Kunst-Triennale in Ruanda: Der Wirklichkeit voraus
Der Erinnerung an den Genozid kann man in Ruanda nicht entkommen. Doch auf der ersten Kigali Triennale feiert eine junge Künstlergeneration das Leben.
Hauptveranstaltungsort ist das Kigali Conference und Education Village. Es wurde im Zuge des staatlichen Masterplans, die Hauptstadt zu einem internationalen Konferenzstandort zu entwickeln, von namentlich nirgendwo erwähnten Architekten in einer Mischung aus modernen und traditionellen Elementen erbaut. An Bambuskonstruktionen befestigte Stoffbahnen überdecken die Gänge zwischen den Hallen und schützen vor dem Tropenregen.
Die Erinnerung an den Genozid vor 30 Jahren, bei dem während nur 100 Tagen mehr als eine Million Menschen getötet wurden und mindestens noch einmal so viele flohen, ist auch hier präsent. Gleich neben dem Gebäudekomplex befindet sich das Mahnmal für die zehn zu Beginn des Genozids getöteten belgischen Blauhelmsoldaten. Sie waren Teil einer erschreckend schlecht ausgestatteten Friedensmission.
Teil der ruandischen DNA
Der Erinnerung an den Genozid wird man in Ruanda kaum entkommen. „Das ist Teil unserer DNA“, betont Mucyo, ein bildender Künstler und Co-Kurator der Triennale-Ausstellung gegenüber taz. Von Mucyo sind sehr große Textilarbeiten zu sehen. Mittels Chemikalien – die genauen Rezepturen behält er für sich – ätzt er Strukturen, menschliche Porträts und Landschaften in die Stoffe.
„Three Brothers“ und „She Dances with the Wind“ heißen etwa Werke von ihm, und sie zeigen starke, fast mythisch wirkende Männer- und Frauengestalten, die sich mal schemenhaft, mal stärker konturiert aus dem dunklen Textil herausschälen. Seine Arbeiten entstehen oft in Workshops mit marginalisierten Gemeinschaften, teils hier in Ruanda, teils aber auch bei indigenen Communitys in Kolumbien, die unter Armee und Narcos zu leiden haben.
Das Leid vieler Orte der Welt findet sich also auch auf dieser ersten Triennale in Ruanda wieder, dem Land, das dem Label „Land des Genozids von 1994“ kaum entrinnen kann.
„Es ist kein Zufall, dass unsere erste Triennale erst jetzt, 30 Jahre nach dem Genozid, stattfinden kann. Vorher gab es andere Prioritäten“, erzählt Dorcy Rugamba, Spiritus Rector der Triennale, der taz. „Natürlich sind Kunst und Kultur immer wichtig. Aber wir mussten zuerst das Land wiederaufbauen, Schulen schaffen, eine ganze Infrastruktur bauen. Kunst braucht ein Ökosystem. Und jetzt haben wir eine Generation von Künstlern, die nach dem Genozid geboren ist, mit ihren Fragen und Vorstellungen. Ihr wollen wir vor allem Raum geben“, sagt Rugamba, selbst ein Künstler der ersten Stunde nach dem Genozid. Er inszenierte unter anderem Peter Weiss’ Dokumentartheaterstück „Die Ermittlung“ und reflektierte damit die juristische Aufarbeitung des Genozids in Ruanda.
Mode und gastronomische Experimente
Bei der Triennale favorisiert er einen erweiterten Kunstbegriff. Neben Leinwänden, Fotografien, Theaterproduktionen und Performances gab es ein Filmprogramm mit Arbeiten jüngerer Regisseure, zwei Modenschauen – eine für Alltagskleidung und eine für Haute Couture – und ein Galadiner für gastronomische Experimente.
„Unser Thema sind die Verbindungen zwischen Kunst, Wissen und Ökonomie. Kunstwerke können auch den Blick darauf öffnen, was jenseits der Universitäten existiert. Wir wollten auch traditionelles Wissen integrieren. Dazu gehört das Wissen um alte Kulturpflanzen, von denen die Menschen, die hier im urbanen Raum leben, schon nicht mehr wissen, wie sie sie zubereiten sollen“, erklärt er und verweist auf klassische Gemüsepflanzen wie Spinnenblume, Pfeilwurz oder Hirse. Dieser Rückgriff auf rurale Traditionen wird von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO begleitet.
Die Kunstausstellung wurde in der benachbarten Schule für Architektur eingerichtet. Auch hier sind die Räumlichkeiten speziell. Der Boden steigt steil an und ist dabei in unterschiedliche Winkel gebrochen. Das wirkt wie ein Miniaturabbild der Topografie Ruandas, dem, wie es in jedem Tourismusführer und jeder Werbebroschüre heißt: Land der tausend Hügel.
