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Kürzungspolitik in BerlinDie Gesellschaft schafft sich ab

Timm Kühn
Kommentar von Timm Kühn

CDU und SPD haben die Kürzungen verabschiedet. Gelöst wird damit kein einziges gesellschaftliches Problem – im Gegenteil.

Protestiert wurde viel, gekürzt wird trotzdem Foto: picture alliance/dpa | Jörg Carstensen

A m Ende kam es zu keinen Überraschungen mehr: Das Abgeordnetenhaus hat am Donnerstag den Nachtragshaushalt für das Jahr 2025 beschlossen. Damit sind die von Schwarz-Rot geplanten Kürzungen im Umfang von drei Milliarden Euro durchgewunken. Es ist das größte Kürzungsprogramm in Berlin, seit Thilo Sarrazin als Finanzsenator unter Klaus Wowereit (beide SPD) Anfang der 2000er-Jahre die Stadt ins Chaos gestürzt hat.

Über die Brutalität auch der zuletzt noch mal aktualisierten Sparliste, die CDU und SPD als Entschärfung verkaufen wollten, ist in den vergangenen Wochen viel geschrieben worden. Gekürzt wird bei Knast- und Resozialisierungsprojekten, während Justizbeamte mit Drogenspürhunden hochgerüstet werden. Die Gewaltprävention und Opferhilfe wird zusammengestrichen, während die Koalition für drei Spiele der US-amerikanischen Footballliga NFL über 10 Millionen locker macht. In der Kultur wird die freie Szene zugunsten der großen Häuser dem Spardiktat geopfert. Die Liste der Ungerechtigkeiten ließe sich ewig fortführen.

Es ist wichtig, sich den großen Kontext dieser Maßnahmen vor Augen zu führen. Der soziale Zusammenhalt erodiert seit Jahren: Kriege, Wirtschaftskrisen und Klimawandel haben die bürgerliche Gesellschaft in eine tiefe, systemische Krise gestürzt. Die Gesellschaft verroht. Die Skinheads sind zurück, die Lo­kal­po­li­ti­ke­r:in­nen auf der Straße zusammenprügeln. Doch statt die sozialen Probleme anzugehen – teure Mieten, stagnierende Löhne und Inflation –, hat sich die bürgerliche Politik in den vergangenen Jahren darauf eingeschossen, geflüchtete Menschen zum Sündenbock für alles zu erklären.

Kurzsichtige Politik

Auch die Sparpolitik wird kein einziges gesellschaftliches Problem lösen, sondern die gesellschaftlichen Risse nur vertiefen. Wer einfach so kostenlose Museumssonntage streicht, den öffentlichen Nahverkehr verteuert, wer Jugendarbeit, Flüchtlingshilfe und Frauenhäuser für verzichtbar hält – der hat offensichtlich gar kein Interesse mehr an einer langfristigen Pazifizierung der Gesellschaft, wie es durchaus mal ein konservatives Politikideal war. Stattdessen hat in der Politik eine extrem kurzsichtige Logik übernommen, der es nur noch darum geht, sich trotz der vielen Krisen als handlungsfähig zu inszenieren, als harter Hund, der durchzugreifen in der Lage ist.

Gerechtfertigt wird diese Politik mit dem alten Argument der angeblich unverrückbaren Sachzwänge. Und tatsächlich ist der große Kontext der gegenwärtigen Geldknappheit natürlich die Schuldenbremse, also Bundespolitik. Aber auch auf Berliner Ebene legen die beiden Koalitionspartner CDU und SPD keinen Enthusiasmus an den Tag für kreative Lösungen mit Blick auf die Steigerung der Einnahmeseite und so vielleicht mal die sozialen Schieflagen anzugehen. Dann wird eben doch wieder lieber die Polizei hochgerüstet. Genau das ist die Politik einer bürgerlichen Gesellschaft, die sich lieber selbst abschafft, statt die Ursachen der Verteilungskrise anzugehen.

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Timm Kühn
Redakteur
Schreibt seit 2020 für die taz über soziale Bewegungen, Arbeitskämpfe, Kapitalismus und mehr.
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1 Kommentar

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  • Gesellschaft ist doch out.

    Für die Neurechten - und das umfasst auch weite Teile der Unon - zählt nur noch die "Gemeinschaft". Je nach Partei mit oder ohne vorangestelltem "Volks-".