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Kulturwissenschaftlerin über Pornografie„Wissen ist der beste Jugendschutz“

Wenn wir über Pornografie reden, tun wir das allzu oft allzu alarmistisch, sagt Madita Oeming. Sie plädiert für Ehrlichkeit und Entstigmatisierung.

Viel zu beforschen: Männer wollen im Jahr 1973 in ein Kino, das den Film „Deep Throat“ zeigt Foto: Arte/dpa
Alexander Diehl
Interview von Alexander Diehl

taz: Madita Oeming, was ist das häufigste Missverständnis, dem Sie als „Pornowissenschaftlerin“ begegnen?

Madita Oeming: Ich finde es auffällig, dass permanent das Genderstereotyp auf mich projiziert wird, dass Frauen angeblich keine Pornos gucken. Viele Menschen denken, dass ich meine persönliche Abneigung gegenüber diesen Inhalten überwinden müsse, um sie zu analysieren. Dabei schaue ich in Wirklichkeit natürlich auch privat Pornos. Ich denke, wäre ich ein Mann, würde mir vermutlich permanent unterstellt werden, dass ich das nur mache, um mich aufzugeilen, mein Hobby zum Beruf gemacht hätte. Ein anderes häufiges Missverständnis: dass ich von morgens bis abends Pornos gucken müsse, um meinen Beruf auszuüben. Das amüsiert mich. Eine Literaturwissenschaftlerin liest ja auch nicht den ganzen Tag Romane.

Wird Ihre Forschung denn grundsätzlich ernst genommen?

Von vielen werde ich belächelt. Pornos gelten als unterkomplex. Was soll man da analysieren? Dabei handelt es sich um ein so vielschichtiges Medium und eine mit etlichen Diskursen verwobene kulturelle Praxis.

Sie nennen in Ihrem Buch Zahlen. Demnach geben 96 Prozent der Männer und 79 Prozent der Frauen zwischen 18 und 75 Jahren an, schon mal Pornos gesehen zu haben. Wie sehr unterscheiden sich männlich und weiblich gelesene Menschen beim Konsum?

Es ist schon eine merklich gegenderte Mediennutzung. Bei Jugendlichen zeigt sich das besonders deutlich: Männliche Jugendliche kommen früher mit Pornos in Kontakt, nutzen sie häufiger und regelmäßiger. Bei Erwachsenen verläuft sich das mehr. Vor allen bei den jetzt 18- bis 30-Jährigen nähern sich die Zahlen zunehmend an im Vergleich zu den jetzt 50- bis 60-Jährigen. Das ist ein Prozess: Mehr und mehr Frauen schauen Pornos. Einschlägige Pornoplattformen sprechen von etwa 30 Prozent Frauenanteil in ihrem Publikum. Trotzdem bleibt das ein deutlicher Unterschied.

Woran liegt das?

Auf jeden Fall nicht „an der Natur des Mannes“ oder daran, dass Frauen „von Natur aus“ weniger Lust hätten, weniger visuell stimulierbar wären oder derlei. Die Unterschiede im Porno-Nutzungsverhalten werden häufig dazu genutzt, Geschlechter-Unterschiede nur wieder zu zementieren, zu biologisieren. Für mich ist eher die fehlende Sozialisation von Frauen als lustvolle Wesen zentral. Wir haben nicht gelernt, fernab von Reproduktion, Beziehungsarbeit oder Bedürfnisbefriedigung anderer Sex haben zu dürfen. Nicht mal mit uns selbst! Zudem haben viele Frauen verinnerlicht, dass Pornos frauenfeindlich seien. Das steht dann im scheinbaren Widerspruch mit ihrem feministischen Selbstverständnis.

Anna Peschke
Im Interview: Madita Oeming

*1986, hat eine Banklehre absolviert und Amerikanistik studiert. Als „unabhängige Pornowissenschaftlerin“ forscht, lehrt, referiert, diskutiert und publiziert sie aus kulturwissenschaftlicher Perspektive zum Thema.

Schon im Untertitel ist Ihr Buch „eine unverschämte Analyse“, sehr prominent widmen Sie es allen, „die sich noch schämen“. Welche Rolle spielt die Scham bei unserem Umgang mit Pornos?

Sie ist erst mal ein sehr großes Hindernis für einen Dialog. Menschen haben Angst, von anderen für ihre Pornogewohnheiten bewertet zu werden. Sie verurteilen sich auch oft selbst dafür, denken, mit ihnen stimme etwas nicht. Der fehlende Austausch verstärkt das nur. Die Scham und das Schweigen sind ein idealer Nährboden für Fehlannahmen und Ängste. Die gegenwärtige öffentliche Unterhaltung über Pornografie ist vornehmlich alarmistisch: Sie kreist um Pornosucht, verwahrloste Jugendliche, Frauenfeindlichkeit et cetera und lässt nur wenig Raum für die Potenziale von Pornos. Es geht immer schnell um Verbote, die für tatsächlich bestehende Probleme nicht produktiv sind. Ich sehe in der Scham und dem Stigma einen Dreh- und Angelpunkt.