Auskünfte auf die ausführenden Architekten vermochte auch hier niemand zu geben. Das Land scheint von einer Scheu geprägt, Persönlichkeiten hervorzuheben, ganz so, als habe man Angst, dass dann weniger Licht auf den seit 24 Jahren regierenden und standesgemäß mit mehr als 90 Prozent Wählerstimmen dreimal im Amt bestätigten Präsidenten fallen würde.
Extraterrestrische Wunderwelt
Die ausgestellte Kunst selbst ist auffällig optimistisch. Manzi Jackson etwa schickt mit der zwischen Surrealismus und Technikfaszination changierenden Bildserie „Take Me to Space“ afrikanische Astronautinnen in eine extraterrestrische Wunderwelt mit üppiger Fauna. Ein großformatiges Foto von Gilles Dusabe fängt eine Frau im roten Kleid ein, die waagerecht über der Erde zu schweben scheint. Und auch die Fotoarbeit „Kigali on the Horizon“ von Abdul Mujyambere enthält eine der Zukunft zugewandte Note. Männer und Frauen stehen in einer Reihe hintereinander, sind durch ein Seil verbunden und bewegen sich vom Ufer eines Sees zu dessen Mitte hin. Alle drei Künstler kommen aus Kigali, Gilles Dusabe lebt zeitweise auch in Genf.
„Wir wollten vor allem jungen Künstler*innen aus Ruanda die Gelegenheit geben, sich zu zeigen. Es gibt so viel Talent hier. Aber es mangelt noch immer an Gelegenheiten, die Arbeiten zu präsentieren“, erläutert Co-Kurator Mucyo die Einladungskriterien.
Ganz so eingeschränkt, wie er es darstellt, sind die Präsentationsmöglichkeiten allerdings nicht. Die Hauptstadt Kigali verfügt über ein Netz unabhängiger Ausstellungsorte. Das Niyo Arts Center etwa wird kollektiv von 17 Künstler*innen betrieben, die teils auf dem Gelände arbeiten, die aber vor allem ihre Werke über das Center an die in den letzten Jahren wachsende Mittelschicht verkaufen. Parallel zur Triennale präsentierte hier Kuratorin Kakizi Jemima die Gruppenausstellung „Side by Side“ mit Arbeiten von acht Künstlerinnen aus Ruanda, Kenia, Burundi, Tansania, Äthiopien und Uganda.
Gentrifizierung in Kigali
Im Künstlerviertel Kimihurura wiederum betreibt Yacubu in einer ehemaligen Industrieanlage das Kigali Center for Photography. Miete und Ausstellungsbetrieb finanziert er durch Fotoaufträge für die New York Times und andere westliche Medien, erzählt er der taz. „Mich und auch viele meiner Fotografenkollegen treibt aber der Impuls an, das Land zu zeigen, wie es ist, den Alltag einzufangen.“ Yacubu fotografierte etwa in den ländlich anmutenden Vierteln von Kigali, die der Modernisierungswelle weichen müssen. „Gentrifizierung gibt es auch bei uns“, bestätigt der Fotograf bitter.
Die Familien, die ihre simplen, aus Lehm und Wellblech gebauten Häuser verlieren, werden in staatliche Neubauprojekte umgesiedelt. „Je nach Wert ihres alten Hauses bekommen sie dann Mietrecht in den neuen Häusern. Sie wollen aber oft nicht dorthin und verlieren den kollektiven Zusammenhalt, den sie am alten Ort hatten“, erläutert Yacubu. Größere Proteste dagegen gebe es allerdings nicht. „Viele nehmen das hin, auch, weil sie denken, dass es der jungen Generation besser gehen soll, für die die neuen Häuser an dieser Stelle gebaut werden“, erzählt er. Das ist ein besonderer, nicht ausgesprochener, aber dennoch wirkmächtiger Generationenvertrag in Ruanda.
Auf der anteilig vom Ministerium für Jugend und Kultur sowie der Stadt Kigali finanzierten Triennale ist Yacubu auch vertreten, mit dem Porträt eines Mannes, der mit einer mobilen Personenwaage seinen Lebensunterhalt verdient. Auch das ist Teil von Ruanda, allerdings nicht Teil des glitzernden Zentrums mit seinen hauptstädtischen Glaspalästen, sondern eher der traditionellen Viertel auf den anderen Hügeln Kigalis.
Die Rwanda Arts Initiative (RAI) ist in der Hauptstadt die Keimzelle der Kunst. Sie wurde 2012 gegründet und ist auch Veranstalter und Motor der Kigali Triennale. „Es ist eine Triennale von unten, eine Grass-Roots-Initiative“, bestätigt Dorcy Rugamba, der auch RAI mitinitiierte.
Er sieht die ruandische Gesellschaft an der Schwelle eines neuen Aufbruchs. Sie vergisst den Genozid nicht. Aber sie stellt sich neue Fragen, Fragen zur eigenen Identität, Fragen auch danach, welch brodelndes kulturelles Leben die Hauptstadt Kigali etwa in den Jahren vor dem Genozid bot – und was sich daraus auch für die Zukunft ableiten lässt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels