Kunstbiennale Mardin in der Türkei: Exotisches Spektakel, wenig Kontext
Die Kunstbiennale in der 3.000 Jahre alten südostanatolischen Stadt Mardin hat ihre kritischen Anfänge hinter sich gelassen. Es ist die 6. Ausgabe.
Brennende Wälder, rot verfärbte Flüsse, Polareis an der Arktis, das durch Flammensäulen aufzubrechen beginnt. In Laurent Grassos Film „Artificialis“ verschwimmen die Grenzen zwischen der realen und der fiktiven Welt, zwischen zerstörter und imaginierter Landschaft. Wahrscheinlich könnte es keinen besseren Platz geben, um das berückend-bedrückende Szenario einer postanthropozänen Welt aufzurufen als die verwitterte Ruine des alten Kameldepots Develihan im 3.000 Jahre alten südostanatolischen Mardin. Der kommende Verfall wird hier gleichsam sinnfällig.
„Further away“ – für eine klitzekleine Biennale wie die von Mardin, in der die elegische, knapp halbstündige Arbeit des französischen Konzeptkünstlers zu sehen ist, mag deren Motto vermessen klingen. Kurator Ali Akay, Soziologieprofessor an der Istanbuler Kunstuniversität Mimar Sinan, geht es um nichts weniger als die Frage, welche Schritte nach vorne die Menschheit gehen kann, um die globalen Bedrohungen abzuwenden.
Wer auf die bröckelnde Terrasse des Develihan tritt und den Blick über die ockerfarbene Altstadt nach Süden schweifen lässt, wird in den Bann einer mythischen Landschaft gezogen. Davor, in der sattgrünen Tiefebene Mesopotamiens, begann das Abenteuer Menschheit. Lassen sich im Angesicht dieses Urgrundes Auswege aus den zivilisatorischen Dilemmata von heute finden?
Zu wenig Thema
Liebhaber der Kunst als besserer Politik werden in der 6. Ausgabe der von Döne Otyman, der Tochter des türkischen Künstlers Fikret Otyam, 2010 zum ersten Mal veranstalteten Biennale allerdings nicht recht fündig. Es sei denn, man betrachtet den weltweiten Saatgut-Tresor im norwegischen Spitzbergen, den Künstler Ali Kazma in seinem Film „Safe“ dokumentiert, als postanthropozäne Überlebenshoffnung.
„further away“: 6. Mardin Biennale, bis 10. Juni
Kurator Akay verlässt sich für das Experimentalformat Biennale zu sehr auf bekannte Namen wie den Schweizer Konzeptkünstler Ugo Rondinone oder den türkisch-armenischen Altmeister Sarkis. Für eine Biennale in Sichtweite der syrischen Grenze, mitten im kurdischen Teil der Türkei, mutet es aber seltsam an, dass sie aktuelle Konflikte wie den Krieg in Gaza oder die ewig schwelende „kurdische Frage“ nicht einmal am Rande thematisiert.
Nur in Nasan Turs „Shades of Mardin“, einem gelben Teppich, auf den der Berliner Künstler mythologische Symbole der Region wie Narben eingebrannt hat, scheint etwas von den Verheerungen auf, denen der Südosten der Türkei seit Jahrzehnten ausgesetzt ist.
Nur in Türkisch und Englisch
Unmut erregte in diesem Jahr, dass die Organisatoren in dem multikulturellen Mardin die Biennale nur in Türkisch und Englisch kommunizierten und nicht auch auf Arabisch, Kurdisch oder Armenisch. Mit dieser Ignoranz gegenüber dem politischen und kulturellen Kontext bekam die Biennale etwas von einer kolonialen Geste ortsferner Weißtürken, für die der kurdische Künstler-Star Halil Altındere das passende Bild gefunden hatte: In einer Sonderausstellung im Sakıp-Sabancı-Museum der Stadt lässt er in seiner neuen Video-Arbeit „Star Wars in Mardin“ Darth Vader und Luke Skywalker durch die Historienkulisse fliegen.
Die Biennale in Mardin ist seit ihrem Beginn vor 14 Jahren ein markantes Beispiel zivilgesellschaftlicher Selbstbehauptung an der türkischen Peripherie gegen einen Staat, der das kritische Potenzial der Kunst mit äußerstem Misstrauen beäugt. Ihre jetzige Entwicklung steht exemplarisch für viele, aus kritischen Anfängen geborene Biennalen. Irgendwann überdecken Tourismus und der Mythos des Ortes alles. Unter dem Slogan „die Magie Mardins“ mutiert die Biennale zu einem exotischen Spektakel in einem Gebiet des permanenten Ausnahmezustands. Auch die romantische Ruine des Develihan soll demnächst in ein Boutique-Hotel verwandelt werden.
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