Kulturkritik-Band „Kein schöner Land“: Vergesst Deutschland!
Ein Kreis von Leuten um den Autor Simon Strauß sorgt sich um den kulturellen Zustand des Landes. Worauf wollen die Autor_innen bloß hinaus?
Erst einmal ist da Caspar David Friedrich, genauer gesagt dessen Gemälde „Der Watzmann“. In saftiges Grün getunkte grüne deutsche Romantik, moosbewachsenes Gestein, in den Himmel ragende Berge – so prangt das Bild auf dem Buchumschlag.
Hineingeritzt in diese Landschaft findet sich, mit Rekurrenz auf Volksliedgut aus der gleichen Epoche, der vielsagende Name dieses kleinen Bändchens: „Kein schöner Land. Angriff der Acht auf die deutsche Gegenwart.“ Was bloß verbirgt hinter diesem retroteutonischen Design mit dem aufgeplusterten Titel?
Es ist ein Kreis von Leuten um den Schriftsteller und FAZ-Redakteur Simon Strauß, der dieses Buch mit gesammelten Kulturkritiken kürzlich publizierte. Strauß ist seit der kontroversen Debatte um sein Werk „Sieben Nächte“ (2017), in dem er bereits ein poesievolleres Gestern beschwört, ein Name im Literaturbetrieb; zuletzt war er von Italiensehnsucht geplagt („Römische Tage“).
Jetzt ist er einer von acht, die in Essays den Zustand der deutschen Gegenwart sezieren wollen – nach den Kapiteln Essen, Mode, Theater, Literatur, Politik, Kunst, Popmusik, Film und Fernsehen geordnet. Einige der Autor_innen kennt man aus Pop-Diskursen (Daniel Gerhardt) und feministischen Debatten (Annekathrin Kohout), dann sind da Strauß-Brüder im Geiste wie Leander Steinkopf.
In alter Intellektuellen-Salontradition traf sich dieser Kreis an der Isar in München und am Berliner Savignyplatz zum Austausch und ernannte sich selbst (ohne Gegenstimmen) zur neuen G8 der deutschen Kulturkritik.
Habitus-Pflege und Gegenwartsdiagnostik
Vordergründig geht es in den Texten nicht um eine Rückbesinnung auf die deutsche Romantik, wie man bei der Gestaltung denken könnte, sondern es geht – jenseits der Habitus-Pflege – um Gegenwartsdiagnostik. Man erfährt, wie unterentwickelt „die“ deutsche Kultur in allen Sparten ist. Vielem kann man sogar zustimmen.
Der konstatierten Unfähigkeit, sich hierzulande modebewusst zu kleiden (von einem „unförmigen Einheitsbrei aus grauen, braunen, schwarzen Stofffetzen“ spricht Quynh Tran), kann man genauso folgen wie der Kritik von Katharina Herrmann an der Literaturvermittlung und ihrem Plädoyer für Vielstimmigkeit und niedrigschwelligen Zugang zur Literatur. An Daniel Gerhardts Einlassungen über den reaktionären deutschen Pop ist auch nichts falsch. Neu ist all das aber nicht.
Wie aber die genannten progressiven Stimmen mit Autoren wie Strauß oder Steinkopf zusammenpassen, bei denen immer auch Kulturkonservatismus und (Post-)Moderneekel mitschwingen, ist ein Rätsel. Strauß etwa befasst sich im Band mit der hiesigen Theaterlandschaft. Wenn nun ein nicht gerade unterprivilegierter Autor wie er sich von vielen großen Bühnen ausgerechnet das hochdiverse Berliner Gorki herauspickt („das erste deutsche identitäre Theater“) und damit Aussagen über das deutsche Theater generell treffen will, dann hat das eine Schieflage und ist lächerlich.
Da möchte man dem Gorki, selbst wenn man es nicht über die Maßen feiert, reflexhaft zur Seite springen. Auch die Volksbühnen-Besetzer zieht er als Beispiel heran. Beide Phänomene kritikwürdig, beide aber eine Ausnahmeerscheinung.
Steinkopf wiederum, der (zu Recht) das hiesige kulinarische Ödland beklagt, nutzt diese Kritik, um gegen den schlimmen biogrünen Zeitgeist zu polemisieren: „Noch viel mehr reicht das Prinzipielle nun in das Essen der Deutschen hinein: Tierwohl, Insektenvielfalt, Klimaneutralität und was sonst noch der Gutwerdung der Gehorsamsgermanen dienen soll“, schreibt er. Eine Kritik, die alt klingt und auch so riecht.
Steinkopf, Leander/ Tran, Quynh/ Strauß, Simon et al.: „Kein schöner Land. Angriff der Acht auf die deutsche Gegenwart“. C. H. Beck Verlag, München 2019, 255 S., 18 Euro
Aber entscheidend ist ja, was für ein Kulturbegriff hier überhaupt postuliert wird. Da wird es spannend. Denn warum sollte man im 21. Jahrhundert noch in Kategorien von Nationalkultur denken? Alle acht Aufsätze tun dies, und das ist im digitalen, globalisierten Zeitalter absurd, bei Genres wie Pop wird es grotesk. Hört doch mal auf mit diesem Deutschlandquatsch! Da war die dadaistische Internationale vor 100 Jahren schon weiter.
Fraglich nur, warum Autor_innen wie Gerhardt („Popmusik in Deutschland […] muss queer, migrantisch und feministisch sein“, schreibt er), Herrmann oder Tran, die den Multikulturalismus als modische Chance begreift („die neuen Deutschen, die aus Osteuropa, dem Mittleren Osten, Asien oder Afrika kommen […], bringen Farbe in das Grau“, bemerkt sie), sich hier wiederfinden. Denn der Kulturbegriff, den Strauß und Co. vertreten, ist eher elitär als egalitär, eher reaktionär als visionär – wie der wohl leider ironieferne Einband des Buches bereits suggeriert.
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