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Kulturförderung im Nahost-KonfliktSag nicht Palästina!

Dem Festival collec­ting:­dreams wurden Fördergelder gestrichen: Wegen propalästinensischer Positionen. Das Orga-Team wittert eine rechte Kampagne.

Wie weit darf Israel-Kritik gehen? Über diese Frage hatte das Kulturbüro innerhalb von einem Tag zu entscheiden Foto: Michael Matthey/dpa

Hannover taz | Zum dritten Mal hat das Festival collec­ting:­dreams in diesem Jahr in Hannover stattgefunden. Für seinen Ansatz, postmigrantischen Au­to­r*in­nen und Künst­le­r*in­nen sowie marginalisierten Stimmen einen Raum zu geben, hat es in den beiden Jahren zuvor viel Lob bekommen und auch öffentliche Förderung.

Doch in diesem Jahr kündigte erst das Kulturzentrum Pavillon und dann das Kulturbüro der Stadt die Zusammenarbeit auf. Wenige Stunden vor Beginn des Festivals nahm sie ihre Förderzusage über 10.000 Euro zurück, weil sich die Veranstalter weigerten, zwei Künstlerinnen aus dem Programm zu streichen.

Die Ma­che­r*in­nen vom Verein Prisma Queer Migrants sind davon überzeugt, dass die Stadt damit einer rechten Kampagne aufgesessen ist. Am 11. September erschien auf dem in Österreich ansässigen, extrem pro-israelischen Blog mena-watch.org ein Artikel, in dem sämtliche beteiligten Künst­le­r*in­nen als antisemitisch dargestellt wurden.

„In der Folge erhielten das Kulturbüro der Stadt, der neue Veranstaltungsort „Garage Nord“ und alle unsere Sponsoren sehr ähnlich strukturierte Mails, die auf den Artikel verwiesen und Konsequenzen forderten“, sagt Kadir Özdemir vom Festivalteam. Auch die Sponsoren reagierten aufgeschreckt, ließen sich im direkten Gespräch aber beruhigen.

Ausladung von zwei Künstlerinnen gefordert

Das Kulturbüro der Stadt hingegen verlangte die Ausladung von zwei Acts: der palästinensischen Journalistin Hebh Jamal und der 23-jährigen Künstlerin Asal, ein weitgehend unbeschriebenes Blatt.

Bekannt über sie ist nur, dass sie in den Medien Acrylmalerei, digitaler Kunst, Fotografie und Video arbeitet. Quelle: ihre Selbstauskunft auf der Festival-Website. Auf der war auch die Uraufführung ihres Filmprojekts „Palästina. Mehr als ein Ort. Sieben Stimmen, eine Frage: Was bedeutet Palästina für dich?“ angekündigt.

Jamal wiederum sollte einen Workshop mit dem Titel „Judged by the Cover: Religiöse Bekleidung, Diversität und Realitäten vs. dominante Diskurse in Medien, Journalismus und Gegenwartsliteratur“ anbieten. Statt die Programmpunkte abzusagen, starteten die Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen einen Spendenaufruf und bekamen so in kürzester Zeit die notwendige Summe zusammen.

Asals Beitrag kann das Kulturbüro der Stadt noch nicht einmal gesichtet haben. Worauf die Forderung nach einer Absage an sie gründet, ist insofern unklar. Das ist bei Hebh Jamal anders: Dass sie sich mit dieser Personalie Ärger einhandeln würden, haben die Veranstalter zumindest ahnen müssen.

Die Journalistin Hebh Jamal stand schon öfter in der Kritik

Schon im August hatte der ursprünglich geplante Veranstaltungsort, das Kulturzentrum Pavillon ihren Auftritt problematisiert. Die in New York geborene Journalistin mit palästinensischen Wurzeln lebt in Deutschland. Schon mehrfach haben geplante Auftritte von ihr für Kontroversen gesorgt, zum Beispiel an der Uni Heidelberg im Juni 2024 oder bei der Talking-Palestine-Konferenz in Frankfurt im Januar 2025.

