verantwortet wird.
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