Kunst-Ausstellung über die Zukunft: Das verbleibende Leben
Kommt die Zukunft noch oder war sie schon? Die Kunsthalle Kiel lädt in der leichtfüßigen Schau „Playing Future“ zum Fantasieren ein.
„Der Künstler hat seine eigene, ihm verbleibende Lebenszeit berechnet und in ein kleines Schatzkästlein gesteckt“, sagt Kunsthallen-Leiterin Anette Hüsch, die zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen Natascha Driever, Dörte Zbikowski und Veronika Deinzel die Ausstellung kuratiert hat.
Wie Nasan Tur seine noch kommende und dann endende Lebenszeit berechnet hat? Er hat die üblichen Faktoren berücksichtigt und in eine Formel gepackt, so wie es Versicherungen machen, will man etwa eine Lebensversicherung abschließen: aktuelles Alter und statistische Lebenserwartung, Körpergewicht, bekannte Vorerkrankungen, dazu vererbte Risikofaktoren; vielleicht auch Familienstand und Arbeitssituation und bestimmt Nikotin und Alkoholkonsum - also all das, was im Guten wie im Schlechten zum Leben dazugehört und es ausmacht.
Und es ist ihm ganz ernst damit, läuft seine güldene Lebensuhr doch unverdrossen auch dann weiter, wenn die Ausstellung schließt (am 13. September wird das sein) und anschließend das Objekt ins Atelier des Künstlers oder vielleicht auch aufgekauft ins Depot einer Sammlung wandert. „Doch was passiert, wenn diese Uhr auf Null steht?“, fragt Natascha Driever.
Und während wir da stehen, überlegen, fachsimpeln, ich selbst anlässlich meiner kommender Geburtstagsmarkierung kurz (nur kurz) daran denke, wie viel Zeit mir noch bleiben könnte (theoretisch), läuft Nasan Turs Uhr unbeirrt weiter, wandelt sich die letzte Zahlenstelle: vier, drei, zwei,eins, null, neun. Wo soll das am Ende enden?
Die Jahre, die uns bleiben
Anette Hüsch gibt denn auch zu: „Ich habe noch nicht ausgerechnet, wie viele Lebensjahre da eigentlich enthalten sind.“ Was wiederum sehr verständlich und sehr angemessen ist, denn auch wenn wir alle uns alle Mühe geben, jedem magischen Denken zu entsagen: Wer weiß denn, was passiert, wenn man die Zeit, die sich ein anderer noch zum Leben gibt, tatsächlich laut und deutlich ausspricht?
Milder geht es im Nachbar-Raum zu, den die marokkanisch-französische Künstlerin Yto Barrada mit ihrer Arbeit „Lyautey Unit Blocks“ aus vergrößerten Bauklötzen bespielt: eine Hommage an den französischen Militärgouverneur von Marokko Hubert Lyautey (von 1912 bis 1925), der es trotz seiner Kolonialfunktion verstanden hat, zwischen Tradition und Moderne zu vermitteln, als er eben nicht die Altstadt von Marrakesch abreißen ließ, weil neuer Wohnraum für künftige Bewohner geschaffen werden sollte.
Stattdessen ließ er die neuen Viertel um den Altstadtkern herum erbauen, was ein Vorbild sein könnte, wie Zukunft und Vergangenheit kooperieren können.
Sehr beeindruckend ist auch die raumgreifende Installation „Future Fossil Spaces“ des Schweizer Künstlers Julian Charrière. Er hat sich nach Bolivien begeben, wo sich im Gebiet riesiger Salzseen die nach heutigem Stand weltweit größten Vorkommen an Lithium befinden - dem Baustoff unserer Zukunft. Bisher hat Bolivien ausländische Investoren aus dem Land halten können.
Doch wird das Land es weiterhin schaffen, mit diesem Zukunftsschatz vernünftig umzugehen, um besser als andere für die Zukunft gewappnet zu sein? „Es ist wie ein Blick aus der Zukunft auf ein Abbaugebiet, wie es einmal sein wird, also fast retro-futuristisch“, kommentiert Natascha Driever Charrières nostalgisch anmutende Anlage aus zu Säulen aufgetürmten Salzquadern und Wasserbecken.
Einer latscht übers Werk
Dieses Wechselspiel aus vorausgreifenden Fragen und gegenwärtigen Zukunftsvisionen prägt überhaupt die Ausstellung, wobei angenehmerweise immer wieder auch ein sanfter Humor durchblitzt. Besonders bei Gregor Wosiks Bodenarbeit, kurz vor dem Kassenbereich, wo in Gestalt klassischer Pflastermalerei eine Astronautin aus dem Boden heraus über eine Treppe in unsere hiesige Wirklichkeit hinaufzusteigen scheint.
Und es macht Spaß, sich dort an den Rand zu stellen und zu schauen, wie die eintreffenden Besucher das Kunstwerk wahrnehmen: die einen blicken ehrfürchtig auf Wosiks spaßige 1970er-Jahre-mäßige Science-Fiction-Zukunftsvision und versuchen, die optisch richtige Position einzunehmen, um sein Perspektivenspiel nachzuverfolgen; die anderen latschen einfach querbeet drüber und haben nichts gemerkt.
Auch oben, im ersten Stock des Hauses gibt es Sehenswertes zu sehen, das einlädt, sich dem Spiel mit der Zukunft zu öffnen, die in der Vorstellung, wie sie ausfallen könnte, schon gegenwärtig ist. Ganz wunderbar das kleine, verdunkelte Kabinett, das sich Max Sudhues und Tabor Robak teilen.
Sudhues hat einen Videobeamer auseinandergeschraubt und dessen nun vordergründig nutzlosen Teile auf die Projektionsfläche eines altertümlich wirkenden Overheadprojektors gelegt, um so ein an frühe Fotogramme erinnerndes Formenspiel buchstäblich an die Wand zu werfen.
Robak dagegen lädt dazu ein, auf einem Plasmabildschirm einer Reise durch computergenerierte Stadtlandschaften zu folgen. Und immer wieder wischt der Regen, der wie ein sanfter Sturzbach so plötzlich wie regelmäßig den Bildschirm überschwemmt, die Stadt, durch die man gerade fliegt, hinweg. Und bietet den Blick auf die nächste Stadtszenerie; und während man glaubt, echtes Wasser vor sich zu sehen, weiß man natürlich, dass dieser Wasserschwall ein durch und durch programmierter ist und am Ende nur aus einer besonderes gelungenen Kombination der Faktoren 0 und 1 besteht.
Rausschmeißer im besten Sinne ist die Arbeit „Are you really here“ von Jeppe Hein, die uns einen Spiegel auf Augenhöhe bietet, in dessen Mitte der Schriftzug „Are you really here“ prangt - ohne jedes Fragezeichen. Und ja, da stehe ich also, schaue mich an und bin mir meinerseits in diesem Moment ganz sicher, dass ich hier stehe und nirgendwo anders. Und das ist angesichts von Nasan Turs Lebensuhr, deren Sekunden und dann Minuten während meines Besuches selbstverständlich abgelaufen sind und auch jetzt, während Sie diesen Text lesen, fortlaufend ablaufen und nie, wirklich nie mehr zurückzuholen sind, ein sehr tröstlicher Gedanke.
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