: Kunst in klammen Mauern
Als aus Nöten noch Tugenden erwuchsen: Weil in Peter Hagenahs Bremer Tiefbunker die Leinwände schimmelten, spezialisierte sich der Galerist vor fünfzig Jahren auf den Verkauf von Künstlerkeramik. Zum Jubiläum hat er in der Bremer Böttcherstraße eine Ausstellung organisiert
von REINHARD KRAUSE
Puh, ist der Mann nett. Einen freundlicheren Gesprächspartner kann man sich gar nicht vorstellen. Und doch, bei aller Bescheidenheit, seinen fabelhaften Ruf kennt Peter Hagenah genau. „Ach, wissen Sie“, sagt der 73-Jährige irgendwann, und es klingt nicht die Spur prahlerisch, „auf meinem Gebiet war ich wirklich so etwas wie ein kleiner König. Ich konnte in Europa anfragen, wo ich wollte. Alle haben sie gerne bei mir ausgestellt.“
Sie, das sind die großen Keramiker des zwanzigsten Jahrhunderts: der Großmeister der deutschen Keramikkunst Jan Bontjes van Beek, der Schwede Stig Lindberg, der Schweizer Mario Mascarin oder Nathalie Krebs von der dänischen Werkstatt Saxbo. International gerühmte Studiokeramiker, die nicht zuletzt durch Peter Hagenah und seine merkwürdige unterirdische Galerie, die „Kunst-Krypta“, auch im zerbombten Nachkriegsdeutschland allmählich ein Publikum fanden.
Heute, fünfzig Jahre nach der ersten Keramikausstellung in Hagenahs längst geschlossener und planierter Galerie, wird in Bremen der Anfänge gedacht. In der Böttcherstraße hat Hagenah eine Ausstellung mit Arbeiten von sechs „Keramikern der ersten Stunde“ ausgerichtet – ein Rückblick auf fünfzig Jahre eines Kunsthandwerks, das heute vielleicht noch mehr als damals um Anerkennung ringt.
Seinen Anfang nahm alles im Frühjahr 1949 – mit einer Verkettung glücklicher und weniger glücklicher Umstände. Eigentlich nämlich wollte der damals 21-jährige Hagenah mit Kunst aus dem nahen Worpswede handeln. Im kriegszerstörten Bremen geeignete Räume zu finden war jedoch schwierig. Eine preisgünstige Lösung – „Fünfzehn Mark achtzig im Monat!“ – fand sich schließlich in den Wallanlagen, versteckt hinter Rhododendronbüschen: im alten Tiefbunker der Theaterruine. Eigentlich nur ein Provisorium. Und zwar eins mit Tücken: Kaum waren die ersten Kunstwerke in den dunklen Räumen aufgehängt, wurden die Exponate auch schon spakig. Was tun? Der Zufall sollte die Weichen stellen. Oder die Fügung?
Eines Tages nämlich – man schreibt Juni 1949 – betrat ein ungewöhnlicher Mann mit zwei Koffern Hagenahs unterirdische Gänge: Hans Berber-Credner, ein ehemaliger Marinekapitän, der sich nach Kriegsende am Chiemsee niedergelassen und beschlossen hatte, Keramiker zu werden. Und nun präsentierte er dem Galeristen eine Auswahl seiner Erzeugnisse: einfache, solide Gefäße mit interessanten Reduktionsglasuren, eine Technik, von der Peter Hagenah bis dato noch nie gehört hatte.
Dann öffnete der Töpferkapitän den zweiten Koffer. Der Inhalt: Gefäße aus der Werkstatt Hohlt in Katzbach am Inn. „Ich war wie vom Schlag getroffen. Ich sah hochgebranntes Steinzeug von einer solchen Qualität und mit solch aufregenden, farbintensiven Glasuren, dass ich plötzlich wusste: Das ist es. Das war mein Weg: der Verkauf von künstlerischer Keramik.“ Hohe Luftfeuchtigkeit? Kein Problem mehr.
Eine gute Dekade später sollten die Keramiken des 1960 jung verstorbenen Albrecht Hohlt zu den unbestrittenen Glanzleistungen der deutschen Studiokeramik zählen. Niemand sonst in Deutschland drehte dünnere Schalen aus Steinzeug oder Porzellan, und niemand – außer vielleicht Bontjes van Beek – erzielte durch serielles Experimentieren intensivere Glasureffekte: vom berühmten Ochsenblutrot bis zu einem leuchtenden Veilchenblau. Peter Hagenahs Karriere als Galerist für Künstlerkeramik begann gleich mit Spitzenware.
