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Kunst, Klasse, GeschlechtFast wie bei Michelangelo

Selma Selman bearbeitet im Berliner Gropius Bau zerlegten Schrott. So stellt die Künstlerin aus Bosnien-Herzegowina Fragen nach Klasse und Geschlecht.

Selma Selman mit Familien­mitgliedern, 2021, „Platinum“-Performance in der Nationalgalerie Bosnia und Herzegovina, Sarajevo Foto: Damir Šagolj

Was ist das eigentlich für ein Begriff? Motherboard. Mutterbrett. Die Hauptplatine eines Computers oder Servers wird so bezeichnet, das Teil, in dem alles zusammenläuft, ohne das gar nichts geht. Das erste Motherboard bei IBM soll nach der Ingenieurin Patty McHugh benannt worden sein, der einzigen Frau im Entwicklerteam, der Mother of the Motherboard. Wie McHugh das damals fand, steht nicht auf Wikipedia.

„Motherboards“ so heißt auch eine fortlaufende Performance-Serie der bosnischen Künstlerin Selma Selman, in der solche Platinen die Hauptrolle spielen. Sie dienen als Ausgangsmaterial, werden von Selman, ihrem Vater und weiteren Familienmitgliedern mit Bohrern bearbeitet und mit Äxten zertrümmert.

Die Ausstellung

Selma Selman: „her0“. Noch bis zum 14. Januar im Gropius Bau, Berlin

Nicht aus purer Zerstörungslust jedoch, sondern um sie weiterzuverwerten, um an das bisschen Gold zu kommen, das sich in ihrem Inneren verbirgt. Selman, geboren 1991 in Bihać, kommt aus einer Rom*nja-Familie, die ihren Lebensunterhalt damit bestreitet, aus dem, was andere wegschmeißen, Dinge von Wert herauszuholen.

Um Mütter oder um Selmans Mutter geht es bei „Motherboards“ aber auch irgendwie und um weibliche Selbstbestimmung. Mit dem Gold aus einer ihrer Performances hat die Künstlerin schon einmal Ohrringe für ihre Mutter hergestellt. Als Symbol für deren Stärke. Ihre Mutter habe ihr beigebracht, ihre Macht läge darin, ein Portemonnaie zu besitzen, hat Selman kürzlich dem Kunstmagazin Frieze erklärt. Ihr eigenes Geld zu haben, sei es, was sie zu einer unabhängigen Frau machen würde.

Wertschöpfung und Wertschätzung, im Leben und der Kunst

Im Berliner Gropius Bau, wo aktuell eine Präsentation Selmans zu sehen ist, hängen keine Ohrringe, dafür ist ein Nagel in die Wand geschlagen, den man übersehen könnte. Auch er ist hergestellt aus Platinengold und befindet sich im selben Raum wie die Überreste der „Motherboards“-Performance, die zur Eröffnung stattfand.

Sie sind das Erste, was man sieht in der Ausstellung, ein Haufen Schrott, der aber ziemlich gut zusammenfasst, womit sich Selman in ihrer Kunst beschäftigt: mit Wertschöpfung und Wertschätzung, im Leben wie in der Kunst, mit Weiblichkeit, Stereotypen und Rassismen, mit Marginalisierung und Repräsentation. 2022 war Selman bei der Manifesta in Prish­tina und bei der documenta fifteen vertreten. Im Hamburger Bahnhof wird seit dem Sommer Selmans Kunst in der Sammlung gezeigt.

Auch Malerei umfasst diese. Selman malt allerdings nicht brav auf Leinwand, sondern – da setzt sich das Spiel mit den Wertigkeiten fort – auf Altmetall jedweder Art: Autoteile, Rohre, Badewannen, Gehäuse von Geräten. Oft malt sie sich selbst, Frauenkörper, Körperteile.

An einer der Wände im Gropius Bau hängen zwei gemalte Arme nebeneinander, fast wie bei Michelangelos „Erschaffung Adams“, aber sie weisen nicht zueinander, sondern voneinander weg. Nur eine einzige Arbeit auf Leinwand ist in der Ausstellung im Gropius Bau zu sehen. Großformatig, bräunliche Spuren auf weißem Grund. Eine abstrakte Malerei? Nein, „Dirt 0“ ist einfach Schmutz auf Leinwand. Selman hat den Dreck verewigt, der sich auf der Ladefläche des Lieferwagens ihres Vaters befindet.

Einen Raum weiter stellt sich einem eine riesige Satellitenschüssel in den Weg, auf die Selman einen Satz gepinselt hat: „God Make Me the Most Famous So I Can Escape This Place“.

Welchem Ort sie da entfliehen möchte, löst sie nicht auf. Eindeutig ist ohnehin nichts. Schon der Ausstellungstitel „her0“ ist ein Wort­amalgam aus dem weiblichen Pronomen her, dem englischen Wort für Held und der Ziffer Null. Man kann beides darin zugleich lesen, Hero und Zero.

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