Ins Visier proisraelischer Watchblogs geriet sie, weil sie noch am Tag der Hamas-Attacke auf Israel am 7. Oktober 2023 ein Video veröffentlichte. In dem rechtfertigte sie den brutalen Angriff mit dem Kommentar, Dekolonialisierung sei eben schmutzig, hässlich und nicht schön anzusehen, aber absolut notwendig.

Die Veranstalter von collec­ting:­dreams betonen, dass sie dieses Video ja schnell wieder gelöscht und sich davon distanziert habe. Auch im persönlichen Gespräch habe sie noch einmal versichert, Terrorismus und Menschenfeindlichkeit abzulehnen. Ihre zahlreichen Beiträge danach lassen in den Augen des Festivalteams keine ähnlich problematischen Aussagen erkennen. Fall erledigt?

Jamal verleiht vor allem der wachsenden Trauer, Wut und Verzweiflung der palästinensichen Community Ausdruck. Damit dockt sie bei einem Gefühl an, dass auch die Veranstalter umtreibt: Der Frage, wo es in Deutschland überhaupt einen Raum dafür gibt. Für Menschen, die tagtäglich mit neuen Katastrophenmeldungen aus Gaza bombardiert werden, die um ihre Angehörigen bangen oder trauern.

Wie soll das Kulturbüro das mal eben schnell entscheiden?

Jamal wütet auch gegen den Westen. Der mache sich zum Komplizen, indem er pro-palästinensische Stimmen zum Schweigen bringe. Sie benutzt dabei das gesamte Repertoire der Begriffe, die hierzulande Alarmglocken schrillen lassen: Apartheid, Genozid, Kolonialismus. In einem Beitrag ihres „Diaspora-Journals“, das sie auf der Online-Plattform Substack veröffentlicht, nennt sie Israel eine „fascist settler colony“.

In einem älteren Artikel schon von 2022, auf den sich auch der Pavillon bezieht, preist sie einen Märtyrer und schreibt: „Wir dürfen nicht die Augen verschließen und ignorieren, dass ein gewalttätiger Besatzer nicht allein mit Protesten und Boykotten zum Schweigen gebracht werden kann. Stattdessen sollten diese Methoden nur in Verbindung mit unseren Widerstandskämpfern funktionieren.“

Was sich allerdings in ihren zahlreichen Beiträgen seither nicht findet: Offene Unterstützung für die Hamas, Aufrufe zur Gewalt, Hetze gegen Juden.

Damit landet man am Ende wieder bei der schwierigen Frage, wo Israel-Kritik aufzuhören hat und Antisemitismus beginnt – und wie das Kulturbüro der Stadt Hannover dies innerhalb von zwei Tagen mal eben schnell entschieden haben kann.

Festival-Team gesteht Fehler ein

Denn natürlich sind auch Internetpublikationen wie mena-watch.org höchst parteiisch. Der Blog wirft praktisch jedem Kritiker israelischer Politik Antisemitismus vor.

Im Nachhinein geben sich alle Beteiligten betreten. Die Stadt will vorläufig zu den genauen Abläufen keine Auskunft geben: Man befinde sich aber „in guten, konstruktiven Gesprächen mit dem collec­ting:­dreams Literaturfestival“. Auch in Zukunft wolle man ja vertrauensvoll zusammenarbeiten. Irgendwann in den nächsten Wochen soll es ein gemeinsames Statement geben.

Das Festivalteam gesteht zerknirscht Fehler ein. Denn in allen Verträgen sowohl mit der Stadt als auch mit dem Pavillon steht, dass man die Programminhalte rechtzeitig anmelden und absprechen muss.

Auch wenn es bei einem umfangreichen Festival immer wieder zu kurzfristigen Änderungen, Verschiebungen, Absagen und neuen Zusagen kommt. Sowohl Jamals Workshop als auch Asals Filmbeitrag wurden von Teilnehmern im Nachhinein als „harmlos“ beschrieben. Niemand habe dazu aufgerufen, Israel von der Weltkarte zu tilgen.

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