Die wichtigste Voraussetzung dafür, dass der junge Bremer an seinem wahrlich ungünstigen Standort reüssierte, war vermutlich seine durch nichts und niemand zu erschütternde Begeisterungsfähigkeit: Sein unternehmerischer Elan riss Mauern ein. Wörtlich. Die dunklen Bunkergänge waren zu eng und unattraktiv? Dann stemmte er die Wände eben auf und schuf Nischen und Durchgänge. Bei dieser Schilderung fällt ihm gleich ein anderes hübsches Detail ein: „Ich fing mit so einem winzigen Hämmerchen an, wissen Sie, aus einem Laubsägeset ... Nach elf Stunden Klopfen hatte ich nichts weiter geschafft als eine Delle.“
Den krönenden Abschluss dieser Verschönerungsbemühungen entwarf der Architekt Julius Jäckel als Ersatz für den unattraktiven Kellerzugang im Jahr 1951: ein sehr zeitgemäßes, kühn geschwungenes Entrée mit einem Himmel aus Zement und hunderten Glasbausteinen. Von so viel Modernität allerdings wollte die Bremer Baubehörde überhaupt nichts wissen und untersagte den Umbau. Hagenah, zunächst noch ganz unbekümmert, baute trotzdem und lebte jahrelang mit behördlichen Abrissdrohungen.
Die wenigen erhaltenen Fotos der Kunst-Krypta zeigen einen heute sicher denkmalswürdigen Treppenabgang und eine Folge weiß getünchter, geradezu mediterran wirkender Ausstellungsräume. Eine perfekte Kulisse für die sanftkurvigen „organischen“ Formtendenzen in der Keramik jener Jahre. Und tatsächlich entwickelte sich die stimmungsvolle Katakombe in den Fünfzigerjahren weit über Bremen hinaus zu einer Institution der Geschmacksbildung. Kunden wurden zu Kennern und Sammlern, und selbst Museen gehörten schließlich zum Kundenstamm. Kaum ein deutscher Keramiker von Rang, der damals nicht in der Kunst-Krypta ausstellte.
„Ich bin ja wirklich ein großartiger Kaufmann gewesen“, sagt Hagenah und lächelt schon wieder etwas gequält. „Stellen Sie sich die Szene mit Hans Berber-Credner vor: Ich packe eine dieser wunderschönen Hohlt-Schalen aus. Die sollten sechs Mark im Einkauf kosten. Ich rechne: fünfzig Prozent – neun Mark sollst du dafür nehmen! Die verkaufst du nie! Aber das macht nichts. Die sind so schön, dann behältst du sie eben selbst.“ Doch die Bremer kauften. Qualität, erkannte Hagenah damals, setzt sich durch – selbst in schwerer Zeit. Immerhin gab es 1950 Naheliegenderes, als Schalen, Vasen und Krüge zu kaufen, die zum Benutzen fast zu schade waren.
Auf Dauer allerdings ließ sich allein von der Keramik keine Familie ernähren. 1962 sah sich Hagenah deshalb gezwungen, die Kunst-Krypta zu schließen. Vielleicht ein paar Jahre zu früh. Denn fünf Jahre später wurde er Zeuge, wie auf der Nachlassversteigerung des Keramikers Richard Bampi erstmals für herausragende deutsche Keramikunikate Preise erzielt wurden, wie sie in anderen europäischen Ländern längst üblich waren – und die ungefähr den Galeriepreisen für Druckgrafik entsprachen.
Hagenah, der sich nach wenig befriedigenden Versuchen als Techniker („Können Sie sich das vorstellen?“) Ende der Sechzigerjahre zum Arbeits-und Berufsberater umschulen ließ, hat nie wieder eine eigene Galerie eröffnet. Privat allerdings fand seine Leidenschaft für die Keramik neue, reiche Betätigungsfelder. Von 1967 bis 1983 organisierte er jährlich zwei Ausstellungen im Haus des Mediziners Fritz Vehring in Syke bei Bremen. Und seit 1975 lädt er regelmäßig hochrangige Keramikkünstler ins Rathaus seiner neuen Heimatstadt Otterndorf an der Elbmündung ein. Dem Ruf des „kleinen Königs“ folgen die Koryphäen des Metiers auch heute noch gern. Ob es sich nun um Altmeister der Gefäßkeramik handelt wie Görge Hohlt und Elisabeth Pluquet-Ulrich, deren Arbeiten in der Bremer Jubiläumsschau zu sehen (und zu kaufen) sind, oder um Keramiker, die sich freieren Formen verschrieben haben.
Die größte Treue hat Hagenah über all die Jahre dem auf der Töpferscheibe gedrehten Gefäß erwiesen – allen Moden und zeitgeistlichen Wirrungen zum Trotz („Dinge, die man auch aus Pappe oder Metall machen kann, muss man nicht unbedingt aus Ton herstellen“). Deshalb freut es ihn besonders, in den letzten Jahren Anzeichen einer Gefäßrenaissance wahrnehmen zu können. Zumindest bei den Nachwuchskeramikern, die sich wieder auf Gefäßkeramiker wie Görge Hohlt beziehen.
Bis sich diese neue Wertschätzung auch zu einem jüngeren Publikum herumgesprochen hat, wird es allerdings wohl noch dauern. Bei der gut besuchten Eröffnung der Bremer Ausstellung jedenfalls dominierte unangefochten weißes, schütteres Haar.
„50 Jahre Kunst-Krypta“, bis zum 12. September im Crusoe-Saal in der Bremer Böttcherstraße. Mo bis Fr 9.30 bis 18.30, Sa 9.30 bis 16 Uhr
Reinhard Krause, 39, ist Redakteur im taz.mag
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