Wofür?

Für fehlende sexuelle Bildung, für ein schlechtes Gewissen auf individueller Ebene, für fehlgeleitete Politik auf gesellschaftlicher Ebene. Allein die fehlende Bereitschaft, für Pornos zu bezahlen. Die hat ja auch mit Scham zu tun: Ich habe vielleicht Angst, dass mein_e Partner_in das irgendwie auf der Kreditkartenabrechnung entdeckt.

Welches sind denn heute die Probleme in der Porno-Industrie? Anders gefragt: Wie unterscheidet die sich, sagen wir: von der in den 1970er-Jahren?

Sie hat sich seither maßgeblich verändert. Vor allem durch das Internet und zuletzt auch noch mal pandemiebedingt. Plattformen wie „Onlyfans“ sind sehr erfolgreich geworden. Das klassische Studiosystem ist so gut wie tot. Das hat durchaus Menschen aus Abhängigkeitsverhältnissen gelöst. Eine Pornodarstellerin braucht nicht mehr zwingend einen Agenten, einen Produzenten, ein Studio, sondern kann ihre eigenen Inhalte produzieren und vertreiben. Da sind wir natürlich auch gefragt, unsere Konsummacht zu nutzen. Und uns nicht nur wahllos Raubkopien auf Pornhub reinzuziehen.

Das Buch

Madita Oeming: „Porno. Eine unverschämte Analyse“. Rowohlt Polaris 2023, 256 S., 20 Euro; E-Book 14,99 Euro

Termine: 6. 10., 18 Uhr, Bremen, Zentralbibliothek (Eintritt frei, Moderation: Katharina Mild)

21. 10., 13 Uhr, Berlin, Arena (Talk „Let's talk about Sex, Baby! Warum Lust viele Facetten hat und wie wir die leben“ mit Laura Gehlhaar im Rahmen des “Female Future Force Day“)

31. 10., 21 Uhr, Göttingen, Altes Rathaus (mit Fikri Anıl Altıntaş im Rahmen des Göttinger Literaturherbsts“

6. 11., 20 Uhr, Hannover, Conti-Foyer in der Leibniz Universität Hannover (mit Paulita Pappel, Porno-Entrepreneurin, Moderation: Mariel Reichard)

Stattdessen?

Mehr auf Bezahlplattformen bewegen, die wesentlich transparenter gestaltet sind. Um zu wissen: Wer hat diesen Film gemacht? Wer hat diesen Film hochgeladen? Wem schaue ich hier gerade beim Sex zu? So habe ich auch eine größere Sicherheit, dass das Ganze einvernehmlich passiert ist.

Also so was wie eine Fairtrade-Logik: Ich muss Geld in die Hand nehmen, wenn ich ethisch korrektere Ware will.

Richtig. Es ist doch eine bigotte Haltung, wenn Leute sagen: Nee, also diese ­Industrie ist total problematisch, die ganze Gewalt und so … Aber für die Produkte ­bezahlen? Nö.

Gibt es heute aussichtsreiche oder – je nach Perspektive – gefährliche Bestrebungen, den vermeintlichen Schmuddelkram einfach zu verbieten?

Durchaus! Die Landesmedienanstalten und die Kommission für Jugendmedienschutz sind derzeit stark auf dem Vormarsch. Vergangenes Jahr gab es die erste Netzsperre für ein Pornoportal – das ist ein Mittel repressiver Staaten. Ich halte das für eine sehr problematische Herangehensweise. Wenn wir das Jugendschutzgesetz in Deutschland zu Ende denken und sich die Landesmedienanstalten damit durchsetzen, wird in Deutschland niemand mehr einen Porno gucken können, ohne den Ausweis in die Kamera gehalten zu haben. Das ist datenschutztechnisch fragwürdig, erst recht bei einer derart stigmatisierten Medienpraxis. Menschen können ja ihren Job verlieren, wenn ihr Browser-Verlauf veröffentlicht oder ihre sexuelle Orientierung offengelegt wird. Diese Einbuße an sexueller Freiheit, auch an Netzneutralität, steht nicht im Verhältnis zum Nutzen. Denn es ist nicht mal ein effektives Mittel zum Jugendschutz.

Warum das?

Jede_r 14-Jährige kann einen VPN-Client installieren und trotzdem auf die gesperrten Seiten gelangen. Es entsteht eigentlich nur die Illusion, der Staat hätte seine Aufgabe getan. Dabei wäre der größte Handlungsbedarf in puncto Jugendliche und Porno: sexuelle Bildung und die Vermittlung von Pornokompetenz. Der beste Jugendschutz ist Wissen.

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