Kunst-Austausch: Im geschichtsschweren Haus
Drei junge Israelis wohnen für je drei Monate im sanierten ehemaligen Totenhaus des jüdischen Krankenhauses in Hannover, um dort künstlerisch zu arbeiten. Was dabei so alles herausgekommen ist, zeigt derzeit eine Ausstellung
HANNOVER taz | Für Liat Livni gibt es zwei Vorstellungen von Deutschland, die so gar nicht zusammenpassen wollen. Da ist einmal das ferne Märchenland der Gebrüder Grimm. Und dann ist da dieses Land mit dieser grausigen Geschichte.
Schwer fühlte sich daher die israelische Künstlerin, ein wenig verloren, als sie im kalten Frühjahr vergangenen Jahres in einem kleinen Häuschen in Hannover ihr Quartier bezog: Ein geschichtsträchtiges Häuschen ist es, in dem sie da für die nächsten 90 Tage, von April bis Juni wohnen und künstlerisch tätig sein würde. Es ist das Totenhaus des ehemaligen jüdischen Krankenhauses, das 1901 eröffnet wurde und lange Zeit allen Bürgern der Stadt zugänglich war. Erst ab 1938 durfte es nur noch jüdische Bürger behandeln, wurde 1941 zum „Judenhaus“ – eine Sammelstelle für jüdische Bürger in Hannover. 1942 fand von dort die letzte Deportation nach Theresienstadt statt.
Seit einigen Jahren gehört das Haus den Hannoveranern Jörg und Susanne Maaß, die es in seiner historischen Form rekonstruiert, saniert und bewohnbar gemacht haben. Die Geschichte des Hauses war für sie der Anlass, einen Ort der Begegnung und des künstlerischen Austausches zu schaffen: Jedes Jahr sollen drei israelische Künstler je drei Monate lang darin wohnen. „i.d.a. – intercultural dialogues in art“ heißt das Projekt, an dem auch noch die gemeinnützige Unternehmergesellschaft Schir beteiligt ist, die Austauschprojekte zwischen Kulturschaffenden aus Deutschland und Israel realisiert. In der Städtischen Galerie sind derzeit die Arbeiten zu sehen, die vergangenes Jahr im Zuge des Projekts entstanden.
Unmöglich sei es, die Geschichte des Totenhauses zu vergessen, erzählt Liat Livni. Umso mehr habe es sie überrascht, wie gemütlich es ist, wie ruhig und fest sie während ihrer Zeit darin schlafen konnte. Anfangs fiel es ihr schwer, sich in der Stadt zu orientieren, auf einem Spaziergang durch den Stadtwald befiel sie einmal ein unheimliches Gefühl. Sie entdeckte den Leibnizkeks als Werkstoff, schuf aus dem Hannoveraner Gebäck eine Reihe graziler Miniaturen, in denen diese Themen wieder auftauchen.
Für eine Arbeit streute Livni die Worte „Erinnern und nicht vergessen“ auf Hebräisch mit Kekskrümeln aus. Eine Reminiszenz an Hänsel und Gretel, aber auch den Hunger, dem Juden ausgesetzt waren, die sich in den Wäldern versteckten. Einem kleinen Teelöffel, den sie geschenkt bekommen hat, fügte sie eine Rauchwolke aus Keksen bei: wie der Rauch aus einem Schornstein – dem einer Fabrik oder dem eines Krematoriums. Auf die Frage, was sie in Hannover am meisten überrascht hat, sagt Liat Livni, es seien ihre dort entstandenen Arbeiten und deren neue Mischung aus Humor und Ernst.
Im Sommer folgte auf Liat Livni der Videokünstler Roy Menachem Markovich, der sich in der Stadt sehr wohl fühlte und gern noch länger geblieben wäre. Er schwärmt von einem Netz von Freunden und Anteil nehmenden Menschen. So konnte er an Ausstellungen teilnehmen, eine Videokompilation kuratieren und einen Workshop mit Schülern durchführen. Er machte Bekanntschaft mit der alternativen Kunstszene und sagt selbst, er sei wirklich in die Stadt eingetaucht und habe sie auf vielen Ebenen kennengelernt.
In seinem Kurzfilm „Histotour“ verdreht Markovich die erzählte Geschichte der Stadt durch faschistische Symbole und architektonische Filter. Er sucht mit seiner Kamera verschiedene Orte auf, aus dem Off versorgt er den Zuschauer mit vermeintlichen Details und Informationen. Im amateurhaften Videoformat der Handkamera werden ausgedachte Geschichten lebendig. macht er einen Bunker zu einem Wasserturm, eine Kongresshalle zu einem 360-Grad-Panoramakino und ein Parkhaus zu einem Grand Hotel. Eine zweite Ebene erhält der Film durch den hebräischen Kommentar und die englischen Untertitel: Die Sprache und die zweideutige Übersetzung geben ironische Hinweise auf Vorurteile und Missverständnisse.
Dana Yoeli schließlich lebte von Oktober bis Dezember mit ihrem Lebenspartner und ihrem Baby in dem Totenhaus. Sie recherchierte und sammelte Material für ein multidisziplinäres Kunstprojekt, das nächstes Jahr in Israel und Deutschland ausgestellt werden soll. Ihren Aufenthalt in dem Haus empfand sie als seltsam, ihre dort produzierten Arbeiten sind sehr persönlich – und setzen zugleich ihre Auseinandersetzung mit den Techniken und der Politik von Erinnerung fort. Einerseits habe es die Geschichte des Hauses gegeben und Gefühle, die von dem Ort ausgingen, aber nicht wirklich ihre eigenen Gefühle gewesen seien, erzählt Yoeli. Andererseits hätten ihre tatsächlichen Erfahrungen in einer lebendigen, atmenden Stadt parallel zur Geschichte existiert.
Eine Situation, die sie als sehr inspirierend empfand: Sie fotografierte künstliche Oberflächen aus der Umgebung des Hauses, die natürliche Materialien imitieren. Mit Taschenlampen, Kerzen und Spiegeln inszenierte sie ihre Fotografien zu dreidimensionalen Installationen. Entstanden sind dabei sechs Drucke, auf denen Schattenspiele eine sakrale Strenge erzeugen. Sie verweisen auf die Leerstellen, Brüche und Überdeckungen in der deutschen Geschichte, wie sie sich auch innerhalb der Architektur manifestieren.
Ausstellung „Dialog“: noch bis 9. Februar, Städtische Galerie Kubus, Theodor-Lessing-Platz, Hannover
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